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Freudentränen: Warum weinen wir vor Glück?

Warum wir auch in fröhlichen Momenten manchmal weinen, erklärt der niederländische Forscher Ad Vingerhoets.
Pure Freude?
Tränengetrübtes Glück | Heiraten bedeutet auch Abschied nehmen – fließen deswegen manchmal die Tränen am Traualtar?

Ein sportlicher Erfolg, die Geburt des eigenen Nachwuchses oder der Gang vor den Traualtar: Es sind keineswegs nur traurige Momente, die uns zu Tränen rühren. Wieso ist das so?

Nun, vielleicht ist Weinen gar kein Ausdruck von Trauer – wie landläufig angenommen –, sondern vielmehr von Machtlosigkeit. So beginnen manche Menschen zu weinen, wenn sie in einem Konflikt eine unbändige, hilflose Wut verspüren. Der englische Philosoph Thomas Hobbes vermutete schon im 17. Jahrhundert, dass Kinder öfter weinen, weil sie sich häufiger hilflos fühlen.

Um diese Hypothese zu überprüfen, baten meine Kollegen und ich Studierende aus 35 Ländern, die Umstände zu beschreiben, unter denen sie das letzte Mal geweint hatten. Tatsächlich war es oft so, dass sich die Teilnehmer in tränenreichen Momenten ärgerten und ohnmächtig fühlten oder dass sie traurig waren und sich machtlos fühlten. Wenn Menschen vor Glück weinen, könnte etwas ganz Ähnliches geschehen: Vom Glücksgefühl überwältigt, wissen sie nicht, wie sie reagieren und ihrer Freude Ausdruck verleihen sollen.

Gibt es überhaupt echte "Freudentränen"?

Laut einer anderen Theorie weinen Menschen grundsätzlich nicht aus Freude. Wenn in einer eigentlich fröhlichen Situation Tränen fließen, so nur, weil es hinter all dem Glück noch eine traurige Geschichte gibt. Die niederländische Dressurreiterin Anky van Grunsven weinte beispielsweise bitterlich, als sie bei der Siegerehrung in Athen ihre olympische Goldmedaille überreicht bekam. Später erklärte sie: Ihr Vater war zwei Monate zuvor verstorben, und sie hatte geweint, weil sie diesen Moment nicht mit ihm teilen konnte. Womöglich lässt bei sportlichen Triumphen nicht die Freude, sondern die zurückliegende Entbehrung die Tränen fließen.

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Weinen müssten demnach vor allem diejenigen, die zuvor etwa auf Grund von Verletzungen, öffentlicher Kritik oder Problemen bei der Qualifikation eine schwierige Zeit durchgemacht haben. Wenn nach dem Sieg die Anspannung nachlässt, hält die Tränen nichts mehr zurück.

In anderen Lebenssituationen könnte es ähnlich sein: Wenn bei einem Wiedersehen die Tränen fließen, dann vielleicht deshalb, weil man auch an die lange Zeit der Trennung und der Einsamkeit denken muss. Bei einer Hochzeit mag es der Kummer darüber sein, nun eine andere Lebensphase hinter sich zu lassen und sich vom Elternhaus loszulösen.

Männer weinen eher vor Glück als Frauen

Übrigens: Meist ist der Anlass für feuchte Augen ein unangenehmer. Nur jedes zehnte Weinen wird durch positive Ereignisse ausgelöst – bei Männern ist diese Quote allerdings doppelt so hoch wie bei Frauen. Außerdem scheint das Phänomen der Freudentränen frühestens im Jugendalter aufzutreten und dann immer häufiger zu werden. Die kindliche Freude ist noch ungetrübt von Tränen.

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  • Quellen

Vingerhoets, A. J. J. M.: Weinen. Modell des biopsychosozialen Phänomens und gegenwärtiger Forschungsstand. In: Psychotherapeut 54, S. 90–100. 2009

Rottenberg, J., Vigerhoets, A. J. J. M.: Crying: Call For A Lifespan Approach. In: Social an Personality Psychology Compass 6, S. 217–227, 2012.

Vingerhoets, A. J. J. M.: Why only Humans Weep. Unravelling the Mysteries of Tears. Oxford, Oxford University Press, 2013.

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