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Tagebuch: Zeilingers Weihnachtskolloquium

Am vergangenen Freitag war ich einer von über 300 Besuchern, die Anton Zeilingers Weihnachtskolloquium an der Universität Heidelberg besuchten. Der österreichische Quantenphysiker und Professor von der Universität Wien sprach über die neuen und alten Rätsel der Quantenmechanik – er selbst ist besonders für seine Versuche zur Quantenteleportation bekannt. Mit dem berühmten EPR-Paradoxon führte er uns gleich hinein in einige der zentralen Fragen der Theorie.

Gibt es eine "spukhafte Fernwirkung"?

1935 war es, so berichtet Zeilinger, als Albert Einstein, Boris Podolski und Nathan Rosen ihre berühmte Schrift mit dem elaborierten Titel "Can Quantum-Mechanical Description of Physical Reality Be Considered Complete?" veröffentlichten. Ein philosophischer Titel, der damals keineswegs gleich jene Aufmerksamkeit auf sich zog, die wir ihm heute zukommen lassen: gerade einmal eine Zitation pro Jahr erhielt er – heute sind es 200.



Quantenmechanische Würfel | Quantenmechanische Würfel wissen alles voneinander – wie weit sie auch entfernt sein mögen.
Der Inhalt des berühmten EPR-Papers ist nicht ganz einfach zu verstehen – Zeilinger aber findet dafür ein hübsches Bild. Er stellt den Hörern zwei "quantenmechanische Würfel" vor. Nehmen wir an, beginnt er, diese Würfel würden irgendwann miteinander wechselwirken und sich dann beliebig weit voneinander entfernen. Wären es klassische Objekte, so könnten wir den einen werfen, ohne dass es den anderen beeinflusste. Quantenmechanische Objekte verhalten sich jedoch anders. Würfelten wir mit dem einen eine 6, so wüssten wir, dass der jetzt andere auch mit 100%iger Sicherheit eine 6 zeigt. Genauso bei einer 3 oder anderen Zahl. Ganz gleich wie weit entfernt – die Würfel würden voneinander wissen und sich korreliert verhalten. So etwas ist in der klassischen Physik grundsätzlich unmöglich.

Wenn sich ein klassisches Objekt identisch zu seinem entfernten Partner verhält, dann nur, weil beide diese speziellen Eigenschaften seit dem Augenblick der Wechselwirkung mit sich tragen. In der Quantenmechanik entscheidet erst die Messung über die Eigenschaft – wie diese Information dann an das Partnerteilchen gelangt, bleibt rätselhaft.

Bertlmanns Socken sind nicht quantenmechanisch

Um zu veranschaulichen, wie wir uns das mit den quantenmechanischen Eigenschaften vorstellen müssen, erzählt Zeilinger den Hörern die Geschichte von Bertelmanns Socken, die sich gerade nicht quantenmechanisch verhalten.

Bertlmanns Socken... | ... sind seltsam, aber nicht quantenmechanisch.
Bertlmann, so erfahren wir, trage aus Protest grundsätzlich verschiedenfarbige Socken. Wenn er also hinter einer Ecke vorkommt und Sie sehen einen rosa Socken, so wissen Sie, dass der zweite nicht rosa sein wird. Das liegt daran, dass Bertlmann seine Socken am Morgen entsprechend angezogen hat. Wären es jedoch quantenmechanische Socken, so könnte man vor der Messung nichts über die Farbe der Socken aussagen. Sie wären nicht bereits "am Morgen" festgelegt, sondern entstünden erst im Augenblick der Messung.

Einstein sucht nach lokaler Realität

Einstein hat sich in diesem Problemkreis an zwei Dingen gestört: Einmal an der "spukhaften Fernwirkung" mit der quantenmechanische Objekte auch bei weitester Entfernung instantan voneinander Bescheid wissen – und zum anderen an den spontan und unvorhersagbar beim Messprozess entstehenden Eigenschaften. Auf letzteres hin formulierte er seinen berühmten Satz: "Gott würfelt nicht". Niels Bohr jedoch war damit nicht einverstanden. Er hielt ihm entgegen: "Hören Sie doch endlich auf, dem Herrn Vorschriften zu machen!" Dieser Aussage schließt Zeilinger sich an und kommentiert schmunzelnd, dass Gott möglicherweise an einer Welt, in der er selbst überrascht wird, mehr Spaß habe.

Für Einstein, Podolski und Rosen blieben die quantenmechanischen korrelierten Würfel lebenslang problematisch. Den Physikern schien hier entweder eine Kommunikation mit Überlichtgeschwindigkeit vorzuliegen, oder doch klassische verborgene Eigenschaften – in jedem Fall aber hielten sie die Quantenmechanik für unvollständig, weil diese keines von beidem erklären konnte.

Anton Zeilinger | Anton Zeilinger ist 1997 die erste experimentelle Weitstrecken-Teleportation mit Photonen gelungen.
Einstein legte insbesondere großen Wert darauf, dass Messergebnisse unabhängig davon sind, was irgendwo anders im Universum geschieht – schließlich wollte er nicht an Überlichtgeschwindigkeitssignale glauben. Diese Position ist heute als "Einstein-Lokalität" bekannt.

