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Tagebuch: Wenn Forschungsträume wahr werden

Wer weiß schon, dass die Bezeichnung „Seidenstraße“ erst aus dem 19. Jahrhundert stammt? Ferdinand von Richthofen (1833–1905) prägte das Wort für die alte Handelsroute vom Mittelmeer durch Zentralasien ins Herz Chinas. Der bedeutende deutsche Geograf und Geologe hatte diese Regionen lange bereist.

Eher dürften viele Menschen eine vage Vorstellung davon haben, dass die Kontakte zwischen China und dem westlichen Eurasien nicht über eine einzige Karawanenstraße liefen. Zumindest eine nördliche und eine südliche Route entlang der Taklamakan-Wüste nördlich Tibets mag mancher von der Landkarte in Erinnerung haben.

Wie verzweigt und weit in andere asiatische Regionen vernetzt dieses Wegsystem inmitten Asiens tatsächlich war, vermittelt die Ausstellung „Ursprünge der Seidenstraße – Sensationelle Neufunde aus Xinjiang, China“ der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, die nach ihrer ersten Station in Berlin im Martin-Gropius-Bau jetzt in Mannheim zu sehen ist. Genau genommen müsste man im Plural von den Seidenstraßen sprechen.

Die feierliche Eröffnung in Mannheim am 7. Februar ließ den hohen wissenschaftlichen Wert der gezeigten Objekte, zugleich aber auch die kulturpolitische Bedeutung dieser Präsentation ahnen. Im Beisein des Bundespräsidenten entnahmen die Besucher aus den Grußworten und Dankesreden hochrangiger politischer Vertreter Chinas und Deutschlands sowie der Veranstalter, dass diese Ausstellung von Wissenschaftlern und Diplomaten über viele Jahre vorbereitet wurde und dass langjährige, intensive wissenschaftliche Kontakte beider Länder zueinander vorausgingen.

Der Gang durch die Ausstellung überzeugt davon, dass die Redner in ihrem Enthusiasmus nicht übertrieben haben. Sämtliche gezeigten Fundstücke stammen aus der westchinesischen Provinz Xinjiang, die im Nordwesten an Staaten der ehemaligen Sowjetunion grenzt. Wissenschaftlich sind diese Objekte hochaktuell. Viele davon haben chinesische Archäologen erst in den letzten Jahren ausgegraben. Zum ersten Mal überhaupt werden sie jetzt in dieser Zusammenschau vorgestellt.

Die vielerlei Skulpturen, Geräte, Waffen, Kleidungs- und Schmuckstücke stammen überwiegend von 1500 bis 4000 Jahre alten Gräberfeldern, die Forscher im Einzugsbereich von Oasen an den alten Handelsstraßen durch Wüsten- und Gebirgslandschaften zunehmend entdecken. So zeigt sich immer klarer, wie lange die Routen schon genutzt wurden und einen bisher nicht geahnten Menschen- und Kulturaustausch zwischen Ost und West, Nord und Süd brachten, der weit in die vorbuddhistische Zeit zurückreicht.
Austattung eines Verstorbenen ... | ... mit Wollkaftan, bestickten Hosen und weißer Gesichtsmaske. Der Fund stammt aus der östlichen Han- bis Jin-Zeit (25 bis 420 n. Chr.)
Der Besucher staunt, wie gut sich die Objekte erhalten haben. Das extrem trockene Wüstenklima hat selbst die Strukturen und Farben der Kleidungsstücke bewahrt. Die kunstvoll gewirkten Gewänder aus Wolle oder Seide gehören für mich zum Schönsten dieser Ausstellung. Die Forscher erkennen an den unterschiedlichen Mustern und Webweisen die verschiedensten kulturellen Einflüsse. Verblüfft betrachtet man etwa zwei wie Bilder gewirkte Figuren auf einem Hosenstoff, der wohl von einem Vorhang stammt. Der Krieger mit seiner Lanze und der Kentaur darüber sprechen für eine Herkunft aus dem griechischen Kulturraum.
Kentaure und Krieger | Fragment eines Wandbehangs. Der Fund aus der Han-Zeit (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) zeigt einen Flöte spielenden Kentauren und einen mit einer Lanze bewaffneten Krieger.
Atemberaubend ist das reich gewirkte Gewand eines sehr großen Mannes, der vermutlich aus weiter westlichen Regionen stammte – das schließen die Anthropologen zumindest aus den Gesichtszügen der Mumie. Bei der Bestattung war das Gesicht von einer goldverzierten Totenmaske verdeckt. Gruselig wirken die wenigen gezeigten Mumien wegen der guten Erhaltung übrigens nicht. Einen fest in leuchtend blaue und rote Wolle gewickelten Säugling möchte man fast in den Arm nehmen.
Mumie eines Babys | Der Körper des acht bis zehn Monate alten weiblichen Babys ist in dunkelroten Wollstoff gehüllt, der Kopf mit einem zweilagigen Häubchen aus Wollvlies bedeckt (ca. 800 v. Chr.).
Ihr geheimnisvolles Flair verlieren die alten innerasiatischen Handelswege nun dennoch nicht. Gerade im Gegenteil geben die umfangreichen neuen Funde ihrerseits viele Rätsel auf, wie die Aussteller betonen. Erst durch die neuen Grabungen wird langsam erkennbar, welch eine Vielfalt an Kulturen in diesem Raum schon in der Bronzezeit herrschte, lange bevor die Chinesen diese Wege kontrollierten.

Man darf gespannt sein, was die Archäologen und vielen anderen beteiligten Forscher nicht nur über die Bevölkerungen vor Ort, sondern auch über die sozialen, kulturellen und materiellen Kontakte in vorhistorischer Zeit weiter herausfinden. Die vertiefenden Texte des ausführlichen Ausstellungskatalogs – ein Genuss für sich – sind durchaus angetan, noch mehr in diese alte Welt einzutauchen. Die Ausstellung wird bis zum 1. Juni 2008 laufen.

Adelheid Stahnke
Redakteurin Spektrum der Wissenschaft

Hinweis: In der linken Leiste finden Sie einen Link auf die vollständige Bildergalerie auf www.spektrumdirekt.de

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