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Mäders Moralfragen: Ein Sonnenschirm für die Erde?

Mit dem Climate Engineering ließe sich die Erderwärmung bremsen. Doch nicht nur wegen der möglichen Nebenwirkungen ist Skepsis angebracht.
Dünne Wolken am Himmel

Im Weltklimavertrag von Paris haben die Staaten vereinbart, den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad Celsius – am besten noch unter 1,5 Grad Celsius – zu halten. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, denn durch das Verfeuern von Kohle, Öl und Gas hat der Mensch die globale Durchschnittstemperatur schon um etwa ein Grad nach oben getrieben. Das Mercator-Forschungsinstitut MCC in Berlin hat berechnet, wie viel Kohlendioxid noch emittiert werden darf, um die 1,5-Grad-Marke einzuhalten. Die mittlere Schätzung lautet: noch sieben Monate und 16 Tage. Wir werden dieses Ziel also mutmaßlich verfehlen.

Die 1,5-Grad-Marke steht aber nicht bloß so im Klimavertrag. Mehr als 100 Staaten hatten sie nachdrücklich gefordert, weil bei einem stärkeren Temperaturanstieg die kleinen Inselstaaten überflutet werden könnten und die Korallen ausbleichen dürften. Die Frage, ob man die 1,5-Grad-Marke reißt, ist also von Belang: Es wäre ein Versagen der Staatengemeinschaft – und eine existenzielle Bedrohung für manche Länder.

Hier verspricht das Climate Engineering eine Lösung: Mit diesem Begriff (oder dem Synonym "Geoengineering") werden verschiedene technische Möglichkeiten bezeichnet, die Erwärmung zu bremsen. Eine Option, auf die sich die Forschung konzentriert, weil sie einen schnellen Effekt verspricht, ist das Solar Radiation Management – also die Kontrolle über einen Teil der einfallenden Sonnenstrahlung. Das Vorbild sind Vulkaneruptionen: Wenn dabei feine Partikel in höhere Luftschichten gelangen, bilden sie dort einen Schleier, der einen Teil des Sonnenlichts blockiert. Als 1991 der Pinatubo auf den Philippinen ausbrach und fast 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid ausstieß, senkte das die Temperaturen in aller Welt – zwar nur vorrübergehend, aber spürbar.

Das Klima spielt jetzt erst richtig verrückt

Ein Team um Christopher Trisos von der University of Maryland hat im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution" ein Beispiel am Computer simuliert. Wenn man jedes Jahr fünf Millionen Tonnen Schwefeldioxid in der Atmosphäre verteilt, sinkt die globale Durchschnittstemperatur binnen eines Jahrzehnts um 0,2 bis 0,3 Grad und bleibt langfristig mehr als ein halbes Grad unter derjenigen, die wir ohne Climate Engineering hätten. Schon frühere Studien haben gezeigt, dass das zwar einige Folgen des Klimawandels mildern würde – aber nicht überall auf der Welt. Es gäbe auch Verlierer, bei denen sich das Klima zu ihrem Nachteil ändert. Denn die Temperaturen würden in verschiedenen Weltregionen unterschiedlich stark sinken, und es könnten sich auch Regenzeiten verschieben.

Würde dem Menschen die Kontrolle entgleiten wie dem Zauberlehrling die über seinen Besen? Trisos und seine Kollegen nähren den Verdacht, indem sie auf eine unerwartete Nebenwirkung aufmerksam machen: Wenn man das Solar Radiation Management irgendwann beendet, würde die Temperatur in wenigen Jahren nach oben springen, weil der Kühleffekt schnell nachlässt. Wir hätten dann plötzlich das Klima, das dem Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre entspricht. Und dieser Sprung wäre für viele Tier- und Pflanzenarten zu schnell: Sie könnten "ihrer" Klimazone nicht schnell genug hinterherwandern – und würden aussterben. Das Problem gäbe es zwar auch unter dem zu erwartenden Klimawandel, schreiben Trisos und seine Kollegen, bei einem Abbruch des Climate Engineering wäre es allerdings deutlich größer.

Wird die Technik zum Spielball der Politik?

Weil die Ziele des Weltklimavertrags aber dringend sind, könnte man argumentieren, dass man die Option des Climate Engineering zumindest untersuchen sollte. Schließlich ist zu erwarten, dass sie früher oder später politisch diskutiert werden wird. Da wäre es sinnvoll, mehr über die Chancen und Risiken zu wissen. Doch die Heinrich-Böll-Stiftung und die Umweltorganisation ETC Group kritisieren schon kleine Feldversuche, in denen die Wirkung von einem Kilogramm feiner Partikel untersucht werden soll, wie zum Beispiel dieses geplante Experiment der Harvard University. Sie sehen darin den Versuch einer politischen Vorfestlegung und schreiben in einer Stellungnahme, dass Feldversuche dazu gedacht seien, die Option des Climate Engineering glaubwürdiger erscheinen zu lassen.

Man muss den Forschern aber keine politischen Absichten unterstellen, um skeptisch zu bleiben. Denn selbst wenn das Climate Engineering einmal naturwissenschaftlich beherrschbar erscheinen sollte, bleibt eine wichtige Frage offen: Wer darf es kontrollieren? Climate Engineering ist zwar teuer, doch so teuer auch wieder nicht. Es ist denkbar, dass sich ein mächtiger Staat zum Handeln entschließt, ohne auf die anderen Länder zu warten. Die Journalisten Andreas Rinke und Christian Schwägerl haben in ihrem Buch "11 drohende Kriege" ausgemalt, was geschehen könnte, wenn sich China und Indien zum Climate Engineering verabreden würden, um die Gletscher im Himalaja und damit ihre Wasserversorgung zu sichern: "Im folgenden Winter bersten in Alaska Tausende von Wasserleitungen und erfrieren tausende Menschen an der Ostküste, weil extreme Minustemperaturen auftreten. Ähnliches passiert in Nordeuropa." Das lassen sich die betroffenen Staaten nicht gefallen, und es kommt zum Krieg. Das Fazit von Rinke und Schwägerl: "Die Herrschaft über das Weltklima wird zur alles entscheidenden Machtfrage."

Die Moral von der Geschichte: Der Zauberlehrling hat nur einen Meister, der die Technik beherrscht. Beim Climate Engineering würden sich viele Meister streiten.

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