Direkt zum Inhalt

Illegaler Antikenhandel: Der Keil in der Forschung

Ein Dilemma entzweit die Fachwelt: Wer illegal beschaffte Keilschrifttafeln übersetzt, arbeitet den Raubgräbern zu. Doch soll man deswegen auf wichtige Erkenntnisse verzichten?
Illegal gehandelter Kudurru von Nebukadnezar I.

»Bearbeiteter Stein als Einrichtungsstück.« Das sollte sich laut Aufschrift in der Holzkiste befinden, die Zollbeamte im Jahr 2012 am Londoner Flughafen Heathrow untersuchten. Herkunft: angeblich die Türkei. Als sie den Behälter öffneten, fanden sie tatsächlich einen Stein. Einen Kudurru genauer gesagt, ein babylonisches Steinartefakt aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. Darauf eine Inschrift des kassitischen Königs Nebukadnezar I.

Es war ein spektakulärer Fund. Denn im Gegensatz zu den Inschriften seines berühmten Namensvetters Nebukadnezar II. haben sich von diesem König nur wenige historische Schriftzeugnisse erhalten. Der kunstvoll verzierte Stein war wohl einst in einem Tempel in Nippur im heutigen Südirak aufgestellt und wurde dort vermutlich zwischen 2003 und 2007 von Raubgräbern aus seinem archäologischen Kontext gerissen. Vielleicht haben Schmuggler ihn tatsächlich in der Türkei zwischengelagert, bevor ein Sammler in England ihn erwarb.

Seit inzwischen drei Jahrzehnten wird der Süden des Iraks das Gebiet des alten Sumer, von Raubgräbern umgegraben und geplündert. Auch in Syrien haben die Wirren des Kriegs dazu geführt, dass im großen Stil antike Stätten durchwühlt werden. Und außerhalb des Nahen Ostens geschieht das Gleiche: In Mali, Ägypten, Indien, den Staaten im Gebiet der präkolumbischen Hochkulturen Mittel- und Südamerikas und sogar in europäischen Ländern wie Griechenland und Italien zerstören Raubgräber das eigene Erbe.

Treiber dieser Verwüstung sind reiche Abnehmer meist aus Europa und Nordamerika, zunehmend aber auch vom Persischen Golf oder aus China. Unbestritten ist es ihre Nachfrage, die die Beraubung archäologischer Stätten und den Handel mit Artefakten zu einem lukrativen Geschäft macht.

Die Forschung entkommt dem illegalen Handel nicht

Mit wachsender Heftigkeit diskutieren allerdings auch Forscherinnen und Forscher, ob sie nicht selbst Teil dieser Geschäftemacherei geworden sind. Wer ein Stück mit fragwürdiger Herkunft wissenschaftlich bearbeitet, so lautet das Argument, der macht sich unwillkürlich mitschuldig am illegalen Handel.

Was Kunstsammler an solchen antiken Objekten interessiert, ist vor allem, ob sie authentisch sind. Wollen Händler einen hohen Preis erzielen, brauchen sie den Rat von Experten, gerade dann, wenn sie die Echtheit nicht durch Herkunftsangaben belegen können. Mehr noch: Ein Artefakt, dessen Inschrift von einem bekannten Wissenschaftler übersetzt oder gar publiziert wurde, hat eine größere Chance, verkauft zu werden und höhere Preise zu erzielen, als eines ohne Übersetzung. Den klassischen Angaben zur Eigentümergeschichte des Stücks – der so genannten Provenienz – wird weniger Gewicht beigemessen.

Keineswegs alle Experten schreckt aber die Vorstellung, solchen Waren den Anschein der Legitimation zu verleihen. An der Cornell University im Bundesstaat New York lehrt beispielsweise der amerikanische Assyriologe David Owen, der offensiv dafür eintritt, sämtliche Keilschriften für die Wissenschaft zu verwerten, mögen sie aus noch so fragwürdigen Quellen stammen.

Die Erforschung jener Texte sei die letzte Möglichkeit, die Geschichte ihrer Erschaffer zu dokumentieren, argumentiert Owen. Nicht zu publizieren, so beharrt er auch in seinen eigenen Artikeln, käme einer Zensur der Wissenschaft gleich. Die Entscheidung einer jüngeren Kollegin, aus ethischen Gründen Texte ohne Herkunftsangabe als Quellen für ihre Doktorarbeit nicht zu verwenden, verspottete er öffentlich als unlogisch und naiv.

