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Science March 2017: Ein ambivalentes Verhältnis

Für die Werte der Wissenschaft einstehen? Gegen Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungstheorien auf die Straße gehen? Klar, da ist man gerne dabei! Mit der Zeit kamen aber Zweifel. Martin Ballaschk kommentiert, warum mancher Ableger des March For Science für ihn an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat.
Trump-Gegner demonstrieren in den USA für die Wissenschaft

Der "March for Science" am 22. April 2017 ist eine Reaktion auf die wissenschaftsfeindliche Politik der US-Regierung. Diese hantiert mit "alternativen Fakten", verteilte Maulkörbe, löscht wissenschaftliche Daten und würde die Geisteswissenschaften wohl am liebsten komplett abschaffen. Nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treibt das in den USA als primär betroffene Interessengruppe auf die Straße. Schließlich profitiert die ganze Gesellschaft von den Errungenschaften der Wissenschaft – oder besser: dem Erkundungs- und Erfindungsgeist der Menschen.

Aber auch wenn Trump und seine Politik der Auslöser sind, so soll es beim Marsch ganz überparteilich für Wissenschaft und nicht gegen Trump gehen. Und das muss es auch, denn sonst könnte das Ganze leicht nach hinten losgehen und die öffentliche Wahrnehmung leiden, wie Dominique Brossard von der University Wisconsin-Madison kürzlich in "Science" erklärte. Denn wenn Wissenschaftler Partei ergreifen und als Interessengruppe auftreten, verliert die Wissenschaft in den Augen mancher ihre unpolitische Unschuld. Bei Themen wie Klimawandel und Grüner Gentechnik kann man beobachten, wohin das führen kann.

Unter einem Artikel im "Tagesspiegel" zum Thema kommentierte jemand unter dem Namen "Remigius" kürzlich: "Wer fälscht Forschungsreihen, um Gelder zu bekommen? Wegen wem werden wir angeblich immer kränker – hat das alles nichts mit unlauteren Mitteln zu tun, um mehr zu verkaufen?!" Dieser Kommentar ist beispielhafter "Ausdruck einer gesellschaftlichen Strömung, die wissenschaftliche Fakten und sichere Fakten denunziere", den die Organisatoren des "Science March Berlin" zu erkennen glauben. Aber wie kommt es wohl in einer zunehmend elitenfeindlichen Öffentlichkeit an, wenn das wissenschaftliche Establishment für den Erhalt seines Systems demonstriert? Ist es da nicht naiv, an den Erfolg einer Demo für die "hehren und reinen Werte der Wissenschaft" zu glauben?

Große Politik statt Basisarbeit?

Könnte der "March for Science" wirklich parteiübergreifend Wissenschaftsbegeisterte aus der ganzen Breite der Bevölkerung mobilisieren, dann hätte man dieses Ziel wohl erreicht. Die mageren Follower-Zahlen auf Facebook sprechen momentan eher dagegen, denn hier macht vor allem das von Menschen wie Remigius so verhasste Establishment mobil: Universitäten, Wissenschaftsorganisationen, der Berliner Wissenschaftssenator und die Forschungsministerin stellen sich hinter den Marsch. PR-Profis engagieren sich etwa bei der Organisation der Demonstration und rufen öffentlich zur Teilnahme auf. Die Leute im Wissenschaftsbetrieb müssen sich zunehmend fragen, ob das ein von oben verordneter Pflichttermin ist. Und für Außenstehende ist nicht klar: Was ist eigentlich die treibende Kraft hinter der Bewegung? Marschieren hier nicht auch viele "Jubelperser", also schlicht eine Lobby, die Geld vom "Wissenschaftssystem" bekommt?

Demonstrieren für ein reformbedürftiges System

Der Linguist Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin nannte den March letztens eine "Wohlfühlveranstaltung für positivistische Sciencefanbois", und in der Tat kann man kritische Selbstreflexion derzeit mit der Lupe suchen. Ja, wir brauchen das Wissenschaftssystem, aber für den Erhalt des Status quo zu demonstrieren, führt zu weit. Es ist nicht alles rosarot in der Wissenschaft.

Das akademische System produziert Akademiker am laufenden Band, von denen weniger als zehn Prozent in der Wissenschaft bleiben. Die Reproduzierbarkeitskrise, Publikationskrise, Übertragbarkeitskrise, eine ungebrochene Elfenbeinturm-Mentalität, allgemeine Frauen- und Reproduktionsfeindlichkeit, höchst zweifelhaften Karriereanreize, ein in weiten Teilen depressiver und psychisch ausgebrannter Nachwuchs in prekären Abhängigkeitsverhältnissen sind nur einige wenige Beispiele für die vielen gravierenden Probleme. Wie glaubwürdig ist der Marsch also, wenn sie nirgendwo thematisiert werden?

Was treibt die Wissenschaft?

Wir brauchen Wissenschaft für den gesellschaftlichen Fortschritt. Wer aber behauptet, er oder sie würde sich als Wissenschaftler ganz selbstlos in den Dienst der Gesellschaft stellen, lügt sich in die Tasche! Es sind individuelle, egoistische Motive, die einen Menschen zum kritischen Forschergeist mutieren und die Wissenschaftsmaschine brummen lässt.

Allen voran ist da die Befriedigung der eigenen Neugier: "Warum forschen wir? Weil es verdammt noch mal geil ist", um einen treffenden Comic zu zitieren. Aber wer nicht den Ehrgeiz hat, die eigene Karriere voranzutreiben und die Publikationsliste mit hochkarätigen Papers zu verzieren, hat keine dauerhafte Chance im System. Ich finde es unehrlich, die gesellschaftliche Bedeutung derart in den Mittelpunkt zu rücken, wenn sie vom Alltag der Forscherinnen und Forschern systembedingt entkoppelt wird.

Erschwerend kommt hinzu, dass einige der Beteiligten die Wissenschaft gar nicht so recht verstanden zu haben scheinen. Schon mit der Vokabel "Fakten" haben sie ihre hehren Ideale über Bord geworfen. Mit Wissenschaft können wir nichts zweifelsfrei beweisen. Wissenschaft produziert keine Fakten, und sie produziert keine absoluten Wahrheiten. Ein Pfeiler der Wissenschaft ist ihre Vorläufigkeit und die Anfechtbarkeit aller Erkenntnisse. Wer das nicht versteht, wird sich vom wissenschaftlichen Prozess fortwährend verraten fühlen.

Einmal demonstrieren reicht nicht

Die Botschaft eines Science March muss glaubwürdig, klar und deutlich sein – einen Interpretationsspielraum für die Zweifler darf es nicht geben. Der Marsch soll natürlich ein Erfolg werden, ich hoffe, dass neben den Interessengruppen auch tausende "normale Menschen" für die Werte der Wissenschaft demonstrieren. Und dass meine Wahrnehmung einfach auf einem großen Missverständnis beruht.

Meine Befürchtung ist allerdings, dass sich am Abend des 22. April alle gegenseitig auf die Schultern klopfen und zur Tagesordnung übergehen. Doch damit ist noch nichts erreicht. Die meisten Wissenschaftler haben über Jahrzehnte verschlafen, der Bevölkerung die Wichtigkeit ihres Tuns nahezubringen. Das fällt uns allen nun auf die Füße, und es wird länger als einen Nachmittag dauern, diesen Schaden zu beheben.

Lesen Sie zu diesem Thema auch das Interview mit einem der Initiatoren des Science March Germany, Claus Martin: "Diffuses Unwohlsein in konstruktive Debatten ummünzen".

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