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Der Mathematische Monatskalender: Blaise Pascal (1623–1662): Vater der Wahrscheinlichkeitsrechnung

Wie ist der Einsatz zweier Spieler aufzuteilen, wenn ein Spiel vorzeitig abgebrochen werden muss? Für dieses Problem des Luca Pacioli gab es unterschiedliche Lösungsvorschläge, die wir heute nicht als gerecht ansehen würden. Erst im Briefwechsel zwischen Blaise Pascal und Pierre de Fermat wurde ein Verfahren vorgeschlagen, das man als Lösung des Problems ansehen kann. Auch deshalb gelten beide heute als die "Väter der Wahrscheinlichkeitsrechnung".
Pascalsches Dreieck

Blaise Pascal wird als zweites Kind von Étienne Pascal, Richter am Steuergerichtshof in Clermont-Ferrand, geboren. Als die Mutter drei Jahre später stirbt, entscheidet sich der Vater, seine Kinder selbst zu unterrichten. 1632 verkauft er sein Richteramt und hofft, dass er mit dem so erlangten Vermögen ein Leben in der französischen Hauptstadt bestreiten kann.

Étienne Pascal selbst ist sehr an mathematischen Problemen interessiert (nach ihm wird eine besondere algebraische Kurve als Pascalsche Schnecke. Er nimmt regelmäßig an den berühmten wissenschaftlichen »Gesprächsrunden« des Franziskanermönchs, Theologen, Musikwissenschaftlers und Mathematikers Marin Mersenne (1588–1648) teil; seinen kränklichen Sohn will er allerdings nicht mit Mathematik belasten – auch, damit dieser zuerst einmal Latein und Griechisch lernt –, bis Blaise von sich aus Fragen zur Geometrie stellt und er ihn nicht länger von der Mathematik »fernhalten« kann. Angeregt durch Beiträge von Girard Desargues (1591 – 1661) legt Blaise Pascal im Alter von 16 Jahren der Mersenneschen Runde ein Papier über Kegelschnitte vor (»Essai pour les coniques«), das später von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) erwähnt wird (es ist leider verloren gegangen).

Bedingt durch die Verluste, die dem französischen Staat durch den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) entstehen, verringert sich auch das Vermögen Étienne Pascals zusehends. Er übernimmt 1639 das Amt des Steuereintreibers für die Normandie. Sein Sohn Blaise entwickelt für die aufwändigen Additionen und Subtraktionen bei der Steuerberechnung eine mechanische Rechenmaschine. Das Modell kann er mehrfach verbessern; schließlich bewältigt »La Pascaline« sogar das Umrechnen zwischen den Einheiten der französischen Währung (1 livre = 20 sols; 1 sol = 12 deniers), jedoch arbeitet sie aufgrund mechanischer Probleme nicht immer zuverlässig.

Angeregt durch Experimente von Evangelista Torricelli (1608–1647), führt Blaise Pascal im Jahr 1646 zahlreiche Versuche durch, erkennt das Gesetz des hydrostatischen Gleichgewichts in Flüssigkeiten und das Prinzip der kommunizierenden Röhren, zeigt die Abnahme des Luftdrucks mit steigender Höhe und beweist die Existenz eines Vakuums (»Traité de vide«), was seit Aristoteles beharrlich abgelehnt wurde (»horror vacui«). Trotz der Eindeutigkeit der Ergebnisse lassen sich Zeitgenossen wie René Descartes nicht überzeugen; polemisch schreibt dieser in einem Brief an Christiaan Huygens, dass Pascal wohl »... zuviel Vakuum in seinem Gehirn habe ...«.

Ein Ereignis des Jahres 1646 verändert das Leben der Familie Pascal grundlegend: Nach einem schweren Unfall muss der Vater drei Monate lang von Ärzten betreut werden. Diese sind nicht nur medizinisch erfolgreich; sie gewinnen die gesamte Familie für die katholische Reformbewegung des Jansenismus. Blaise Pascal ist von dieser Zeit an tief religiös, beschäftigt sich jedoch zunächst noch weiter mit mathematischen Problemen; eine seiner Schwestern entschließt sich, in das Kloster der Jansenisten, Port-Royal in Paris, einzutreten.

Pascal greift 1647 noch einmal das Thema »Kegelschnitte« auf. Eine Schrift enthält unter anderem den folgenden Satz (Satz von Pascal): In einem Sehnensechseck, dessen Eckpunkte A, B, C, D, E, F Punkte eines Kegelschnitts (hier: eines Kreises) sind, liegen die Schnittpunkte je zweier Paare von gegenüberliegenden Seiten (also AB und DE, BC und EF, CD und AF) auf einer Geraden. Pascal zeigt, dass dieser Satz auch gilt, wenn die Punkte nicht in der alphabetischen Reihenfolge angeordnet sind.

