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Freistetters Formelwelt: Einstein, der Revolutionär und die Pollen

Albert Einstein hat die berühmteste Formel der Welt entwickelt. Doch auch viele seiner anderen Arbeiten haben unsere Sicht auf das Universum verändert.
Pollenflug

Natürlich ist die Relativitätstheorie, aus der die berühmte Gleichung E = mc2 stammt, unbestreitbar eine der größten Leistungen von Albert Einstein. Angesichts ihrer für die moderne Wissenschaft fundamentalen Bedeutung neigt man aber dazu, die vielen anderen Gebiete zu vergessen, auf denen Einstein ebenfalls Grundlegendes geleistet hat.

In seinem "Wunderjahr" 1905 hat Einstein nicht nur seine Doktorarbeit eingereicht, den Aufsatz zur speziellen Relativitätstheorie veröffentlicht und den Photoeffekt erklärt (wofür er 1921 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde), sondern schrieb auch einen Artikel mit dem Titel "Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen".

Auf der vorletzten Seite dieses Aufsatzes findet man diese Formel:

Brownsche Molekülbewegung

Hier beschreibt Einstein "die Verrückung λx in Richtung der x-Achse, welche ein Teilchen im Mittel erfährt". Die "Teilchen" sind jene, die schon im Jahr 1827 den schottischen Botaniker Robert Brown beschäftigt hatten. Brown beobachtete damals unter dem Mikroskop winzige Pollenkörner, die in einem Wassertropfen schwebten und sich dabei unregelmäßig und ruckartig hin und her bewegten. Die Ursache dieser Bewegung war unklar. Brown dachte zuerst, es sei eine den Pollenkörnern innewohnende "Lebenskraft", musste die Vorstellung aber revidieren, als er den gleichen Effekt auch bei Staubkörnern beobachtete.

Erst später kam die Idee auf, es könnte sich dabei um die sichtbare Auswirkung der Interaktion zwischen den Pollenkörnern und den unsichtbaren Wassermolekülen handeln. Albert Einstein ging das Problem von der anderen Seite an. Ausgehend von einer molekularen Theorie der Wärme stellte er ein mathematisches Modell auf, mit dem sich die Bewegung solcher im Mikroskop sichtbarer Teilchen beschreiben lässt.

"In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass nach der molekularkinetischen Theorie der Wärme in Flüssigkeiten suspendierte Körper von mikroskopisch sichtbarer Größe infolge der Molekularbewegung der Wärme Bewegungen von solcher Größe ausführen müssen, dass diese Bewegungen leicht mit dem Mikroskop nachgewiesen werden können", schrieb Einstein in der Einleitung zu seinem Artikel – und tat dann genau das. Das Resultat war die oben gezeigte Formel. Ein Teilchen, zum Beispiel ein Pollenkorn in einer Flüssigkeit, bewegt sich im Lauf der Zeit t von seinem Ursprungsort um den Betrag λx in Richtung der x-Achse. Diese Distanz hängt dabei von der Temperatur T ab: Je wärmer die Flüssigkeit, desto schneller bewegen sich die Moleküle, desto heftiger sind die Stöße mit dem Teilchen und desto größer ist die Distanz. Andererseits ist die Verrückung umso geringer, je größer der Radius P des Teilchens und die Viskosität k der Flüssigkeit sind (N und R sind Konstanten, die von der chemischen Zusammensetzung der Flüssigkeit abhängen).

Einsteins mathematisches Modell verknüpft eine beobachtbare Größe (die Bewegung der Teilchen) mit den damals noch unbeobachtbaren Eigenschaften der Moleküle. Tatsächlich gab es zu der Zeit noch eine große Menge an Wissenschaftlern, die ganz an der Existenz von Atomen und Molekülen zweifelten. Die Arbeit von Albert Einstein und die darauf aufbauenden Arbeiten und Experimente seiner Kollegen (vor allem die des französischen Physikers Jean-Baptiste Perrin) konnten diese Zweifel zerstreuen. Sie machten den wissenschaftlichen Nachweis von Molekülen und Atomen möglich.

So wie die Relativitätstheorie war auch Einsteins Forschung zur brownschen Bewegung Anstoß für ein radikales Umdenken in der Naturwissenschaft. Die Formel dafür ist allerdings nicht ganz so simpel wie E = mc2. Sonst wäre sie vielleicht in der Öffentlichkeit ebenso populär.

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