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Ähnelt unser Fingerabdruck dem von Verwandten mehr als dem eines Fremden?

Zwar haben keine zwei Menschen wirklich identische Fingerabdrücke - geschulte Experten erkennen aber dennoch gewisse Ähnlichkeiten etwa zwischen den Abdrücken von Eltern und Kindern. Tatsächlich wachsen sogar mit der genetischen Ähnlichkeit zweier Personen erkennbar auch äußerliche Gemeinsamkeiten der Riefen und Rillen auf den Fingerkuppen - von einfachen Geschwistern über zweieiige hin zu eineiigen Zwillingen. Irgendetwas muss also selbst am legendär individuellen Muster der Finger vererbbar sein.

Fingerabdrücke entstehen wegen einer anatomischen Luxusausstattung von Primaten, also Menschen und Affen: Ihre Finger- und Zehenkuppen sind mit einer geriffelten Oberfläche versehen, die beim Kontakt mit glatten Gegenständen die Reibung erhöht und damit einen abrutschsichereren Zugriff ermöglicht. Das charakteristische Riffelmuster wird dabei durch feine, lang gezogene, gekurvte Papillarleisten auf der Haut gebildet. Einmal vor der Geburt angelegt, bleibt der Verlauf dieses Rillenmusters dann unser ganzes Leben lang gleich, solange es nicht – zum Beispiel durch eine Narbe – gewaltsam gestört wird.

Auf den zweiten Blick lässt sich der Verlauf der Rillen grob in drei Schubladen unterbringen: Man erkennt in Schleifen, Bögen oder wirteligen Windungen angelegte Mustergruppen. Auf den zehn Fingern finden sich mal alle, mal aber auch nur eines oder zwei dieser Grundmuster. Entscheidend für Kriminaltechniker und Fingerabdruck-Scanner ist jedoch: Nur an dieser Grobmusterverteilung im Gesamtbild können noch keine Individuen erkannt werden. Einzigartig wird der Abdruck erst durch feinste Details, die so genannten Minutien.

Unter diese Minutien fallen etwa die genauen Verläufe der schleifenförmigen, gebogenen oder gewirtelten Rillen sowie der Verzweigungen der Papillarleisten die Form von feinsten Knittelfalten und die Endungen, an denen einzelne zusammenstoßende Riefen in einen gemeinsamen Grat übergehen. Diese individuumsspezifischen Feinheiten zu erkennen, macht die Dermatoglyphie – die Kunst des Handrillenlesens – zur sehr exakten Wissenschaft.

Schon den ersten wissenschaftlichen Dermatoglyphie-Pionieren ist aufgefallen, dass sich die Grobmuster von Verwandten zwar irgendwie ähneln, die feinen minutiösen Details – die den Fingerabdruck einzigartig machen – allerdings überhaupt nicht. Warum werden also bestimmte Anteile des Abdrucks genetisch und vererbbar festgelegt, andere hingegen nicht? Der Grund liegt im Timing und der Phase der Embryonalentwicklung des Menschen, in der dessen Finger Rillenmuster eingeprägt bekommen. Dies erfolgt in zwei unabhängig voneinander einsetzenden Prozessen, die von der 10. bis zur 15. Woche der Schwangerschaft ablaufen.

Zunächst beginnt sich auf der volaren, also hohlhandseitigen Ebene der zukünftigen Finger eine Gewebeschicht mit glatter Oberfläche vorzuwölben – sie besteht aus mesenchymalen Zellen, die im gesamten Körper immer die Vorreiter von Blutgefäßen und Bindegewebe sind. Um die 10. Woche endet dieses erste Aufschwellen, während gleichzeitig die gesamte Hand stetig weiterwächst. Schließlich führt das dazu, dass diese volaren Mesenchym-Pölsterchen vollständig reabsorbiert und überwachsen werden.

Zur selben Zeit haben auch die ersten Rillenspuren begonnen, an Ort und Stelle sichtbar zu werden. Diese primären Rillen bilden sich mehr oder weniger zufällig, ihr Verlauf wird nun jedoch durch die Geometrie und Topografie der gerade im Verschwinden begriffenen Mesenchym-Wölbungen festgelegt. Sind diese Polster zum Beispiel noch ausgeprägt, dann bilden sich eher wirbelige Rillen-Grundmuster; sind sie schon stärker eingeschmolzen, entstehen eher Schleifen; über fast vollständig verschwundenen Mesenchym-Resten finden sich dagegen später Bögen.

Was genau das Timing der verschiedenen Prozesse steuert, ist noch nicht völlig klar. Spekuliert wird beispielsweise darüber, ob die Ernährung der Mutter dabei eine Rolle spielt. Ganz sicher aber steuert auch das genetisch vererbte Programm der Eltern, wann welcher Entwicklungsschritt einsetzt – und sorgt so dafür, dass die Grobmuster der Fingerabdrücke sich später bei Verwandten ähneln. Alles nach dem Einritzen der ersten Rillen in den dann für immer festgelegten Grobmustern läuft dagegen völlig zufällig und ohne eine genetisch bestimmte Ordnung ab – erst jetzt werden die grob vorgezeichneten Rillenwege exakt festgelegt, und die feinen Minutiendetails entstehen in hochindividueller Weise.

An eineiigen Zwillingen ist dies recht gut nachzuvollziehen: Die mit exakt identischer DNA ausgestatteten Geschwister folgen dem gleichen genetischen Entwicklungsprogramm und Timing – weswegen ihre Fingerabdrücke auch sehr ähnliche Anteile an Schleifen-, Bogen- oder Wirbelmustern aufweisen. Ein genauer Blick macht dann jedoch deutlich, dass grobe Musterähnlichkeiten durch Unterschiede im Detail einzigartig werden.

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