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Eulbergs tönende Tierwelt: Mit waghalsigen Pirouetten auf Partnersuche

Kiebitze (Vanellus vanellus) vollführen abenteuerliche Flugmanöver, um Weibchen zu erobern. Feinde täuschen sie durch raffinierte Tricks. Bei beidem hilft ihnen ihr Federkleid mit besonderen »Funktionen«.
Buntstiftzeichnung, man sieht Oberkörper und Kopf eines männlichen Kiebitzes im seitlichen Profil vor schwarzem Hintergrund
Der Kiebitz erhielt seinen lautmalerischen Namen durch seinen charakteristischen Ruf. Heute hört man ihn hier zu Lande nur noch selten: Durch die massive Zerstörung seiner Lebensräume ist der Vogel in Deutschland mittlerweile stark gefährdet.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

»Was bist du denn für ein verrückter Vogel?« Das dachte ich als Kind, wenn ich die waghalsigen Flugmanöver der Kiebitze (Vanellus vanellus) auf einer Wiese in der Nähe meines Elternhauses im Westerwald bestaunte. Mit ihren breiten, fächerförmigen Flügeln vollführen Kiebitze bereits im zeitigen Frühjahr äußerst kunstvolle Balzflüge. Da die Flügeloberseiten dunkel und die Unterseiten weiß gefärbt sind, wirkt der mit gemächlichem Flügelschlag vollzogene Auftritt schon von Weitem »blinkend« und damit werbewirksam. Von den auffallend breiten Flügeln leitet sich sein wissenschaftlicher Name ab, denn »vanellus« bedeutet »kleiner Fächer«. Wegen seines schaukelnden Flugstils, in den er gewagte Pirouetten integriert, nennt man den Kiebitz im Volksmund »Gaukler der Lüfte«. Seinen deutschen Trivialnamen sowie seinen plattdeutschen Namen »Kiewiet« verdankt er den lauten und unverwechselbaren »Kiju-wi«-Rufen:

Es handelt sich also um eine onomatopoetische, das heißt lautmalerische Benennung. Genau wie der Uhu, der Kuckuck und der Stieglitz, die ihre Namen rufen, oder der Zilpzalp, der seinen Namen singt, so wurde also auch der Kiebitz nach seinen Lautäußerungen benannt. Ich liebe seinen kecken Ruf, der mich jedes Mal in gute Laune versetzt.

Das Gefieder des Kiebitzes glänzt je nach Lichteinfall äußerst prachtvoll in metallischem Grün und Violett. Brust und Gesichtsmaske sind beim Männchen im Prachtkleid durchgehend tiefschwarz gefärbt. Beim Weibchen sind diese Federpartien unsauber ausgefärbt und enthalten eingestreute weiße Federn. Die markante Federhaube des Kiebitzes, auch Holle genannt, ist beim Männchen deutlich länger ausgebildet. Diese Federn sind eine raffinierte Täuschung: Während ein Kiebitz nach Nahrung sucht, sieht die nach oben abstehende Holle aus der Ferne wie sein Schnabel aus und signalisiert potenziellen Angreifern eine hohe Abwehrbereitschaft.

Kiebitze ernähren sich von Insekten, deren Larven und anderen Wirbellosen. Würmer erbeuten sie in typischer Watvogelmanier durch Fußtrillern. Dabei steht ein Kiebitz auf einem Bein und bewegt das andere vibrierend auf und ab. Dadurch simuliert er Regentropfen und treibt damit Regenwürmer aus der Erde.

Der Kiebitz | Sein Federkleid schillert in metallischem Grün und Violett. Die »Holle« auf dem Kopf erscheint während der Nahrungssuche von Weitem wie ein Schnabel und signalisiert Feinden Abwehrbereitschaft.

Der Kiebitz brütet gern am Boden in kleineren, losen Kolonien auf Flächen mit kurzer Vegetation. Männliche Tiere scharren unter kreiselnden Körperbewegungen sechs bis neun potenzielle Brutmulden in den Untergrund. Dabei wippen sie auffällig mit dem Schwanz. Dieses »Scheinbrüten« beobachten und studieren die weiblichen Kiebitze genauestens, bevor sie sich für eine passende Mulde entscheiden. Kiebitzgelege umfassen stets vier Eier. Diese sind beigebraun gefärbt und gesprenkelt, so dass man sie kaum vom Untergrund unterscheiden kann. Nähert sich dennoch ein Fressfeind dem Nest, täuscht der Kiebitz durch Hängenlassen eines Flügels eine Verletzung vor und lockt so als vermeintlich leichte Beute den Angreifer vom Nest weg. Dieses raffinierte Ablenkungsmanöver beherrschen auch andere Arten aus der Familie der Regenpfeifer, zu denen der Kiebitz gehört.

Seine schweren Eier galten früher als Delikatesse. Allein in den Niederlanden wurden noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts jährlich ein bis zwei Millionen Kiebitzeier gesammelt. Sein unverwechselbares Aussehen, sein einzigartiger Ruf und seine wahnwitzigen Flugmanöver haben in allen europäischen Kulturen zu Sagen und rührenden Gedichten über ihn geführt. Sogar in unsere Alltagssprache hat er Eingang gefunden: Als »kiebitzen« wird bezeichnet, wenn man jemandem neugierig über die Schulter schaut.

  • Der Kiebitz
    Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um den Kiebitz.
  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Unterklasse: Neukiefervögel

    Ordnung: Regenpfeiferartige

    Familie: Regenpfeifer

    Größe: 28 bis 31 Zentimeter

    Gewicht: 150 bis 310 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1

    Nachkommen pro Periode: 3 bis 4

    Höchstalter: 19 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): stark gefährdet

    Volkstümlicher Name: Gaukler der Lüfte

  • Beobachtungstipps
    Den Kiebitz kann man das ganze Jahr über auf Flächen mit kurzer Vegetation beobachten.
    Flugmanöver des Kiebitzes | Waghalsige Manöver und Pirouetten gehören zum Flug der Kiebitze dazu.

In diesem Jahr wurde der Kiebitz zum zweiten Mal nach 1996 zum Vogel des Jahres gewählt. Dieser Titel ist kein Grund zur Freude, sondern soll vielmehr auf seine Bedrohung aufmerksam machen. Kaum eine andere heimische Vogelart hat in den letzten Jahrzehnten durch die Eingriffe des Menschen in die Landschaft so dramatische Verluste erlitten wie der Kiebitz. Seit den 1980er Jahren ist sein Bestand in Deutschland um 93 Prozent zurückgegangen. Mittlerweile gilt er nach der Roten Liste in Deutschland als stark gefährdet.

Einst brüteten Kiebitze in Mooren und Feuchtwiesen. Doch diese Lebensräume sind nahezu flächendeckend trockengelegt und verschwunden. Viele Kiebitze siedelten auf Äcker um, doch früh geerntetes Wintergetreide und Hochertragswirtschaften mit bis zu sechs Wiesenschnitten pro Jahr führten dazu, dass viele Nester unter die Räder kamen: Sie wurden untergepflügt, abgemäht oder weggeerntet. Manch verzweifelter Kiebitz wich daraufhin auf Maisäcker aus. Doch diese häufig mit Pestiziden behandelten Monokulturen gleichen oft ökologischen Wüsten, in denen die Küken als Nestflüchter schlicht keine Nahrung finden. Auch wenn der Kiebitz auf Gelegeverluste mit bis zu zwei Nachbruten pro Saison reagieren kann, ist die Geschichte des so bezaubernden Vogels eine, die mich sehr traurig stimmt.

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