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Mäders Moralfragen: Dürfen Journalisten für eine gute Sache eintreten?

Meinungen gehören in Kommentare – die Berichte müssen neutral bleiben, ist oft zu hören. Doch dieses Ideal lässt sich nicht durchhalten. Höchste Zeit für Journalisten, ihre Überzeugungen offenzulegen.
Zeitungen

Manchmal scheint es, als hätten sich die Redaktionen verabredet: Praktisch alle schreiben die Willkommenskultur hoch und Christian Wulff nieder. Sie halten den Klimawandel für eine Bedrohung und Impfungen für eine Errungenschaft der Medizin. Wie kommt es zu diesem Gleichklang? Blenden Journalisten berechtigte, aber unerwünschte Meinungen aus? In einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks im vergangenen Jahr sagten 60 Prozent: Ja, und ich vermute, dass der empfundene Gleichklang zu diesem Urteil beiträgt.

In Leserbriefen wird jedenfalls immer wieder unterstellt, der Chefredakteur gebe die Linie vor – womöglich sogar in Absprache mit anderen Chefredakteuren. Mir hat zwar noch kein Vorgesetzter in dieser Weise hineingeredet, aber vielleicht zensiere ich mich ja selbst? So könnten Kritiker jedenfalls argumentieren: Der Chef muss gar nichts sagen, weil ich schon weiß, bei welchen Themen ich vorsichtig sein muss – wegen der Anzeigenkunden oder politischer Vorgaben. Es ist schade, wenn die berechtigte und nötige Medienkritik so pauschalisiert wird. Doch mit diesem Generalverdacht müssen Journalisten wohl leben. In der Umfrage des Bayerischen Rundfunks gestand nur eine Minderheit den Tageszeitungen und öffentlich-rechtlichen Sendern zu, von politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängig zu sein.

Eine Möglichkeit, Vertrauen zurückzugewinnen, ist: die Recherche transparenter zu machen. Also nicht nur richtig zu zitieren und zusammenzufassen, sondern auch zu erklären, warum man gerade diese Gesprächspartner und Studien für den Beitrag ausgewählt hat und nicht die anderen. Das verlängert die Berichte, aber ich glaube, es wäre eine sinnvolle Ergänzung. Ein Beispiel dafür ist das "Trust Project" in den USA, das einen digitalen Beipackzettel für journalistische Produkte entwickelt, auf dem solche Fragen beantwortet werden. Nicht nur das Publikum, sondern auch soziale Medien könnten damit einfacher zwischen seriösen und unseriösen Nachrichten unterscheiden.

Keine Frage der Berufsethik

Teil dieser Offenheit könnte auch sein, dass die Redakteure ihre inhaltlichen Positionen erläutern und sogar offensiv vertreten. Der britische "Guardian" machte das vor zwei Jahren vor, als er seine Klimaschutz-Kampagne gegen Kohle, Öl und Gas startete: "Keep it in the ground". In Deutschland kommt das aber vielen falsch vor – auch vielen Journalisten. Kampagnen vertragen sich nicht mit der professionellen Distanz, aus der ein Journalist berichten müsse, heißt es. Oft wird der frühere Nachrichtensprecher Hanns Joachim Friedrichs zitiert, der gesagt haben soll, dass man sich als Journalist nie mit einer Sache gemein machen dürfe – auch nicht mit einer guten. Abgesehen davon, dass es Friedrichs nicht so gesagt hat – ist das eine richtige Empfehlung? Es muss ja nicht gleich eine Kampagne sein: Dürfen Journalisten Partei ergreifen? Viele sagen auch hier: Nein.

Ich finde diese Haltung übertrieben, denn es handelt sich nicht um ein berufsethisches Prinzip, sondern um eine praktische Erwägung. Ein (zugegebenermaßen extremes) Beispiel macht das deutlich: Was wäre von einem Journalisten zu halten, der parteipolitisch aktiv ist – und dies auch offenlegt? Selbst wenn er sich bemüht, zwischen neutralen Berichten und meinungsstarken Kommentaren zu trennen, dürfte man seinen Berichten die parteipolitische Färbung ansehen. Das Publikum würde in ihm einen selbst ernannten Sprecher seiner Partei sehen, und seine Berichte wären längst nicht so interessant und glaubwürdig wie die eines Kollegen, der zum politischen Betrieb mehr Distanz wahrt. In diesem Berufsfeld derart befangen zu sein, ist eine schlechte Voraussetzung für guten Journalismus. Doch man könnte dem parteipolitisch aktiven Journalisten nicht vorwerfen, dass er sein Publikum täuscht oder gar seinen Job verfehlt. Man weiß ja, woran man bei ihm ist, und vielleicht hätte er sogar seine Fans.

Eine neue Offenheit

Wenn es sich um eine praktische Abwägung handelt, müssen Journalisten nicht unbedingt neutral bleiben und dürfen sich dazu entscheiden, Partei zu ergreifen und eine Agenda zu verfolgen. Die Berichte und Analysen des "Guardian" müssen nicht darunter leiden, dass die Redaktion den Klimaschutz voranbringen möchte. Sie kann trotzdem ein interessantes und glaubwürdiges Angebot machen für alle, die diese Haltung teilen und sich fragen, wie man das Klima rettet. Die Gegenseite wird von britischen Medien durchaus wahrgenommen und zitiert – es wird nach meinem Eindruck keine Position übergangen oder gar unterdrückt. Die Pressevielfalt bleibt gewahrt.

In deutschen Medien wird hingegen der Eindruck erweckt, man sei in der Berichterstattung ständig neutral. Den Gleichklang der Berichte erklären die Redaktionen damit, dass man in unabhängigen Recherchen zum gleichen Ergebnis gekommen sei. Das reicht dem kritischen Publikum heute jedoch nicht mehr, und Journalisten müssen die Zweifel ausräumen. Hier würde es sich lohnen zu zeigen, wofür man steht, denn es gibt einige Überzeugungen, die viele Journalisten teilen, aber selten thematisieren. Die Journalisten könnten als Erstes erklären, warum sie wissenschaftliche Expertisen für besonders vertrauenswürdig halten, sofern die Studien bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Schon das wird nicht einfach, denn viele Menschen haben auch Zweifel an der Unabhängigkeit der Wissenschaft, wie die Umfrage "Wissenschaftsbarometer" zeigt. Und die Journalisten könnten einen Schritt weitergehen und erklären, warum sie die Frage, ob es einen vom Menschen verursachten Klimawandel gibt und ob Impfungen vor Infektionskrankheiten schützen, für entschieden halten – und aus ihrer Sicht die Debatte darüber in den Hintergrund rückt. Ich glaube, das Publikum wäre nicht überrascht, dass es solche Überzeugungen gibt, und vielleicht sogar erleichtert, weil es nicht mehr darüber spekulieren müsste.

Die Moral von der Geschichte: Wenn Journalisten ihre grundlegenden Überzeugungen herausarbeiten und offenlegen, kann das ihre Glaubwürdigkeit erhöhen.

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