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Der Mathematische Monatskalender: Augustin Cauchy (1789–1857): Schroff und arrogant

Niels Henrik Abel sagte einst: »Cauchy ist verrückt und man kann nichts dagegen tun, aber er ist der Einzige, der weiß, wie man Mathematik machen sollte.«
Eine Sammlung verschiedener mathematischer und chemischer Formeldarstellungen.

Augustin Louis Cauchy wird in unruhigen Zeiten in Paris geboren  nur wenige Wochen nach der Erstürmung der Bastille. Der königstreue Vater Louis Francois, bis zur Revolution in Polizeidiensten, verliert bald seinen Posten und flieht mit seiner Familie aus Paris. Erst nach Ende der Schreckensherrschaft kehrt er zurück; unter Napoleon macht er Karriere und wird Generalsekretär des Senats. Aus der Bekanntschaft mit dem Senator Joseph Louis Lagrange und dem Innenminister Pierre-Simon Laplace entwickelt sich eine Freundschaft. Die beiden Freunde erkennen das besondere mathematische Talent des jungen Augustin; Lagrange empfiehlt aber zunächst den Besuch einer Schule mit humanistischem Schwerpunkt, weil er befürchtet: »Er wird ein großer Mathematiker werden, aber er wird kaum seine Muttersprache schreiben können.«

Mit 15 Jahren dann besucht Augustin Cauchy die École Polytechnique, lernt unter anderem Analysis bei André Marie Ampère, mit 18 Jahren tritt er in die Ingenieurschule für Brücken- und Straßenbau ein. Nach Abschluss des Studiums arbeitet er im Hafen von Cherbourg, von wo aus Napoleon seine Invasionsflotte nach England aussenden möchte. In seiner knappen Freizeit beschäftigt er sich mit mathematischen Fragen, reicht einen ersten wissenschaftlichen Beitrag zur Verallgemeinerung des Eulerschen Polyedersatzes ein. Die hohe Arbeitsbelastung verursacht bei ihm Phasen der Depression; sein Gesundheitszustand, der seit seiner frühen Kindheit, in der er unter Hunger zu leiden hatte, nicht zum Besten stand, verschlechtert sich. Erfolglos bewirbt er sich an verschiedenen Akademien in Paris um eine Stelle als Dozent.

Erst das Ende der napoleonischen Herrschaft öffnet ihm, dem strengen Katholiken und Monarchisten, den Weg zu einer Karriere; er wird Dozent, dann Professor an der École Polytechnique, gewinnt mit einem Beitrag zur Wellentheorie einen Wettbewerb der Akademie der Wissenschaften. Als Lazare Carnot (1753–1823) und Gaspard Monge (1746–1818) aus politischen Gründen aus der Akademie entlassen werden, wird er zum Mitglied dieser angesehenen Institution ernannt (nicht gewählt).

Seine mathematischen Veröffentlichungen beeindrucken die wissenschaftliche Welt, aber seine schroffen, arroganten, oft beleidigenden Umgangsformen erschweren die Zusammenarbeit mit ihm. Drei Jahre lang lässt er die von Niels Hendrik Abel (1802–1829) bei der Akademie eingereichten bahnbrechenden Papiere zur Algebra liegen und qualifiziert diese schließlich (nach dessen frühen Tod) sogar noch ab. Abel charakterisiert die beiden Seiten Cauchys in zutreffender Weise: »Cauchy ist verrückt und man kann nichts dagegen tun, aber er ist der Einzige, der weiß, wie man Mathematik machen sollte.«

Cauchy hält Vorlesungen zur Analysis; dabei definiert er, in einem strengeren Sinne als bisher üblich, den Begriff des Grenzwerts sowie Bedingungen für die Konvergenz von Reihen, die dann auch eine exakte Definition des Integrals ermöglichen. Bereits 1814 führt er als Erster komplexwertige Funktionen ein und stellt Bedingungen für deren Differenzierbarkeit auf (Cauchy-Riemannsche Differentialgleichungen). Er erweitert den Begriff des Integrals über einem Intervall in IR für Wege in der komplexen Zahlenebene und leitet Sätze für die Berechnung der Integrale für Rechteckwege her (Cauchyscher Integralsatz).

Die Ausarbeitungen seiner – fachlich revolutionären – Vorlesungen werden schnell in andere Sprachen übersetzt und gelten über Jahrzehnte als mathematische Standardwerke. Die Präzisierung der Begriffe findet keine große Gegenliebe bei seinen Studenten, die hieran nicht gewöhnt sind und seine (manchmal auch sprunghaften) Ausführungen für zu theoretisch halten; vor allem eckt er mit seiner konservativen politischen Grundeinstellung an und seinen in missionarischer Weise verkündeten streng religiösen Ansichten.

Der Sturz des Königs im Jahre 1830 veranlasst ihn zur Emigration: Er will auf den neuen (Bürger-) König Louis-Philippe keinen Treueeid schwören. In Turin bietet ihm der König von Piemont einen Lehrstuhl für theoretische Physik an. Er fühlt sich geehrt, in Prag als Mathematik- und Physiklehrer für den Enkel des französischen Ex-Königs tätig sein zu können; für diese  wohl nicht sehr erfolgreiche – Tätigkeit verleiht dieser ihm den Titel eines Barons, auf den er zukünftig großen Wert legt. Inwieweit er sich dort auch mit Bernard Bolzano austauscht, der ebenfalls eine präzisere Beweisführung in der Mathematik fordert, lässt sich heute nicht mehr klären. Nach seiner Rückkehr nach Paris wird er zwar wieder in die Akademie aufgenommen; es gelingt ihm jedoch nicht, irgendeinen der von ihm angestrebten Posten zu erhalten.

