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Grams' Sprechstunde: Warum will die Pharmaindustrie uns vergiften?

Eigentlich ist alles klar: Impfungen schützen meist und schaden sehr, sehr selten. Warum glauben das so viele nicht? Mythen leben nicht von Fakten, schreibt unsere Kolumnistin.
Spritze in Virus

Fakt ist: Impfstoffe gehören zu den bestuntersuchten, sichersten Arzneimitteln. Unzählige Untersuchungen belegen ihre Schutzwirkung. Viele Krankheiten, die uns noch vor zwei Generationen ständig bedroht haben, hat eine Impfung heute so weit zurückgedrängt, dass wir sie im Alltag gar nicht mehr kennen. Das allerdings verleitet viele widersinnigerweise dazu, anzunehmen, Impfen sei nicht mehr nötig, denn diese Krankheiten »gibt es doch gar nicht mehr«. Welch ein Trugschluss, was für eine Verwechslung von Ursache und Wirkung.

Nicht erst seit Corona geistern unzählige Mythen zu Impfstoffen durch das Internet und die Köpfe vieler Menschen. Unter dem Druck der Corona-Krise mutieren die aber zu immer absurderen Thesen. Etwa zum irren Gedanken, Bill Gates persönlich habe Mikrochips zum Bestandteil von Impfungen gemacht, um damit unsere Gedanken zu steuern oder unser Gehirn zu einem Computer zu machen. Oder gar, um auf Knopfdruck die Menschheit dezimieren zu können. Impfung? Spritze? Da wird uns bestimmt was eingepflanzt! (Nein, wird es nicht. Hier lohnt sich immer ein Blick auf die Fakten-Check-Seiten von Correctiv oder der Deutschen Presseagentur.)

Ganz aktuelle Mythen kursieren über die neuen mRNA-Impfstoffe, die bald als die ersten ihrer Art gegen Covid-19 zum Einsatz kommen sollen und natürlich gleich Extremhorrorgeschichten wie Pilze aus dem Boden schießen lassen: Sie würden unser Genom verändern, uns gar genetisch manipulieren. Das ist natürlich Quatsch! Das Paul-Ehrlich-Institut schreibt dazu: »Es besteht keine Gefahr einer Integration von mRNA in das humane Genom. Beim Menschen befindet sich das Genom in Form von DNA im Zellkern. Eine Integration von RNA in DNA ist unter anderem auf Grund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich.« Natürlich können wir uns trotzdem für einen Moment auch einmal nahezu unmögliche Unwahrscheinlichkeiten vorstellen. Etwa so: Könnte mRNA nicht in DNA umgebaut und so dann in unser Genom eingebaut werden? Und hätte das dann nicht zur Folge, dass unsere Zellen die in der mRNA verschlüsselten Proteine von Sars-CoV-2 herstellen würden? Diese würden von unserem Immunsystem als fremd erkannt und eine Immunreaktion anregen. Was also wäre die wahrscheinlichste Wirkung des extrem unwahrscheinlichen Falls eines Einbaus der mRNA-Geninformation in unsere Erbgut? Die erwünschte Impfwirkung. Yeey!

Nun leben Mythen allerdings eben nicht von Fakten und realistischen Vorstellungen. Und Menschen, die Mythen oder gar Lügen verbreiten, interessieren sich selten für Aufklärung. Was bleibt, ist die finstere Idee, dass »die da oben« oder »Big Pharma« uns vergiften, manipulieren, fremdsteuern, schädliche Dinge einpflanzen, krank machen – kurz, uns schaden wollen.

Woher kommen solche Gerüchte? Wie so oft spielen Unsicherheiten in einer überfordernden komplexen Situation eine große Rolle – wie sie die Pandemie selbst oder der durchaus komplizierte Prozess der Impfstoffentwicklung eben liefern. Sie docken bei einigen an übertrieben große Ängste vor Nebenwirkungen und Impfschäden an – und führen bei manchen dazu, die Existenz von Viren gleich ganz zu leugnen. Wieder andere verstehen schlicht den Sinn von Impfungen nicht. Das macht es leichter, sich beim Thema mRNA-Impfstoffe der allgemeinen Vorbehalte »gegen Gentechnik« zu bedienen, die auf eine vorhandene Impfskepsis einfach draufgesattelt werden. Sachliche Hintergründe? Fehlanzeige. Wer keinen Zugang mehr zu fundierten Argumenten findet, der wird eher – durchaus aus einer übermächtigen persönlichen Not und Sorge heraus – nach Sündenböcken suchen und überall dunkle Machenschaften wittern.