Dabei dürfte allen Beteiligten klar sein: Wer eine neue Sammlung alter Kunst anlegt, wird zwangsweise geplünderte Antiken kaufen. Dies zeigt das Beispiel der amerikanischen Milliardärsfamilie Green, Gründer der Ladenkette Hobby Lobby, die 2006 begann, Artefakte für ein privates Bibelmuseum in Washington, D.C., zu sammeln. Im Juli 2017, vier Monate vor der Eröffnung des Museums, zwang sie ein Gerichtsurteil, 4500 geplünderte Artefakte an den Irak zurückzugeben – darunter über 3000 Keilschrifttafeln. In den folgenden Jahren sollten noch weitere Objekte in ihrem Besitz an ihre Herkunftsländer zurückgehen, darunter eine orthodoxe Bibel, die 1998 aus einer Athener Bibliothek verschwunden war, und tausende frühchristliche Papyri aus Ägypten.

Bei der großen Mehrheit der Objekte fehlen genaue Herkunftsangaben

Vom »internationalen Schwarzmarkt« ist oft die Rede, wenn es um solches Raubgut geht. Dieser Begriff ist allerdings irreführend, denn er impliziert, dass es einen davon abgrenzbaren »weißen«, also legalen Markt gibt. Doch Fachleute, die den Handel studieren, wissen: Der Markt ist immer mindestens grau.

Denn Verkäufer mischen Antiken, deren Provenienz einwandfrei legal ist, mit solchen, bei denen die Historie des Stücks lückenhaft, gefälscht oder gar nicht vorhanden ist. Bei näherem Hinsehen stellen sich diese Objekte häufig als geraubt heraus. Mitunter gehen selbst die prominentesten öffentlichen Institutionen solchen Praktiken auf den Leim. Das New Yorker Metropolitan Museum beispielsweise sah sich 2019 gezwungen, einen vergoldeten Sarkophag an Ägypten zurückzugeben, den es von einem Pariser Kunsthändler erworben hatte. Der Sarg besaß eine angebliche ägyptische Exportlizenz aus dem Jahr 1971, deren Echtheit die New Yorker Staatsanwaltschaft allerdings anzweifelte. Es schien zu unwahrscheinlich, dass ein so beeindruckendes Stück in nahezu fünf Jahrzehnten nicht von Ägyptologen untersucht, fotografiert und veröffentlicht worden war. Tatsächlich war es wohl 2011 in der Wirtschaftskrise, die dem so genannten Arabischen Frühling in Ägypten folgte, bei Raubgrabungen entdeckt worden – nach amerikanischem Recht war es damit Diebesgut und somit ein illegaler Ankauf.

So einfach wie in diesem Fall lässt sich allerdings häufig nicht nachweisen, dass es sich um gestohlenes Kulturgut handelt. Für die hübsche Uschebti-Statuette, die der Uropa anno 1910 aus Kairo mitbrachte, gab es vielleicht nie eine Quittung. Vielleicht haben seine Nachfahren die Rechnung auch einfach entsorgt. Und wenn, wie in solchen Fällen, die Legalität eines Objekts nicht belegt werden kann, gilt nach Recht und Gesetz immer die Unschuldsvermutung.

Keilschriftexperten sind von dem Problem besonders betroffen, denn ihr Forschungsgebiet erstreckt sich geografisch über gleich zwei Hotspots der Raubgräberei. In Syrien nahm kriegsbedingt das Plündern archäologischer Stätten nie gekannte Ausmaße an. Auf Satellitenbildern des Krisengebiets kann man erkennen, dass gegraben wurde, wo es sich lohnte – sei es von Menschen aus der Gegend, die sich ein Einkommen sichern wollten, sei es von militärischen Akteuren, die ihre Kriegskasse aufbessern wollten. Wer dahintersteckt, ist in vielen Fällen nicht mehr herauszufinden.

Schatzjäger bevorzugen Keilschrifttafeln

Im Irak, dem Kernland des alten Assyriens, wurden schon in den 1990er Jahren, als die Wirtschaft des Landes durch Sanktionen am Boden lag, wichtige Stätten ausgeräumt, darunter einige der ältesten Städte der Menschheit. Dann begann der Irakkrieg gegen das Regime Saddam Husseins, und die Verwüstung wurde noch schlimmer. Als nach dem Fall des Diktators die öffentliche Ordnung in dem Land zusammenbrach, kamen die Schatzjäger und wühlten sich regelrecht durch die archäologischen Fundorte.

Verwüstung in Nimrud | Die Aufnahme aus dem Jahr 2016 zeigt einen Blick auf die antike Stadt Nimrud im Irak, die vom »Islamischen Staat« zerstört wurde. Der Wegfall staatlicher Ordnung ist eine Einladung für Raubgräber.

