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Universitäten: Die Wissenschaft macht ihren Nachwuchs kaputt

Martin Ballaschk über Depressionen und andere psychische Störungen bei Doktorandinnen und Doktoranden - und warum es sich lohnt, den Nachwuchs nicht zu verheizen.
Eine sehr kleine menschliche Figur in einem sehr imposanten Säulengang. Symbolbild für Einsamkeit in der Wissenschaft oder gescheiterte Architektur.

Ständig angespannt sein, sich unglücklich oder depressiv empfinden, das Gefühl, Probleme nicht bewältigen zu können und keinen Spaß mehr an der täglichen Arbeit zu haben. Das kennen wohl die meisten Doktorandinnen und Doktoranden. Diese Eindrücke sind mehr als nur Befindlichkeit: Sie können erste Indikatoren für eine psychische Störung sein und mit einem standardisierten Fragebogen ermittelt werden. Etwa die Hälfte von 3000 flämischen Nachwuchsforschern gab auf einem solchen Bogen an, unter zwei solcher Symptome zu leiden. Ein Drittel von ihnen kreuzte sogar vier Symptome und mehr an.

Unglücklicher als in der Fabrik

Das ist das Ergebnis einer neue Studie von Katia Levecque von der Universität von Gent, erschienen in "Research Policy". Anders als frühere Studien konzentriert sie sich ganz auf die "PhD-Studenten" und soll einen repräsentativen Querschnitt durch alle Fachbereiche abbilden.

Eine Selbstauskunft ist nur ein Screening-Werkzeug. Nichtsdestotrotz ist die Studie ein erster, empirisch und kontrolliert erhobener Hinweis auf ein gravierendes Problem im Wissenschaftsbetrieb. Gegenüber "Nature Blogs" sagte die Studienleiterin Levecque, wie überrascht sie von diesen Ergebnissen war. Normalerweise zeige sich in soziologischen Studien, dass das Erkrankungsrisiko mit steigendem Bildungsgrad abnimmt. Verglichen mit anderen hochgebildeten Gesellschaftsschichten liegt das Risiko der Nachwuchsakademiker jedoch etwa 2,5-mal höher – ein alarmierendes Resultat. Im selben Artikel erwähnt Levecque, dass die Angestellten einer Volvo-Fabrik, die sie mit ihren Team kürzlich untersuchte, deutlich zufriedener mit ihrem Leben waren.

Martin Ballaschk

Die in der Publikation genannten Gründe kennen viele Doktorandinnen und Doktoranden ebenfalls aus eigener Erfahrung. Es sind vor allem Konflikte zwischen Anforderungen des professionellen und privaten Lebens, die hohe Arbeitsbelastung und oft schlechte Betreuung. Der Leistungsdruck und die Last der Verantwortung ist hoch.

Leistungsdruck macht krank

Dabei hat es der Forschungsnachwuchs in Flandern noch recht gut. Sie bekommen meistens eine volle Stelle bezahlt und stehen damit finanziell oft besser da als auf dem privaten Arbeitsmarkt. Anders ist es in Deutschland, wo eine Teilzeitstelle bei vollem Arbeitspensum plus unbezahlter Mehrarbeit an Wochenenden häufig die Regel ist. In den USA ist es wahrscheinlich noch weit schlimmer; dort muss man für die Ausbildung Kredite aufnehmen und natürlich auch abbezahlen.

Einige mögen sagen, dass es die jungen Leute von heute einfach nicht mehr draufhaben: Die sind halt alle verweichlicht und kippen bei ein bisschen Stress sofort um, es fehlt ihnen an Durchhaltevermögen und Strebsamkeit. Und eine Doktorarbeit zu schreiben, war nie einfach. Aber heute wächst der Forschungsoutput schneller als früher, es werden mehr wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht als je zuvor. Kaum jemand schafft es noch, im eigenen Fachgebiet den Überblick zu behalten. Das ist ein Problem, das auch die "Alten" betrifft.

Auch die düsteren Karriereaussichten im akademischen Bereich sind ein Grund für dieses Ergebnis, auch wenn diese in der Studie nicht abgefragt wurden. Die Zahl der Promovierten wächst und wächst, während die Stellen im akademischen Betrieb unverändert gering bleiben. Früher war es viel einfacher, Rädchen in der Universitätsmaschine zu werden.

Altes System gegen neues

Die heutigen Doktorväter und -mütter sind aber Kinder des "alten" Systems und haben mitunter wenig Verständnis für diese neuen Probleme. Sie halten auch allzu oft ein Ausscheiden aus der universitären Wissenschaft für ein Versagen, nennen es "alternative Karriere", obwohl mehr als neun von zehn Personen mit dem Doktor in der Tasche dem Unibetrieb den Rücken kehren. Auch das drückt die Stimmung.

Mehr für die jüngsten unter den Nachwuchsforschern und -forscherinnen zu tun, könnte dem Forschungsbetrieb nützen, wie die Autorin ebenfalls in der Arbeit schreibt. Das Wohlergehen der eigenen Arbeiterschaft sollte dem akademischen Betrieb natürlich am Herzen liegen. Daneben sind aber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit psychischen Problemen weniger produktiv und können die Teamarbeit in den Laboren beeinträchtigen. Außerdem werden junge brillante Leute schlicht vergrault. Talent geht so dauerhaft verloren.

Ich kann nur hoffen, dass diese empirisch geführte Studie das Problembewusstsein bei den Verantwortlichen erneuert und verstärkt, damit diese den Missständen entgegenwirken. Das sollte im Interesse der direkt Betroffenen sein, aber auch im Interesse der Institutionen selbst: In den USA schrumpft die Zahl der Postdocs bereits.

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