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Erneuerbare Energien: Der nächste Bioenergie-Irrsinn der EU?

Die Europäische Union überarbeitet ihre Richtlinie für erneuerbare Energien. Für Wälder bedeutet sie momentan wenig Gutes, meint Daniel Lingenhöhl.
Kahlschlag hinterlässt eine baumlose Ödnis

Bäume nehmen beim Wachsen Kohlendioxid auf, das beim Verfeuern wieder frei und damit für die nächste Baumgeneration verfügbar wird. Holz ist also ein nachhaltiger, nachwachsender Rohstoff, der klimaschonend als erneuerbarer Energieträger verbrannt werden kann. Und da sich ihr Anteil an der Energieerzeugung in der Europäischen Union bis 2030 verdoppeln soll, liegt es für die EU nahe, auch auf Holz zurückzugreifen.

Laut einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« zählen auch im Kraftwerk verbrannte Baumstämme und -stümpfe als erneuerbare Energieträger, nicht nur – wie bislang – Holzabfall und Waldholzreste, die in der Forstwirtschaft und der verarbeitenden Industrie anfallen.

Kommen die Verantwortlichen mit der Neufassung der geltenden EU-Richtlinie durch, begäbe sich die Europäische Union bei den erneuerbaren Energien allerdings erneut auf den Holzweg – man verzeihe das Wortspiel. Die Entscheidung erinnert fatal an frühere Beschlüsse zu nachwachsenden Rohstoffen und ihrem Einsatz als Brennstoffe für Automotoren und Kraftwerke. Die Vorgaben für »Biosprit« und Co sorgten weltweit dafür, dass landwirtschaftliche Nutzflächen und natürliche Ökosysteme dem Anbau von Ölpalmen oder Sojabohnen geopfert wurden – in der Hoffnung, die Produkte nach Europa exportieren zu können.

Oft geschah diese Verdrängung nicht direkt, sondern indirekt: Europäische Bauern nutzten ihre Flächen für Energiemais und Raps, die zu Biodiesel oder Ethanol werden sollten, den man wiederum handelsüblichem Benzin beimengen konnte. Um die Verluste beim Futtermittel auszugleichen, musste dieses aus Übersee importiert werden, etwa Sojaschrot aus Südamerika. Die riesigen Felder fressen sich dort kontinuierlich weiter in Regenwälder und Savannen.

Nicht die erste schlechte Idee

Und die Idee erinnert fatal an die Entwicklung beim Heizen mit Holzpellets in Deutschland und anderen Teilen Europas, deren Bedarf schon längst nicht mehr aus Holzresten und einheimischer Produktion gedeckt werden kann. Stattdessen sterben im Südosten der USA und in Rumänien ganze Wälder, um den wachsenden Markt zu bedienen. Mit nachhaltigem Klimaschutz und nachhaltiger Forstwirtschaft hat dies schon lange nichts mehr zu tun.

Die Konsequenzen der geplanten Neufassung der Richtlinie sind daher schon absehbar. Es wird noch lohnender, Holz zu verbrennen – vom Wurzelstock über das Restholz bis hin zum gesamten Baum. Und da der Bedarf kaum mit lokalen Holzquellen gedeckt werden kann (zumindest nicht ohne öffentlichen Aufschrei angesichts von Komplettrodungen), muss die Lücke wieder aus Übersee gefüllt werden: mit Importen aus den Tropen, Russland, Skandinavien oder Rumänien, wo Gesetze schwach sind und leicht geändert werden können.

Zum Klimaschutz trägt die Maßnahme nichts bei – zumindest nicht kurz- und mittelfristig, selbst wenn der abgeholzte Wald wiederaufgeforstet wird. Ein Baum braucht Jahrzehnte, bis er wieder so viel Kohlendioxid in seinem Stamm gespeichert hat, wie sein Verbrennen in wenigen Minuten freisetzt. Und auch ökologisch ist das Vorhaben irrsinnig, denn Totholz hat eine sehr wichtige Funktion im Wald. Es dient einer Vielzahl an Tier- und Pilzarten als Lebensgrundlage und versorgt das Ökosystem beim Zersetzen zusätzlich mit Nährstoffen. Kahlschlag und Aufforstung führen schließlich zu einheitlichen Altersklassenwäldern, denen die für Vielfalt notwendige Struktur fehlt.

Kurz: Diese Richtlinie darf von der EU nicht in dieser Form umgesetzt werden. 500 Wissenschaftler haben in einem offenen Brief deswegen schon bei der EU protestiert. Viel nötig ist laut der »Süddeutschen Zeitung« nicht, um das Vorhaben zu entschärfen. Ein Satz soll genügen: »Baumstämme und Stümpfe gelten nicht als erneuerbare Energien im Sinne der Richtlinie.« Es bleibt zu hoffen, dass sich die EU wenigstens dieses Mal eines Besseren belehren lässt.

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