Der Briefwechsel von Blaise Pascal mit Pierre de Fermat (1607–1665) aus dem Jahr 1654 – angeregt durch den Chevalier de Méré – gilt als die Geburtsstunde der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Beide finden auf unterschiedlichen Wegen eine Lösung für das Problem des Luca Pacioli: »Wie ist der Einsatz zweier Spieler aufzuteilen, wenn ein Spiel vorzeitig abgebrochen werden muss?« Eine der Lösungen Pascals erfolgt durch rekursive Berechnung der Gewinnchancen:

Wenn ein Spiel, bei dem 3 Punkte zum Sieg genügen, beim Spielstand von 2:1 abgebrochen wird, erhält der erste Spieler den gesamten Einsatz, wenn er den nächsten Satz gewinnt – wenn der zweite Spieler gewinnt, sind die Chancen der beiden Spieler wieder gleich groß. Daher stehen die Gewinnchancen wie 3 zu 1. Wenn bei einem Spielstand von 2:0 der erste Spieler den nächsten Satz gewinnt, erhält er den gesamten Einsatz; wenn der zweite Spieler den Satz gewinnt, steht es 2:1 – hierfür sind die Chancen oben berechnet worden. Beim Stand von 1:0 kann der nächste Satz an den ersten Spieler gehen und es steht 2:0 (Aufteilung siehe oben) – oder an den zweiten Spieler und beide haben gleiche Chancen zu gewinnen und so weiter.

Ein anderer Lösungsweg Pascals knüpft an seine intensive Beschäftigung mit einem besonderen Zahlendreieck (»triangle arithmétique«) an; er zeigt, dass sich das Verhältnis der gerechten Aufteilung aus den Zahlen dieses Dreiecks ablesen lässt. Zum Beispiel: Ein Spiel werde beim Punktestand von 3:2 abgebrochen; wer zuerst 5 Punkte erzielt, hat gewonnen. Lösungsidee: Das Spiel hätte noch maximal 4 Runden weitergehen können. Die fehlenden Spielrunden werden durch einen Münzwurf ersetzt. In der Grafik sind 4 Runden dargestellt – auch diejenigen, in denen der Münzwurf hätte früher beendet werden können. Zu den Endergebnissen nach 4 Runden führen 1 + 4 + 6 beziehungsweise 4 + 1 Wege. Der Spieleinsatz ist also im Verhältnis 11 zu 5 zwischen den Spielern aufzuteilen.

Pascal erkennt auch, dass man eher eine Sechs beim vierfachen Würfeln (51,8 Prozent) als einen Sechser-Pasch beim 24-fachen Doppelwurf (49,1 Prozent) erzielen kann; ihm erscheint dies allerdings unlogisch (»l'arithmétique se démentoit«), da doch die Zahlenverhältnisse (4 z  6 und 24 zu 36) gleich seien.

Das »arithmetische Dreieck«, das wir heute »Pascalsches Dreieck« nennen, ist zwar nicht von Pascal »entdeckt« worden; er ist jedoch der Erste, der sich intensiv mit den Eigenschaften der Binomialkoeffizienten beschäftigt und Beweise führt; dabei bedient er sich des Verfahrens der vollständigen Induktion.

Nach einer »mystischen Erfahrung« im November 1656 zieht sich Pascal vorübergehend ins Kloster Port-Royal zurück und widmet sich philosophischen und theologischen Fragen. Er verfasst unter Pseudonym Streitschriften gegen die Jesuiten (»Lettres provinciales«), die sich – trotz königlichen und kirchlichen Verbots – sehr schnell verbreiten; Sprachwissenschaftler bezeichnen sie wegen der brillanten Formulierungen als den Beginn der modernen französischen Prosa. Eine Abhandlung über den christlichen Glauben (»Pensées sur la religion«) kann Pascal aufgrund seiner sich rapide verschlechternden Gesundheit nicht mehr vollenden. Einer der »Gedanken« ist die berühmte »Pascalsche Wette«: »Der Glaube an Gott ist nicht nur richtig, sondern auch vernünftig: Wenn Gott nicht existiert, dann verliert man nichts, wenn man dennoch an ihn glaubt; aber wenn Gott existiert, verliert man alles, wenn man nicht glaubt.«

Sein letztes mathematisches Werk – entstanden in einer Nacht des Jahres 1658, in der er vor Schmerzen nicht schlafen kann – befasst sich mit Zykloiden, das sind Ortskurven von Punkten auf einem rollenden Rad. Diese lassen sich durch eine Parametergleichung beschreiben: \(x(t) = r\cdot t – a \cdot \sin(t)\) und \(y(t) = r – a \cdot \cos(t)\). Es gelingt ihm nicht nur, die Bogenlänge und die Fläche unter den Graphen sowie deren Schwerpunkt zu berechnen, sondern auch das Volumen und die Oberfläche desjenigen Körpers zu bestimmen, der bei Rotation um die x-Achse entsteht (hier: a = r = 1).

Blaise Pascal (1623-1662)

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