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Rekord-Arbeitsfrequenz über 100 Gigahertz für Siliciumtransistoren

Bringt man einen geringen Prozentsatz Germanium in die Basis eines Silicium-Bipolartransistors ein, so verdoppelt sich nicht nur dessen Schaltgeschwindigkeit, sondern er wird auch sehr viel rauschärmer. Damit eröffnen sich der Siliciumtechnologie Anwendungen, die bisher teuren Galliumarsenid-Bauelementen vorbehalten schienen.


Die derzeit schnellsten integrierten Siliciumschaltungen enthalten Transistoren, deren maximale Arbeitsfrequenz ungefähr 30 Gigahertz (Milliarden Zyklen pro Sekunde) beträgt; das gilt sowohl für MOSFETs (Feldeffekttransistoren auf der Basis von Metalloxid-Halbleiter-Übergängen) als auch für Bipolartransistoren. Bei höheren Frequenzen weicht man auf die sogenannten III/V-Halbleiter aus, die aus Verbindungen zwischen Elementen der 3. und 5. Gruppe des Periodensystems bestehen; am bekanntesten ist das Galliumarsenid. Sie zeichnen sich gegenüber Silicium durch eine höhere Beweglichkeit der Ladungsträger aus. Vor allem aber eröffnen sie die Möglichkeit, durch eine Kombination verschiedener Halbleiter gezielt eine Bandlücke mit bestimmten Eigenschaften zu erzeugen (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1984, Seite 32). Dadurch lassen sich gänzlich neue Bauelemente herstellen, zum Beispiel extrem rauscharme Feldeffekttransistoren mit zweidimensionalen Elektronengasen (MODFETs ) und der unten beschriebene Hetero-Bipolartransistor (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1987, Seite 88, und April 1990, Seite 46 ).

Trotz der hohen Schaltgeschwindigkeit von bis zu 300 Gigahertz konnten die III/V-Halbleiter die Siliciumtechnologie bis heute jedoch nicht verdrängen. Das liegt zum einen daran, daß entsprechende Substrate zehnmal so teuer sind. Zum anderen weisen sie viele störende Kristalldefekte auf, und es fehlt ihnen eine natürliche Passivierungsschicht, wie sie beim Silicium das Dioxid (SiO2) darstellt.

Der Einbau von Germanium


Alle Bemühungen, die Arbeitsgeschwindigkeit der Silicium-Bauelemente zu erhöhen, beschränkten sich bisher auf technologische Verbesserungen wie das Verkleinern der geometrischen Abmessungen. Die Bandlücke läßt sich beim Silicium nämlich nicht ohne weiteres maßschneidern, da ein Kombinationshalbleiter mit gleicher Gitterkonstante fehlt. Das Germanium wäre mit seinem etwa halb so großen Bandabstand von 0,66 Elektronenvolt zwar ein idealer Kombinationspartner, doch sind die Germaniumatome voluminöser und liegen im Kristallgitter 4 Prozent weiter voneinander entfernt als die Atome in Siliciumkristallen. Aus diesem Grund kann man die beiden Materialien nicht einkristallin übereinanderwachsen lassen: Schon nach wenigen Atomlagen entstehen Versetzungen die Kurzschlüsse im Bauelement hervorrufen würden.

Wählt man statt des reinen Germaniums jedoch eine Silizium-Germanium-Legierung (SiGe) mit 10 bis 30 Prozent Germaniumanteil, wird die Gitterkonstante derjenigen von Silicium so ähnlich, daß sich bis zu 100 Nanometer (millionstel Millimeter) dicke verspannte Schichten versetzungsfrei erzeugen lassen. (Anschaulich kann man sich vorstellen, daß die Germaniumatome dann derart zusammengequetscht werden, daß sie die Fomm von aufrecht stehenden Eiern annehmen.) Die Bandabstände unterscheiden sich unter diesen Umständen zwar nur noch um 0,1 bis 0,2 Elektronenvolt; dies reicht aber für viele neuartige Bauelemente aus.

Freilich stellt das Wachstum dieser Schichten nicht nur höchste Anforderungen an die Reinheit der Materialien – auch die Temperatur muß peinlich genau kontrolliert und die Abscheidung sehr langsam durchgeführt werden. Wegen dieser Schwierigkeiten wird das Verfahren erst seit einigen Jahren beherrscht. Dabei haben sich die Gasphasen- wie die Molekularstrahl-Epitaxie gleichermaßen bewährt.

