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Macht Stress graue Haare?

Der Überlieferung zufolge färbten sich die Haare von Königin Marie Antoinette über Nacht schneeweiß – und das Ganze dreimal innerhalb von zwei Jahren. Die Anlässe hatten es in sich: Während der Französischen Revolution missglückte erst ein Fluchtversuch, dann wurde ihr Mann hingerichtet, und schließlich verlor sie selbst ihr Leben auf dem Schafott. Bleicht psychischer Stress also wirklich die Haare, oder ist alles nur Legende?

In der Realität entfärbt sich die gesamte Haarpracht nicht einfach spontan – zumindest nicht über Nacht. Denn Haare leben nicht und können sich deshalb auch nicht selbst ausbleichen. Für die individuelle Farbe auf unserem Kopf sorgen Pigmentzellen in der Haarwurzel. Je älter ein Mensch ist, desto weniger Pigmente werden in seine Haare eingebaut – Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die nachlassende Fähigkeit der Zellen, sich gegen oxidativen Stress zu schützen, hierfür ein wichtiger Faktor ist.

Ein Mitteleuropäer bleibt durchschnittlich bis zu seinem 35. Lebensjahr von grauen Haaren verschont, während Asiaten und Afrikaner ihre dunklen Haare deutlich länger behalten dürfen. Ob die ersten silbernen Strähnchen eher früher oder später auftauchen, ist überwiegend genetisch bedingt. Wenn Eltern behaupten, sie würden ihrer Kinder wegen graue Haare bekommen, trifft also oft genauso das Gegenteil zu.

Ganz haltlos ist der elterliche Vorwurf aber nicht, denn psychischer Stress kann sich durchaus in den Haarwurzeln niederschlagen – auch in den Pigmentzellen. Diesen Zusammenhang kennt Annika Vogt, Leiterin der Forschungsabteilung des Haarkompetenz-Zentrums der Charité in Berlin, nicht nur aus klinischen Studien, sondern auch von Ergebnissen der experimentellen Forschung. Die Haarwurzeln sind von einem engmaschigen Nervennetz umgeben und reagieren in vielfältiger Weise auf Stressbotenstoffe, die sogar in der Haarwurzel direkt gebildet werden können. Ihre Wirkung beschränkt sich nicht nur auf die Pigmentzellen, sondern betrifft auch die haarproduzierenden Zellen insgesamt. So kann Stress nicht nur die Haare verfärben, sondern ebenso akuten Haarausfall verursachen.

Stressbedingter Haarausfall entsteht, wenn in Phasen starker psychischer Belastung viele Haarwurzeln gleichzeitig die Produktion einstellen und in die Ruhephase eintreten. Dadurch fallen später viele Haare auf einmal aus, anstatt sich nach und nach zu erneuern. Solche spontanen Haarausfälle könnten auch der Ursprung für Mythen wie den um die weißen Haare von Marie Antoinette sein, vermutet Vogt. "Eine graue Haarfarbe ist immer ein Gemisch aus dunklen und weißen Haaren. Fallen die dunklen Haare wegen einer Wachstumsstörung vermehrt aus, wirkt es, als sei die Person über Nacht weißhaarig geworden."

Die Mechanismen hinter der Graufärbung ähneln vermutlich denen des Haarausfalls. Wer seine ersten weißen Strähnchen auf akuten Stress zurückführt, irrt sich jedoch. Da Haare nur etwa einen Zentimeter pro Monat wachsen, liegt der eigentliche Grund schon einige Zeit zurück, wenn die Graufärbung entdeckt wird. "Bei der Ursachenforschung sollte man eher an die letzten drei Monate denken als an die letzte Woche", rät Vogt. In jedem Fall sollte man bei starkem Haarausfall oder plötzlicher Graufärbung ärztlichen Rat einzuholen, um Ursachen wie andere Störungen der Haarbildung oder zu Grunde liegende innere Erkrankungen auszuschließen.

Hat tatsächlich allein der Stress in den Haaren seine Spuren hinterlassen, ist das noch kein Grund, in Panik zu geraten. Gesundheitsfördernde Maßnahmen wie eine ausgewogene Ernährung, viel Bewegung und wenig Nikotin oder Alkohol unterstützen die Haare dabei, sich zu erholen. Mangel von einzelnen Vitaminen ist bei den Betroffenen nur selten ein Problem, so dass für gesunde Menschen laut Vogt eine frische, ausgewogene Kost ausreichend ist. Und natürlich sollte der ursächliche Stress möglichst reduziert werden. "Bei der gezielten Umstellung der Lebensgewohnheiten kann gegebenenfalls auch professionelle Unterstützung ratsam sein. Haut und Haare sind immer auch ein Spiegel der Seele", so die Ärztin.

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