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Hirschhausens Hirnschmalz: Und es war Sommer

Eckart von Hirschhausen

    Wenn es "immer der Nase nach" heißt, dann ...

  1. A) gehe ich geradeaus.
  2. B) nehme ich das krumm.
  3. C) schließe ich die Augen und genieße.
  4. D) nehme ich den Finger aus der Nase, damit ich nicht im Kreis gehe.

Wie riecht Sommer? Nach Sonnenmilch? Nach Annanas- und Kokosnuss-Cocktails? Nach Schweiß oder Meeresbrise? Für mich ist und bleibt der schönste Sommerduft der, wenn es gerade zu regnen anfängt und der Boden aus jeder offenen Pore seufzt: Danke, darauf hab ich gewartet! Allein für diesen olfaktorisch-orgiastischen Moment lohnt es sich, im Regen zu tanzen. Wer sich die Verzauberung erhalten will, liest jetzt besser nicht weiter. Denn ich war neugierig, was diesen Geruch eigentlich so faszinierend macht, und fand eine ­ernüchternde Erklärung: Er ist universell und verzückt offenbar nicht nur mich, sondern schon seit evolutio­nären Zeiten viele Generationen weltweit. Schuld daran ist das Geosmin, der Duft der Erde. Genauer gesagt der Duft der Mikroorganismen, die sich in der Erde tummeln und dieses komplexe Molekül produzieren.

Das riecht eigentlich muffig, erdig, faulig – das Gegenteil von frisch. Am ehesten wie Rote Bete, Pilze oder Spinat. Es hat einen Hauch von Verwesung, und dennoch lieben wir es, ja, unsere Nase reagiert extrem sensibel darauf. Bereits in minimalen Spuren erkennen wir den Sommerregen-Marker: Ein Teelöffel Geosmin, verdünnt in so viel Flüssigkeit, wie man bräuchte, um 200 Wasserbecken von olympischen Wettkampf­di­men­sio­nen zu füllen, ist für uns immer noch wahrnehmbar. Warum nur? Wahrscheinlich, weil es früher keine Wasserbecken gab, zu denen uns ein Navigationssystem ­hätte leiten können. Unsere Nasenlöcher waren das "TomTom". Und der Geruch von Actinomyceten, den Fäulnisbakterien, der durch Feuchtigkeit intensiviert wird, wies uns nicht etwa den Weg zur Verwesung, sondern, viel besser: zum Wasser. Das Motto hieß auch nicht "Dabei sein ist alles", sondern "Survival of the fittest". Wo es feucht ist, gibt es Leben, Vermehrung, eine Quelle – und das war und ist überlebensnotwendig.

Die menschliche Geruchsschwelle für Geosmin liegt übrigens bei erstaunlichen 0,1 ppb! Das steht für "parts per billion", was Englisch ist und "eins unter einer Milliarde" bedeutet. Weil wir dermaßen auf diesen Duft ­gepolt sind, wird er auch Parfums zugesetzt. Dabei ist das Ganze trotz intensiver Bemühungen der Biochemiker immer noch recht aufwändig in der Herstellung, so dass ein Milliliter Geosminlösung über 100 Euro kostet. Da ist es günstiger, man geht im Regen tanzen und inhaliert direkt, was der Boden verschwenderisch verströmt.

Warum sollten auch immer die Tiere olfaktorisch die Nase vorn haben? Gut, bei Hunden sind zehn Prozent der Hirnmasse mit Riechen beschäftigt, bei uns macht das Riechhirn gerade ein Prozent aus. Ein unterschätztes Detail unserer Anatomie ist jedoch der "retronasale Raum": Wir können nicht nur mit der Einatmung riechen, die ganze Vielfalt der Geschmäcker und Geruchsnuancen gelangt erst durch die Hintertür des Rachenraums an die Nasenschleimhäute. Man sollte sich also durchaus die Zeit nehmen, Dinge auf der Zunge zergehen zu lassen, um die Sensationen im wahrsten Sinne zu steigern. Und so gesehen müssen wir uns auch nicht vor dem Hund verstecken. Der verschlingt die Wurst, wir aber lieben es, den Genuss mit Curry zu verfeinern. Okay, es gibt bestimmt bessere Beispiele, aber die finden Sie selbst. Ich muss jetzt nämlich tanzen gehen, draußen fallen die ersten Spätsommerregentropfen!

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  • Quellen

Pelosi, P.: On the Scent – a Journey through the Science of Smell. Oxford University Press, 2016

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