Die Zeit von 1839 bis 1848 ist Cauchys fruchtbarste Schaffenszeit: etwa 300 (von insgesamt 789) Schriften veröffentlicht er in der Zeitschrift der Akademie, sodass diese sich genötigt sieht, den Umfang der eingereichten Artikel zu begrenzen.

Nach der Februarrevolution 1848 kommen nicht – wie von Cauchy erhofft – die Bourbonen an die Macht, sondern Napoleon III. Dennoch erhält Cauchy wegen seiner unbestrittenen fachlichen Kompetenz eine Professur – diesmal ohne Treueeid. Seine letzten Jahre werden allerdings durch einen Prioritätenstreit überschattet, bei dem er rechthaberisch nicht zugeben will, dass ein anderer eine Idee vor ihm hatte.

Cauchy verdanken wir eine Fülle von mathematischen Sätzen und Kriterien, zum Beispiel das Cauchysche Konvergenzkriterium: Eine Folge \((a_n)_{n_{\in}\mathbb{N}}\) ist genau dann konvergent, wenn es für alle \(\varepsilon >0\) eine Nummer \(n_0\) gibt derart, dass für alle \(n,m \geq n_0\) gilt: \(|a_n; a_m|< \varepsilon\)

Er beweist die Konvergenz der geometrischen Reihe für \( q < 1 \) und leitet hieraus das nach ihm benannte Cauchysche Quotienten- beziehungsweise Wurzel-Kriterium her: Ist \( \left( \sum\limits_{k=0}^{n} a_k \right)\) \(_{n\in \mathbb{N}}\) eine Reihe mit lauter positiven Gliedern und gibt es eine Zahl \(0 < q < 1\), so dass von einer Stelle an \( n\sqrt{a_n} \leq q < 1\) beziehungsweise \( \frac{a_{n+1}}{a_n} \leq q \leq 1\) gilt, dann ist die Reihe konvergent.

Cauchyscher Verdichtungssatz: Die Reihe \( \left( \sum\limits_{k=0}^{n} a_k \right)_{n\in \mathbb{N}}\) konvergiert genau dann, wenn die Folge der Summen der Glieder \(1 \cdot a_1, 2 \cdot a_2, 4 \cdot a_4, ..\) also \( \left( \sum\limits_{k=0}^{n} 2^k a_{2^k} \right)_{n\in \mathbb{N}}\) konvergent ist.

Cauchyscher Produktsatz: Sind die Reihen \( \left( \sum\limits_{k=0}^{n} a_{k} \right)_{n\in \mathbb{N}}\) und \( \left( \sum\limits_{k=0}^{n} b_k \right)_{n\in \mathbb{N}}\) absolut konvergent gegen die Grenzwerte \(A\) beziehungsweise \(B\), dann ist auch die Produktreihe \( \left( \sum\limits_{k=0}^{n}(a_{0} b_{k} + a_{1} b_{k-1} + ... + a_{k} b_{0}) \right)_{n\in \mathbb{N}}\) absolut konvergent gegen den Grenzwert \(A \cdot B\).

Cauchy führt einen exakten Beweis des Satzes von Taylor, gibt eine Methode an, wie man den Konvergenzradius für diese Reihe bestimmen kann, außerdem eine Abschätzung des Fehlers bei Abbruch nach dem \(n\)-ten Summanden (Cauchysches Restglied).

Er zeigt, dass das geometrische Mittel von \(n\) Zahlen höchstens so groß ist wie das arithmetische Mittel \(n\sqrt{(a_1 \cdot a_2 \cdot ... \cdot a_n)} \leq \frac {1}{n} \cdot (a_1 + a_2 + ... + a_n)\) und beweist die nach ihm benannte Cauchy-Schwarzsche Ungleichung:

\((a_{1} b_{1} + ..+ a_{n}b_{n})^2 \leq (a_{1}^{2} +...+ a_{n}^{2}) \cdot (b_{1}^{2}+...+ b_{n}^{2})\)

Nach ihm ist auch die Verteilung einer stetigen Zufallsgröße benannt (Cauchy-Verteilung), die beschreibt, in welcher Entfernung \(x\) ein Strahl eine horizontale Linie im Abstand \(b = 1\) schneidet, wenn der Winkel \(\alpha\) zufällig zwischen \(-\pi /2\) und \(+\pi /2\) gewählt wird; die zugehörige Dichtefunktion ist \(f(x) = \frac {1}{\pi} \cdot \frac {1}{1+x^2}\)

Schließlich verfasst er auch noch eine große Zahl von Schriften über die Lösung von Funktionalgleichungen (Welche Typen von Funktionen erfüllen die Gleichungen \(f(x+y)=f(x)+f(y)\) bzw. \(f(x) \cdot f(y)\) bzw. \(f(x\cdot y) = f(x) +f(y)\) bzw. \(f(x \cdot y)=f(x) \cdot f(y)\) ?) sowie zu physikalischen Fragen, z. B. zur Elastizitäts- und Wellentheorie.

Mai 2007

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