Aspect will die Kommunikation zwischen den Teilchen verhindern

An dieser Stelle führt Zeilinger die berühmten Aspect-Experimente aus dem Jahr 1982 ein. Obwohl kompliziert, kann er seinen Zuhörern doch den entscheidenden Punkt vermitteln: Mit seinem Experiment versuchte der französische Physiker Alain Aspect zu verhindern, dass verschränkte Teilchen über ein Signal miteinander kommunizieren. Dazu verkürzt er die Zeit, die sie für ein Signal hätten, auf ein Minimum.

Erst ganz kurz bevor das eine Photon gemessen wird, entscheidet ein Zufallsgenerator darüber, auf welche Weise es gemessen wird – dadurch hat das Photon nahezu keine "Zeit" mehr, sein Partnerteilchen zu informieren. Aspects Experimente bestätigen jedoch nur eins: Dass nämlich die Teilchen trotzdem voneinander wissen – geschähe dies über ein Signal, müsste es allerdings mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit reisen.

Der Traum vom Beamen

Zum Beamen werde er am häufigsten befragt, gibt Zeilinger zu. Gemeint ist damit jene aus Science-Fiction-Filmen bekannte Transportation, bei der ein Objekt vom Anfangs- zum Endpunkt gelangt, ohne dabei den physisch dazwischen liegenden Raum zu durchqueren. Über die "Erfindung" weiß Zeilinger amüsanterweise zu berichten, dass die Filmemacher es einst nur einführten, um die hohen Produktionskosten der Darstellung einer Landung auf einem fremden Planeten zu vermeiden.

So einfach wie im Film sei die Durchführung in der Realität leider nicht. Das Prinzip sei dabei einfacher als dessen Umsetzung: Information auslesen – Information übertragen – Objekt wieder zusammensetzen. Das große Problem, so Zeilinger, liege schon im ersten Schritt: man könne ein quantenmechanisches Objekt nicht exakt auslesen. Dies verhindere die Heisenbergsche Unschärferelation. Die Filmemacher hätten dafür den "Heisenberg-Kompensator" erfunden, schmunzelt er. Zum Vergnügen des Publikums fügt er die Anekdote hinzu, wie einst ein Journalist den Regisseur fragte, wie denn der Heisenberg-Kompensator funktioniere. Jener habe sehr "politisch" geantwortet: "Very well, thank you".

Quantenteleportation | Über den klassischen Kanal soll ein Objekt teleportiert werden – dazu wird es in eine quantenmechanische Verschränkung "eingeklinkt".
Trotz aller Schwierigkeiten sei das Beamen jedoch nicht unmöglich. Man müsse nur den ersten Schritt umgehen, erklärt Zeilinger, und die Information übertragen, ohne sie vorher zu messen. Man verschränke also zunächst Anfangs- und Schlusspunkt der Teleportation miteinander (Quantenkanal) und damit wiederum das zu teleportierende Objekt. Dessen Eigenschaften würden dadurch auf den Schlusspunkt übertragen (klassischer Kanal). Leider sei eine genauere Erklärung für den Weihnachtsvortrag zu kompliziert, meint Zeilinger, und wirft ein tatsächlich kompliziert aussehendes Schaubild an die Leinwand.

Interessant beim Beamen sei, dass das zu teleportierende Objekt an seinem Platz bleibt und nur seine Information übertragen wird, erläutert er. Man kann sich also fragen, ob das Objekt am Endpunkt dasselbe ist wie das Ausgangsobjekt. Zeilinger bezieht hier klar Stellung: Für ihn ist die Information alles, die "Essenz". Er vergleicht es sogar mit "der Seele". Operativ seien Anfangs- und Endobjekt nicht zu unterscheiden und somit seiner Meinung nach identisch.

Von Insel zu Insel – Kryptografie über 144 km | Zwischen La Palma und Teneriffa können Photonen instantan kommunizieren.
Verschränkung findet heute schon manche Anwendung – beispielsweise in der Quantenkryptografie. Für Anton Zeilinger ist es eine spannende Herausforderung, diese Technologie über immer noch größere Entferungen zu ermöglichen. Auf einer Folie zeigt er seinem Publikum eines seiner neuesten Experimente, bei dem eine Verschränkung über 144 Kilometer hinweg durchgeführt wird. Für ihn wäre das Ziel eine Übertragung per Satellit – was aber noch nicht umsetzbar ist.

Wie ist die Welt jetzt "wirklich"?

Wenn es aber darum geht, zu erklären, wie die Welt nun "wirklich" aussieht auf der Ebene der Quanten, ist auch ein Zeilinger ratlos. Ist nun David Bohms Theorie aus den 50er Jahren richtig, bei der ein Punktteilchen existiert, das auf einer Welle reitet? Oder muss man sich das Teilchen als tatsächlich heisenbergsch verschwommen vorstellen? Und wie kommunizieren die verschränkten Teilchen miteinander? Mit Überlichtgeschwindigkeit-Signalen oder mit Botschaften in die Vergangenheit?

Wichtig sei, dass man nicht aufhöre, zu fragen, sagt Zeilinger. Das Verlangen danach, den Prinzipien des Universums in die Karten zu blicken, habe auch Albert Einstein nie verlassen. Und so beendet Zeilinger seinen Vortrag mit einem Zitat des späten Einstein:

Einstein-Zitat
"Ich möchte wissen, wie Gott diese Welt erschaffen hat... Ich bin nicht an dem einen oder anderen Phänomen interessiert... Ich möchte Seine Gedanken kennen, alles übrige sind nur Einzelheiten." (A. Einstein)

Vera Spillner

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