Natürlich auch bei der Pharmaindustrie. Pharmaunternehmen verdienen Geld mit Impfstoffen, sie verfolgen unbestritten wirtschaftliche Interessen. Allein darin liegt grundsätzlich aber nichts Verwerfliches. Schließlich ist die Erforschung und Herstellung von Impfstoffen – wie wir gerade alle live sehen können – ein aufwändiger, arbeitsintensiver, langwieriger und von vielen Auflagen und einem strengen Zulassungsverfahren begleiteter Prozess, der enorm viel Geld kostet und gerade jetzt ein großes Betriebsrisiko ist. Es gibt übrigens andere Felder, die für Medikamentenhersteller finanziell wesentlich lukrativer sind als die Impfstoffforschung: die Entwicklung von Cholesterinsenkern zum Beispiel oder von Medikamenten gegen Arthritis. Krass gesagt eben von den Mitteln, die »Big Pharma« an eine zahlungskräftige Käuferschicht loswerden könnte, würde man auf Impfungen verzichten und ließe Infektionskrankheiten einfach ihren Lauf.

Dass große Pharmakonzerne die Impfungen erfunden haben, ist übrigens Unsinn: Schon lange vor »Big Pharma« haben frühe Pioniere der Krankheitsprävention damit experimentiert. Heute werden Impfstoffe allerdings nur von Pharmafirmen hergestellt, weil sie allein das Knowhow haben, dies bei hoher Qualität in großer Menge zu bewerkstelligen. Damit das nicht »irgendwie« passiert, schauen der Pharmaindustrie viele unabhängige Gremien und Fachleute genau auf die Finger: die EMA (Europäische Arzneimittelagentur), das PEI (Paul-Ehrlich-Institut), die STIKO (Ständige Impfkommission) und viele, viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die pharmaunabhängig ihre Empfehlungen aussprechen. Ohne all diese Verfahren und daran beteiligten Menschen, die sich auch noch gegenseitig kontrollieren, kann kein Impfstoff auf den Markt gelangen. Dass die Pharmaunternehmen da also irgendetwas unbemerkt hineinpanschen, ist unmöglich. Es ist zudem unplausibel: Welches Interesse hätte die Pharmaindustrie daran, das Vertrauen ihrer Kundschaft zu verspielen?

Das wird jedoch niemanden überzeugen, dem ein Mangel an Logik nicht mehr auffällt: Er wird für die komplexe Wissenschaft der Impfstoffentwicklung und Überwachung auch kein Interesse mehr aufbringen.

Dabei ist genaues Hinschauen genau das, was wirklich wirkt. Dabei wird es nötig sein, auszuhalten, dass im Moment noch viele Fragen offenbleiben – Fragen, die viel wichtiger sind als die oft abseitigen, längst beantworteten oder jeder Logik entbehrenden, die von Antiimpfideologen gestellt werden. Wichtiger ist es, zu wissen, wie die neuen Impfstoffe wirklich funktionieren, wie wirksam sie sind und welchen Risikogruppen wir sie zuerst geben wollen, wenn es anfangs nicht genug Impfstoff für alle geben wird. Wir müssen die sichere Zulassung der Impfstoffe weiter gewährleisten (trotz des großen Zeitdrucks wird keiner der üblichen Schritte übersprungen, auch wenn die verschiedenen Phasen der klinischen Tests sehr optimiert wurden und sich teils zeitlich überschneiden). Nach der Zulassung und Verimpfung muss weiter nach möglichen, sehr seltenen Nebenwirkungen gesucht werden (die sich, weil sie eben sehr selten sind, auch bei den aufwändigsten Phase-III-Studien nicht völlig ausschließen lassen). Wir sollten darauf achten, dass dies alles tatsächlich geschieht und dass es nicht allein von Big Pharma überwacht wird. Das kann uns dann aber so gelassen machen, wie man in einer Pandemie eben gelassen sein darf.

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