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Steroide: Im Sport ein Fluch, in der Medizin ein Segen

Was Bodybuilder früher sterben lässt, rettet anderen das Leben: Steroide. Als Medikamente helfen sie gegen Krebs, Rheuma und Covid-19. Vor allem Kortison hat sich bewährt.
Ein dicker Bizeps und eine höhere Leistungsfähigkeit sind  nicht die einzigen Folgen von Steroiddoping: Wer Anabolika konsumiert, muss mit einer gesteigerten Aggressivität, Stimmungsschwankungen, Akne und Schlafstörungen rechnen.

Die »Operation Viribus« war ein voller Erfolg. 17 organisierte Verbrecherbanden konnte Europol enttarnen, neun Dopinglabore ausheben und 3,8 Millionen verbotene Substanzen beschlagnahmen. Darunter 24 Tonnen Steroidpulver, das zum Teil in Fitnessstudios verkauft werden sollte. Weil Anabolika für einen dicken Bizeps und eine höhere Leistungsfähigkeit sorgen, sind sie bei Sportlern und Hobbyathleten begehrt.

Laut Europol hat der Handel mit Anabolika, auch anabole Steroide genannt, in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen. Mittlerweile nehmen fünf Prozent der Fitnessstudiobesucher Anabolika und andere Medikamente ein, um kräftiger und ausdauernder zu werden. So zumindest die »eher zurückhaltende Annahme« von Martin Hörning im Sachbericht »No Roids Inside«. Bei rund 9,1 Millionen Mitgliedern von Studios in ganz Deutschland ergibt das mehr als 450 000 Konsumenten. Es könnten allerdings mehr als doppelt so viele sein.

Dabei schadet Steroiddoping dem Körper, es kann sogar lebensgefährlich sein. Eine zunehmend unreine Haut ist nur das geringste Problem – die Folgen reichen von einem geschädigten Herz-Kreislauf-System über Depressionen bis hin zu Schlaganfall und Krebs (siehe »Nebenwirkungen und Folgen von Steroiddoping«). Die Stärkung mit Pillen hat daher schon bei so bei manchem Kraftsportler zum Tod geführt.

Doch was Bodybuilder früher sterben lässt, rettet anderen das Leben. Mit den Steroiden ist es wie mit vielen Substanzen, die Sportlerinnen und Sportler als Dopingmittel missbrauchen: Sie dienten ursprünglich einem guten Zweck. Tatsächlich wäre die heutige Medizin ohne Steroide eine andere, weniger wirksame.

Besonders bewährte Steroide: Glukokortikoide

Die Stoffklasse der Steroide ist groß. Die Androgene, zu denen Bodybuilder so gerne greifen, sind nur ein Teil davon. Glukokortikoide und Mineralkortikoide zählen ebenso zu den Steroiden wie Östrogene und Gestagene (siehe »Steroidhormone«). Erstere gehören zur Standardtherapie vieler chronischer Erkrankungen, Letztere haben Ende der 1960er Jahre die Verhütung revolutioniert. Jede Antibabypille enthält Steroidhormone.

Als Entdecker der Steroide gilt Adolf Butenandt. Der Chemiker und Biologe hatte sich Ende der 1920er Jahre in Göttingen auf die Erforschung von Hormonen spezialisiert. Als Erster isolierte er im Lauf der folgenden Jahre drei der fünf Steroidklassen – Östrogene, Androgene und Gestagene. Butenandts Arbeit, für die er 1939 den Chemie-Nobelpreis erhielt, gilt als Grundlage für die spätere künstliche Herstellung von Steroidhormonen und ihren Einsatz in der Therapie.

Nebenwirkungen und Folgen von Steroid-Doping

Steroide helfen, Ausdauer und Leistung zu steigern. Doch die Stoffe setzen dem Körper zu. Manche Nebenwirkungen mögen tolerierbar scheinen, Pickel und verfrühter Haarausfall etwa. Doch der Missbrauch führt oft auch zu gravierenden Schäden.