In einer einflussreichen Studie aus dem Jahr 2008 dokumentierte die amerikanische Archäologin Elizabeth Stone, wo und unter welchen Bedingungen im Südirak Raubgrabungen stattfanden. Aus dieser Region stammt die überwältigende Mehrheit aller Keilschriftfunde. In Interviews mit Anwohnern und Journalisten fand sie heraus, dass ein Hauptziel bei den Plünderungen war, Tontafeln zu finden, denn diese sind klein, leicht zu verstecken und wegen ihrer Inschriften bei Sammlern begehrt.

Nach dem Ende des Krieges hat sich die Lage im Irak etwas beruhigt und mit ihr die Raubgräberei. 2015 veröffentlichte Stone eine Aktualisierung ihrer Studie, in der sie feststellte, dass die Raubgrabungen zwar in Schwere und Häufigkeit abgenommen hatten, dass aber noch gezielter nach Tontafeln gesucht wurde. Diese und weitere Studien haben bei vielen Keilschriftforscherinnen und -forschern zu einem Umdenken geführt. Vielfach lehnen es inzwischen auch Fachmagazine ab, Textfunde unbekannter Herkunft zu publizieren.

Doch das kann auch zum Nachteil gereichen. Schriftgelehrte brauchen die Händler und Sammler, um Zugang zu neuen Inschriften zu bekommen – denn jeder antike Text ist einzigartig und leistet einen unersetzlichen Beitrag zur Historiografie. Anders als bei anderen Raubgütern, die wissenschaftlich nahezu wertlos sind, weil sich kaum feststellen lässt, woher sie genau stammen und wie alt sie sind, ist den Textfunden die historische Information wortwörtlich eingeschrieben.

Um an das Quellenmaterial zu gelangen, sind manche Keilschriftexperten wie Owen sogar bereit, ihren guten Namen einzusetzen für Personen, die sich an der Grenze zur Legalität bewegen. Der Kunstsammler Jonathan Rosen stiftete »seine« Keilschrifttafeln der Cornell University und erhielt dafür nach amerikanischem Recht eine saftige Steuervergünstigung. Anders als Hobby-Lobby-Besitzer Green, der die von ihm angekauften Antiken an sein Bibelmuseum spendete, wurde Rosen allerdings nie eines Vergehens angeklagt. Rosen wurde auch nicht dazu verurteilt, seine Sammlung an die Herkunftsländer zurückzugeben.

Forschen ohne Berührungsängste

Im Gegenzug bekam der Cornell-Forscher Zugang zu einzigartigem Forschungsmaterial, das zurückhaltenderen Kolleginnen und Kollegen verwehrt ist. So publizierte er in den vergangenen Jahrzehnten über die Keilschriftarchive einiger bislang nicht identifizierter Fundstätten. Quelle: eben jene Kollektion des Antikensammlers Jonathan Rosen. Privatleute, die Texte ankaufen und Forschern zur Verfügung stellen, sieht er als Retter des Weltkulturerbes. Umso mehr, wenn der Fundort, aus dem sie stammten, zerstört sei.

Wie es um das Dunkelfeld des illegalen Handels in Deutschland bestellt ist, hat das 2019 beendete Forschungsprojekt ILLICID zu erhellen versucht. In seinem Abschlussbericht heißt es, dass nur rund zwei Prozent der Antiken auf dem deutschen Markt eine verifizierbare, lückenlose Provenienz vorweisen konnten. Alle anderen waren mindestens problematisch. Das zeigt, dass dem Dilemma, zu publizieren oder nicht zu publizieren, kaum zu entkommen ist. Auch in anderen Disziplinen nicht. Sämtliche mit Maya-Hieroglyphen beschriebene Vasen etwa, die heute zum Verkauf stehen, stammen aus Raubgrabungen, die in den 1990er Jahren während des blutigen Bürgerkriegs in Guatemala stattfanden. Viele ägyptische Papyri auf dem Markt sind illegal ausgegraben und aus dem Land geschmuggelt worden.

Ausnahmen sind Fälle wie der des eingangs erwähnten Kudurru, der von Zollbeamten entdeckt wurde: Er wurde vom Britischen Museum eingehend untersucht, allerdings ohne dass er im Besitz seines Käufers blieb. Stattdessen ging er 2019 an den Irak zurück. Auch in dieser Hinsicht hat er Seltenheitswert. In den meisten Fällen tauchen geschmuggelte Antiken erst wieder im Privatbesitz eines Kunstsammlers auf, wenn ihre illegitime Herkunft längst nicht mehr nachzuweisen ist.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.