Der Hetero-Bipolartransistor


Eine der interessantesten Anwendungen der SiGe-Schichten ist der Hetero-Bipolartransistor oder HBT, eine Weiterentwicklung des klassischen Bipolartransistors. Dessen Basis besteht aus einer p-leitenden Schicht (mit positiven Ladungsträgern oder "Löchern"), die den Strom zwischen Emitter und Kollektor steuert, die beide n-leitend sind (mit negativen Ladungsträgern, also Elektronen). Die Stromverstärkung des Transistors ist das Verhältnis zwischen dem Elektronen-Kollektorstrom und einem sogenannten Löcher-Basisstrom, der dadurch entsteht, daß die angelegte Steuerspannung unerwünschterweise auch positive Ladungsträger von der Basis in den Emitter übertreten läßt. Da beim Bipolartransistor dieses Verhältnis etwa gleich groß wie das zwischen Emitter und Basisdotierung ist, versetzt man den Emitter üblicherweise mit etwa 100mal mehr Fremdatomen als die Basis.

Diese Konstruktion des Bipolartransistors läßt eine Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit über den bislang erreichten Wert aus physikalischen Gründen nicht zu. Die Arbeitsgeschwindigkeit hängt nämlich davon ab, wie schnell die Elektronen die Basis passieren können. Darum sollte die Basisschicht möglichst dünn sein. Nun kommt sie aber nur am Rand der Transistorfläche zum Vorschein, und nur dort kann der elektrische Anschluß angebracht werden (normalerweise auf zwei Seiten). Deshalb darf sie wiederum nicht zu dünn sein, da ihr elektrischer Widerstand sonst so groß wäre, daß die von außen angelegte Basisspannung nicht bis in die Mitte des Transistors geleitet würde. Im Prinzip ließe sich die Leitfähigkeit der Basisschicht zwar auch durch stärkere Dotierung erhöhen; doch dies ginge, wie erwähnt, zu Lasten der Stromverstärkung. Die maximal mögliche Basisdotierung von etwa 5 x 1018 Atomen pro Kubikzentimeter ist bei heutigen Bipolartransistoren längst erreicht und damit auch die untere Grenze der Basisdicke auf etwa 50 bis 150 Nanometer festgelegt.

Der HBT ermöglicht einen Ausweg aus der beschriebenen Sackgasse, da die Aufeinanderfolge zweier Halbleiter mit unterschiedlicher Bandlücke die Möglichkeit eröffnet, Elektronen und Löcher getrennt voneinander zu steuem. So läßt sich beim Silicium-HBT, dessen Basis aus SiGe besteht, die Injektion der Löcher-Ladungsträger in den Emitter unabhängig vom Verhältnis zwischen Emitter- und Basisdotierung nahezu völlig unterdrücken. Dadurch kann die Basisdotierung 100mal größer sein als beim normalen Bipolartransistor. Selbst bei einer Dicke von einem Zehntel des ursprünglichen Wertes hat die Basisschicht also immer noch eine zehnmal so hohe Leitfähigkeit. Die geringe Schichtdicke erhöht dann die Schaltgeschwindigkeit, und der niedrige Basiswiderstand bringt einen niedrigen Rauschpegel nebst anderen Vorteilen.

Der Geschwindigkeitsrekord


Wie wirkungsvoll das Hetero-Bipolar-Konzept ist, zeigte der 1990 von IBM-Forschern vorgestellte HBT, der durch einen Zusatz von nur 7 Prozent Germanium in der Basis eine Grenzfrequenz von 75 Gigahertz erreichte – fast doppelt so viel wie die besten bis dahin bekannten Silicium-Bipolartransistoren. (Genauer gesagt, handelt es sich um die Transitfrequenz: die Grenze, bei der die Stromverstärkung des Transistors auf 1 absinkt.) Fast drei Jahre blieb dies der schnellste bekannte Siliciumtransistor. Kürzlich konnten meine Kollegen und ich am Daimler-Benz-Forschungsinstitut in Ulm jedoch einen neuen Rekord aufstellen – mit einem HBT, der 91 Gigahertz erreichte. Nur wenige Wochen später überschritten wir mit einem neuen Rekordwert von 101 Gigahertz sogar die Grenze von 100 Gigahertz, die noch vor wenigen Jahren beim Silicium für unüberwindlich gehalten worden war.