Zu den unerwünschten Folgen gehören neben den bereits genannten eine gesteigerte Aggressivität sowie Stimmungsschwankungen und Gereiztheit. Ebenso sind Schlafstörungen möglich, es kann zu Wachstumsstörungen, Bluthochdruck und Wasseransammlungen (Ödemen), Gewichtszunahme, Schilddrüsenfunktionsstörungen und Leberschäden kommen.

Zudem steigt das Risiko für Gefäßverkalkung (Arteriosklerose), Herzinfarkt, Schlaganfall, Blutgerinnsel (Thrombose), Krebs und Depressionen. Bei Männern sind eine Hodenschrumpfung (Hodenatrophie), Erektionsstörungen, Impotenz sowie Brustwachstum (Gynäkomastie) wahrscheinlicher. Bei Frauen findet eine allgemeine Vermännlichung (Virilisierung) statt. Das heißt, die Periode kann ausbleiben (Amenorrhoe), es kann zu Bartwuchs oder einer Kehlkopfvergrößerung kommen. Letzteres führt zu einer tieferen Stimme, die nicht umkehrbar ist. In anderen Fällen wächst, ebenfalls irreversibel, die Klitoris (Klitorishypertrophie).

Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln

Vor allem die Glukokortikoide – seit 1975 auf der Dopingliste der Nationalen Anti-Doping Agentur und umgangssprachlich Kortison genannt – haben sich als Wirkstoffe in Medikamenten bewährt. Der Hautarzt verschreibt sie bei Neurodermitis als Creme, der Asthmatiker inhaliert sie, um Anfällen vorzubeugen, und bei Heuschnupfen verhindern sie Niesattacken. Im Rahmen der Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen – also Colitis ulcerosa und Morbus Crohn – bremsen Steroide Krankheitsschübe. Sie erhalten die Mobilität von Kindern mit Duchenne-Muskeldystrophie. Und bei Rheuma lindern sie die Gelenkentzündung.

Steroide mildern Covid-19-Erkrankungen

Auch gegen Covid-19 kämpfen Ärzte mit Glukokortikoiden. Seit September 2020 empfiehlt die Europäische Arzneimittelagentur EMA den Wirkstoff Dexamethason aus dieser Steroidgruppe, weil er bei schweren Verläufen mit Beatmungspflicht die Sterblichkeit verringert, wie es im Ärztejargon heißt. Das Mittel unterdrückt das Immunsystem, wirkt also entzündungshemmend. Die Weltgesundheitsorganisation rät in schweren Fällen ebenfalls zu Dexamethason – täglich sechs Milligramm zehn Tage lang oral oder intravenös verabreicht. Alternativ könnten Ärzte alle acht Stunden intravenös 50 Milligramm Hydrokortison geben, ebenfalls ein Steroidhormon.

Grund für die Empfehlungen ist unter anderem die bereits im Juli 2020 veröffentlichte »Recovery-Studie« aus Großbritannien. Laut deren Daten senkt eine Therapie mit Dexamethason die Sterblichkeit der Patienten im Krankenhaus ohne invasive Beatmung von 25,7 auf immerhin 22,9 Prozent. Bei beatmeten Intensivpatienten sank die Sterblichkeit unter Dexamethason sogar um ein Drittel von 41,4 auf 29,3 Prozent. So stark hatte bis dahin kein anderes Medikament die Überlebenschancen bei einer schweren Infektion mit Sars-CoV-2 erhöht. Eine weitere Studie hat die Ergebnisse bestätigt, das Autorenteam rät gleichermaßen zu Hydrokortison.

Die fünf Steroidhormon-Gruppen

Glukokortikoide: Diese Gruppe beeinflusst viele Stoffwechselprozesse im Körper. Weil sie das Immunsystem bremsen, wirken diese Hormone unter anderem entzündungshemmend. Kortison und Kortisol sind bekannte Vertreter.

