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Wirrwarr ausgeschlossen: Wie schaffen es Kraken, ihre langen Fangarme nicht zu verknoten?

Ihre Saugnäpfe haften an fast allem: Eigentlich müssten sich Kraken permanent in ihren Armen verheddern. Doch ein raffinierter Trick verhindert das.
Vorbild für die Roboter der Zukunft: Kraken

Acht überaus flexible Arme, übersät mit Saugnäpfen, die an allem haften, was ihnen in die Quere kommt – der Gewöhnliche Krake (Octopus vulgaris) ist ein erstaunliches Tier: Er kann sich durch kleinste Öffnungen zwängen und seine Gestalt so verändern, dass er in seiner natürlichen Umgebung kaum noch zu entdecken ist. Manche Arten wie der Mimik-Oktopus können sogar andere Tiere ihres Lebensraums verblüffend genau imitieren.

Doch all das hat seinen Preis: Bei so viel Flexibilität kommt das Gehirn des Kopffüßers einfach nicht mehr mit. Wo sich seine Arme befinden und was sie gerade tun, lässt sich nicht mehr zentral im Gehirn des Kraken steuern. Stattdessen, so haben Forscher vor einiger Zeit herausgefunden, müssen die acht Arme ihre Steuerung weitgehend selbst übernehmen: Das Hirn des Kraken stößt ein automatisiertes Bewegungsprogramm an – der Arm führt es eigenständig aus.

Warum haften die Saugnäpfe nicht auf der Haut?

Fragt sich bloß: Wie schaffen es die Tiere, sich nicht permanent ineinander zu verheddern? Müssten die Saugnäpfe nicht ständig an den Armen haften?

Es muss einen Anhaftschutz geben, überlegten Nir Nesher und seine Kollegen von der Octopus Research Group an der Hebrew University of Jerusalem. Sonst würde das Tier binnen Kurzem als unentwirrbares Knäuel zusammenklumpen und auf den Meeresboden sinken.

Den entscheidenden Trick spürten die Forscher jetzt in der Haut der Tiere auf: Sie setzt offenbar eine chemische Substanz frei, die als Stoppsignal wirkt. Es teilt dem zupackenden Arm mit, dass er gerade einen der sieben anderen erwischt hat. Spezielle Sinneszellen in den Saugnäpfen erkennen das Molekül und unterbrechen sofort den Saugreflex.

Antihaftbeschichtung aus Oktopus-Haut

Das belegten sie mit verschiedensten Experimenten. Um zu zeigen, dass tatsächlich nur die Inhaltsstoffe der Haut eine Rolle spielen, verarbeitete das Team um Nesher die Haut eines Tiers zu einem Extrakt und bestrich damit eine Glasoberfläche. Während normalerweise die Saugnäpfe an Glas gut haften, rutschten sie von der präparierten Oberfläche immer wieder ab. Der Extrakt enthielt das entscheidende Stoppsignal, schlussfolgern die Wissenschaftler.

Auch bei lebenden Tieren ließ sich die besondere Rolle der Haut nachweisen. So amputierten die Forscher Versuchskraken einen Arm und warfen ihn in das Aquarium zurück. Die als Kannibalen bekannten Tiere stürzten sich auf den Leckerbissen und versuchten ihn zu packen – was freilich misslang: Die Saugreflexunterdrückung verhinderte das Einfangen des eigenen Arms. Lediglich an der Schnittstelle, an der rohes Fleisch bloßlag, konnten die Kraken zugreifen, denn hier fehlte das Stoppsignal aus der Haut.

Nach einigem Hin und Her mit dem schwer zu fassenden Arm verlegten sich die Kraken auf eine ungewöhnliche Fresstechnik, die die Forscher als "Spagetti-Haltung" bezeichnen: Wie Menschen beim Einsaugen einer langen Nudel packten die Kraken den Arm mit der Mundöffnung und hielten ihn ausschließlich mit dem Schnabel fest.

Von der Natur lernen für den Bau weicher Roboter

Völlig reflexhaft erfolgt das Zupacken und Loslassen mit den Saugnäpfen übrigens wohl doch nicht: Die Wissenschaftler beobachteten, dass Kraken mitunter ein "Veto" gegen den Stoppreflex einlegen können und ihre Saugnäpfe doch noch zum Anhaften zwingen. Das geschah zum Beispiel, wenn ihnen nicht ihr eigener Arm vorgeworfen wurde, sondern der eines Artgenossen.

Um welchen chemischen Stoff es sich bei dem Stoppsignal handelt, haben die Forscher noch nicht herausbekommen. Ohnehin scheinen sie den grundsätzlichen Mechanismus dieser "Selbstvermeidung" für viel spannender zu halten: Er könnte eines Tages in den Bau von Weichrobotern einfließen. Im Rahmen des von der Europäischen Kommission finanzierten Projekts STIFF-FLOP wird beispielsweise seit 2011 an einem tintenfischartigen Prototyp geforscht, der künftig Chirurgen bei der Arbeit unterstützen könnte.

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