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Leben im Toten Meer - die Tricks salzliebender Bakterien


Yam Hamelah ("Salzsee") lautet der hebräische Name für jenes Naturwunder, das hierzulande zu Unrecht als "Totes Meer" bekannt ist (Bild 1). Zwar beherbergt das salzigste Gewässer der Erde keine höheren Lebensformen, aber eine Alge (Dunaliella) und verschiedene echte Bakterien (Eubakterien) können dort trotz des Salzgehalts von 28 Gewichtsprozent gedeihen. Vor allem aber findet man in der Sole Mikroorganismen aus dem Urreich der Archaebakterien. Sie haben sich an das Medium so gut angepaßt, daß sie sogar einen Salzgehalt von mindestens 15 Gewichtsprozent zum Überleben brauchen. Wie diese obligat halophilen Einzeller den Extrembedingungen trotzen, versuchen Forscher in Israel, aber auch in den USA, Deutschland und Frankreich herauszufinden.

Das Hauptproblem für die Bewohner extrem saliner Gewässer ist, daß das Salz alles Wasser an sich reißt und die Zellen somit regelrecht auszutrocknen droht. Um den osmotischen Druck des salzigen Mediums zu kompensieren, stellen halotolerante Vertreter der Eubakterien und Eukaryonten (Organismen mit echtem Zellkern wie Algen und alle Vielzeller) große Mengen von kleinen organischen Molekülen her und reichern sie in ihrem Inneren an.

Halophile Archaebakterien treiben dagegen sozusagen den Teufel mit Beelzebub aus. Um das Wasser in der Zelle zu halten, sorgen sie dafür, daß dort eine noch größere Konzentration an Salzen herrscht als draußen. So enthält ihr Cytoplasma 23 Gewichtsprozent Kaliumchlorid – etwa das Achtfache der gesamten Salzkonzentration von Meerwasser.

Dadurch wird das Problem allerdings zunächst nur verlagert; in der Zelle konkurriert das Salz nämlich nun mit den Proteinen um das Lösungsmittel Wasser. Eiweißstoffe aus nicht angepaßten (mesophilen) Zellen würden in einem derart salinen Medium ihre kompliziert gefaltete natürliche Raumstruktur verlieren und sich zu unlöslichen Klumpen zusammenballen (aggregieren).

Hingegen brauchen Proteine aus halophilen Organismen sogar salzige Lösungen, um stabil und funktionstüchtig zu bleiben: Reduziert man die Salzkonzentration, nimmt zunächst die Enzymaktivität ab, und unterhalb eines bestimmten Wertes (0,5 Mol pro Liter) beginnen die Moleküle zu denaturieren. Paradoxerweise lassen sich diese Entzugserscheinungen durch Zusatz von Säuren verhindern, die bei normalen Proteinen das Faltungsmuster erst recht zerstören würden.

All diese Eigentümlichkeiten beginnen die Forscher jetzt zu verstehen, nachdem von zwei Enzymen des Archaebakteriums Haloarcula marismortui aus dem Toten Meer in amerikanisch-israelischen Gemeinschaftsprojekten die Kristallstrukturen mit hoher Auflösung ermittelt worden sind. Beide Proteine, das Stoffwechselenzym Malatdehydrogenase (Bild; "Science", Band 267, Seite 1344, 3. März 1995) und der Elektronenüberträger Ferredoxin ("Nature Structural Biology", Band 3, Seite 452, Mai 1996), hüllen sich in einen Mantel aus sauren Aminosäuren, die in neutraler Lösung je eine negative Ladung tragen.

Wegen der hohen Ladungsdichte bindet die Oberfläche Wassermoleküle sehr viel effizienter als ein normales Protein und trocknet so auch in konzentrierter Salzlösung nicht aus. Aus dem gleichen Grunde können die untersuchten Enzyme bis zu 40 Prozent mehr Wasserstoffbrücken zu umgebenden Wassermolekülen ausbilden als ähnliche nicht-halophile Proteine. Zudem stoßen die gleichnamigen Ladungen einander ab, was einerseits die Aggregation verhindert, andererseits bei niedrigen Salzkonzentrationen (und damit schwacher Abschirmung) aber die Raumstruktur des Proteins aufsprengen kann.

Mit den basischen (positiv geladenen) Aminosäuren, die ebenfalls – wenn auch in geringerer Zahl – vorhanden sind, vermögen die sauren Seitenketten außer-dem elektrostatische Wechselwirkungen (Salzbrücken) einzugehen, welche die Struktur zusätzlich stabilisieren. Eine ungewöhnlich hohe Zahl von Salzbrücken ist auch bei Dehydrogenasen extrem thermophiler Bakterien beobachtet worden.

Ein ähnliches Bild dürfte die Kristallstruktur der halophilen Dihydrofolat-Reduktase (hDHFR) zeigen, an der die Arbeitsgruppe von Osnat Herzberg am Center for Advanced Research in Biotechnology in Rockville (Maryland) derzeit arbeitet. Nach einer Prognose, die Gerald Böhm an der Universität Regensburg anhand der Struktur eines verwandten mesophilen Enzyms und der Aminosäuresequenz der hDHFR bereits vor zwei Jahren abgegeben hat, sollten sich in der Umgebung des aktiven Zentrums positiv und auf der gegenüberliegenden Seite des Enzyms negativ geladene Oberflächen befinden ("Protein Engineering", Band 7, Seite 213).

Die auffallende Anreicherung von geladenen Molekülteilen ist im Laufe der Evolution offenbar auf verschiedene, sich ergänzende Weisen zustande gekommen: teils durch Austausch ungeladener Aminosäuren und teils durch Einfügen neuer Molekülteile (Domänen), die überwiegend aus geladenen Aminosäuren bestehen. Für Biotechnologen, die auch unter extremen Bedingungen stabile Enzyme nach Maß entwerfen wollen, gibt es da sicherlich einiges abzuschauen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1996, Seite 18
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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