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Geheimdienste: Als Spione die Weltgesundheit sabotierten

Die USA bauten auch auf medizinisches Personal, um Osama bin Laden zu suchen. Das war ein großer Fehler, meint die Redakteurin Christine Gorman von "Scientific American".
Polio-Impfung

Kurz nach Mitternacht am 2. Mai 2011 attackierten Navy SEALs (eine US-amerikanische Eliteeinheit, Anm. d. Red.) einen dreistöckigen Gebäudekomplex in Abbottabad, Pakistan, hasteten dort in die oberste Etage und töteten Osama bin Laden. Nur wenige betrauern den Mann, der verantwortlich ist für die Ermordung tausender unschuldiger Menschen. Doch die Operation, die zu seinem Tod führte, könnte jetzt noch weitere Hunderttausende umbringen. Denn in seinem Eifer, bin Laden oder seine Familie zu identifizieren und zu finden, nutzte die CIA ein fingiertes Hepatitis-B-Impfprojekt. Damit wollte sie DNA-Proben im Umfeld des mutmaßlichen Verstecks des Terrorführers sammeln. Zwar scheiterte dieser Versuch anscheinend, der damit verbundene Vertrauensmissbrauch jedoch droht die globalen Anstrengungen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit um Jahrzehnte zurückzuwerfen.

Es ist schwer genug, beispielsweise Polio-Impfstoffe in extrem armen, politisch instabilen Regionen an Kinder zu verteilen – noch dazu in einem Gebiet, in dem bereits seit zehn Jahren Gerüchte kursieren, dass die Medizin ein westliches Komplott sei, um Mädchen zu sterilisieren. Diese haltlosen Vorwürfe werden schon lange wieder von den nigerianischen Geistlichen dementiert, die sie ursprünglich als Erste aufgebracht und verbreitet hatten. Dafür tauchen nun zahlreiche glaubwürdige Berichte über eine Impfkampagne auf, die tatsächlich Teil einer CIA-Aktion war – welche die USA bislang nicht abstreiten.

Die tödlichen Folgen zeichnen sich bereits ab. Dorfbewohner an der pakistanisch-afghanischen Grenze verjagten kürzlich offizielle Impfteams und beschuldigten sie als Spione. Talibanbefehlshaber verboten Polio-Impfungen in Teilen Pakistans und begründeten dies explizit mit der Kriegslist gegen bin Laden. Letzten Dezember wurden neun Mitglieder eines Impfteams in Pakistan ermordet, weshalb die Vereinten Nationen ihrer Gesundheitsmitarbeiter abzogen. Zwei Monate später töteten Bewaffnete zehn Polio-Gesundheitsarbeiter in Nigeria – ein Hinweis darauf, dass sich die Gewalt gegen die Impfteams ausbreiten könnte.

Derartige Attacken könnten zu keinem schlechteren Zeitpunkt erfolgen. Die weltweite Kampagne zur Ausrottung von Polio befindet sich eigentlich in ihrer finalen Phase. Die Zahl der Erkrankungen fiel von 350 000 im Jahr 1998 auf 650 im Jahr 2011. Die Seuche verbreitet sich nur noch in drei Ländern auf natürliche Art und Weise: in Afghanistan, Pakistan und Nigeria – vor 25 Jahren waren es noch 125 Nationen. Wenn die Impfkampagnen nun unterbrochen oder verzögert werden, könnte Polio überall auf der Welt wieder zurückkehren.

Das durch den Betrug in Pakistan hervorgerufene Misstrauen könnte die Ausrottung von Polio um bis zu 20 Jahre verzögern und daher zu 100 000 Erkrankungen führen, die sonst nicht aufgetreten wären, schätzt Leslie F. Roberts von der Columbia University in New York. Immer werde man zukünftig sagen, dass diese Krankheit oder dieses behinderte Kind durch die USA verursacht wurde, weil das Land so verrückt danach war, Osama bin Laden zu fangen, schimpft er.

Die Impftäuschung ist auch ein moralisches Problem. Ärzte schwören mit ihrem hippokratischen Eid, niemandem Schaden zuzufügen. Entwicklungshelfer folgen einem international akzeptierten Verhaltenskodex, nach dem ihre Dienste keiner nationalen Agenda folgen, sondern allein an der Bedürftigkeit der Empfänger ausgerichtet werden. Das törichte Impfprogramm in Pakistan begann in einem Armenviertel von Abbottabad – zweifellos um ihm einen Hauch von Legitimation zu verpassen. Nach der ersten Gabe einer standardmäßig aus drei Dosen bestehenden Hepatitis-B-Impfung zog das Team in die wohlhabendere Nachbarschaft bin Ladens weiter. Das belegt eindeutig, dass das Wohlergehen der Geimpften nicht Leitmotiv der Handelnden war.

Es muss eine rote Linie geben, die humanitäre Hilfe von kriegerischen Machenschaften trennt – gleich wie unkonventionell diese ausfallen mögen. Der Preis für zukünftige humanitäre Anstrengungen, die globale Stabilität oder die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten fielen andernfalls zu hoch aus – selbst wenn man dagegenhält, dass einer der gefürchtetsten Feinde der USA ausgeschaltet wurde. Das gilt sogar, wenn es hierfür keine andere Möglichkeit gegeben hätte. Präsident Barack Obama sollte deshalb jegliche militärischen und geheimdienstlichen Einrichtungen der USA davon abhalten, medizinische oder humanitäre Tarnung einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Das fordern auch die Rektoren eines Dutzends renommierter Universitätskliniken in ihrem Brief an das Weiße Haus. Derartige Versuche sind schlechte Medizin und schlechtes Spionagehandwerk. Ein weiser Staatslenker würde damit nichts zu tun haben wollen.

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