Allerdings existiert der Silicium-HBT bisher nur in den Forschungslaboratorien. Der Grund liegt in der Herstellungstechnologie. Die gebräuchlichen Fabrikationsmethoden für Siliciumtransistoren lassen sich nicht ohne weiteres auf HBTs übertragen, weil die unter mechanischer Spannung stehende Silicium-Germanium-Schicht die üblichen Fertigungstemperaturen bis zu 1100 Grad Celsius nicht aushält: Je höher der Germanium-Gehalt, desto geringer die Temperaturverträglichkeit. Will man den erprobten Fabrikationsprozeß für integrierte Schaltungen beibehalten, muß man sich also wie im Falle des 75-Gigahertz-Transistors auf nur wenige Prozent Germanium beschränken, kann dann aber die Möglichkeiten des Hetero-Bipolar-Konzeptes nicht voll ausschöpfen. Die Alternative wäre, den Fertigungsprozeß so zu ändern, daß die Hochtemperaturschritte entfallen können. Dies erfordert allerdings jahrelange Entwicklungsarbeit.

Unserer Arbeitsgruppe ging es vor allem darum, die physikalischen Möglichkeiten der Silicium-HBTs auszureizen. Die gesamte Schichtfolge des Transistors – bestehend aus Kollektor, Basis und Emitter – wird dazu in einem einzigen Schritt ohne Unterbrechung (und somit auch ohne Gefahr einer Verunreinigung der empfindlichen Sperrschichten) hergestellt. Dafür hat sich die Molekularstrahl-Epitaxie bewährt, bei der die verschiedenen Materialien im Ultrahochvakuum aufgedampft werden. Dank jahrelanger Erfahrung auf diesem Gebiet können wir nun reproduzierbar eine nur 22 Nanometer dicke Basisschicht erzeugen, die bei einer Dotierdichte von fast 1020 Fremdatomen pro Kubikzentimeter 35 Prozent Germanium enthält. Der Dotierstoff Bor ist sogar in einer nur 5 Nanometer – das heißt etwa 36 Atomlagen – dicken Schicht konzentriert.

Die so bei Temperaturen von maximal 550 Grad Celsius im Forschungslabor hergestellten Transistoren lassen sich als Einzelbauelemente mit hervorragenden Eigenschaften einsetzen. Eine Integration zu größeren Schaltungen ist aber nicht ohne weiteres möglich. Dies liegt unter anderem an den großen Höhenunterschieden auf der Oberfläche (Bild), die durch nachträgliches selektives Wegätzen der zunächst gleichmäßig auf einem Siliziumsubstrat abgeschiedenen Schichten zustande kommen. Durch dieses Ätzen wird zum einen der Transistorbereich definiert. Zum anderen aber dient es auch dazu, einen Hohlraum unter den Gold-Leiterbahnen zu schaffen, die den Emitter und die Basis mit Kontaktanschlüssen verbinden, und so parasitäre Kapazitäten, die an den Berührstellen der Leiterbahnen mit dem Siliciumsubstrat entstehen und den Transistor verlangsamen würden, weitmöglichst zu vermeiden.

Künftige Silicium-HBTs werden ein Kompromiß sein, bei dem man das Hetero-Bipolar-Konzept möglichst effektiv nutzt, ohne die existierenden Fabrikationsprozesse zu sehr verändern zu müssen, so daß die Integrationsfähigkeit erhalten bleibt. Dazu ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten, weshalb der Einzug des Silicium-HBT in integrierte Schaltungen wohl noch einige Zeit auf sich warten läßt. Anwendungen gibt es genug – nämlich überall dort, wo schnellere Digitalschaltungen oder eine stark reduzierte Stromaufnahme bei unveränderter Arbeitsgeschwindigkeit gebraucht werden. Wegen dieser Vorzüge und seiner Eignung als rauscharmer Vorverstärker bietet der Silicium-HBT beispielsweise ideale Voraussetzungen für das Ein-Chip-Mobiltelephon, dessen Realisierung somit einen Schritt näher rückt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1993, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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