Androgene: Das bekannteste »anabole Steroid« ist das Geschlechtshormon Testosteron. Es sorgt für die Ausbildung von Penis und Hoden, prägt typisch männliche Verhaltensweisen und fördert Bartwuchs und Muskelwachstum.

Östrogene: Die weiblichen Geschlechtshormone lassen Eizellen reifen und lösen den Eisprung aus. In der Pubertät aktivieren sie die Entwicklung der Geschlechtsorgane. In den Wechseljahren fällt der Östrogenspiegel stark ab.

Gestagene: Das einzige Gelbkörperhormon, das natürlich im Körper vorkommt, ist Progesteron. Es bildet sich hauptsächlich in den Eierstöcken der Frau und ist als schwangerschaftserhaltendes Hormon bekannt.

Mineralkortikoide: Als wichtigstes Beispiel dieser Gruppe gilt das Aldosteron. Das Hormon wird in der Nebennierenrinde gebildet und wirkt vor allem in der Niere, wo es den Wasser- und Elektrolythaushalt des Körpers reguliert.

Dieses Steroid und seine Wirkung bei Covid-19 hat auch die Arbeitsgruppe von Frank Brunkhorst untersucht. Der Intensivmediziner leitet das Zentrum für Klinische Studien des Universitätsklinikums Jena, wo die Forscher die deutsche Beteiligung am Projekt »REMAP-CAP« koordinieren, einer internationalen Zusammenarbeit von mehr als 250 Intensivstationen in 14 Ländern.

Ihre Studienergebnisse zeigen, dass Hydrokortison mit 93-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Überlebensrate von Covid-19-Intensivpatienten verbessert und die Organe schützt. »Für die Schwerstkranken ist Hydrokortison also eine geeignete Therapie, nicht aber für die leicht Erkrankten, die keinen Sauerstoff erhalten müssen«, sagt Brunkhorst im »ÄrzteTag«-Podcast. Dexamethason sei inzwischen in manchen Ländern knapp. »Dass man genauso gut auf Hydrokortison zurückgreifen kann, ist eine gute Nachricht.«

»Mit Steroiden kann man regelrecht zaubern. Aber sicher nicht zum Muskelaufbau«
Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Besser keine Langzeitmedikation mit Steroiden

Wegen der viel versprechenden Resultate stehen Steroide mittlerweile in den Covid-19-Behandlungsleitlinien. Die Mittel haben jedoch einen Nachteil: Sie erhöhen das Infektionsrisiko. Diese Nebenwirkung ist zwar auch von anderen Therapien bekannt, im Dezember erschien jedoch eine Studie aus den USA, die jeden Kortison-Verfechter aufhorchen ließ. Die Autoren hatten rund 200 000 Patienten mit rheumatoider Arthritis untersucht und festgestellt: Schon bei kleinen Dosen Prednison – jenem Wirkstoff, welchen Ärzte bei der Gelenkerkrankung oft verabreichen – steigt das allgemeine Infektrisiko.

»Wir versuchen auf Grund dieser Nebenwirkung immer schon Langzeitgaben von Kortison zu vermeiden und so schnell wie möglich von hohen Dosen herunterzukommen«, erklärt Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, im Podcast »EvidenzUpdate«. Was interessant sei: »Die Studie schärft das Bewusstsein dafür, dass es sich auch bei geringen Dosen lohnt, eine Langzeitmedikation mit Steroiden zu vermeiden.« Mit diesem Wissen müssten Ärzte im Einzelfall »noch sensibler abwägen«, betont Scherer, «und sehr genau beobachten, wie stark der einzelne Patient davon profitiert«.

Überwiege der Nutzen das Risiko, sei gegen den Einsatz von Kortison allerdings nichts einzuwenden, sagt er weiter. Im Gegenteil: »Lungenerkrankungen, Allergien, Hautkrankheiten – mit Steroiden kann man regelrecht zaubern. Aber sicher nicht zum Muskelaufbau!«

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