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US-Wahl: Hat Clintons Algorithmus versagt?

Hillary Clinton hat im Wahlkampf einen Algorithmus eingesetzt, der viele ihrer strategischen Entscheidungen diktierte - und sich dabei verkalkuliert, meint Adrian Lobe.
Hillary Clinton betreibt Wahlkampf in Pennsylvania

Die unterlegene demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton gibt dem FBI-Direktor James Comey eine Mitschuld an ihrer Wahlniederlage. Der Geheimdienstchef hatte auf den letzten Metern des Wahlkampfs angekündigt, erneut Ermittlungen gegen Clinton wegen der E-Mail-Affäre aufzunehmen. Daraufhin rutschten ihre Umfragewerte ab. Doch womöglich hat das Wahldebakel noch ganz andere Ursachen. Wie die "Washington Post" berichtet, setzte Clinton bei ihrer Kampagne auf einen komplexen Computeralgorithmus. Der Algorithmus Ada, der nach der britischen Programmier-Pionierin Ada Lovelace benannt ist, spielte bei jeder strategischen Entscheidung der Clinton-Kampagne eine wichtige Rolle: Welche Ressourcen eingesetzt werden, wo die Kandidatin auftritt, wo Wahlkampfwerbung gemacht wird – alles wurde von der Maschine vorgegeben. Sogar die Entscheidung, Jay Z und Beyoncé auf die Bühne zu holen, ging auf die Berechnung des Algorithmus zurück. Ada hatte wie die Kandidatin selbst einen eigenen Server, schreibt die "Washington Post".

Der Algorithmus wurde mit riesigen Datenmengen von Umfragezahlen und Wahlbeteiligung beim "early voting" gefüttert. Auf Grundlage der Daten führte der Computer täglich 400 000 Simulationen durch, wie das Rennen gegen Trump aussehen würde. Der tägliche Bericht gab Wahlkampfmanager Robby Mook ein detailliertes Bild der aktuellen Situation in den "Battleground States", den umkämpften Bundesstaaten, in denen die Wahl entschieden wird. Offensichtlich halfen die Gesetze der Mathematik aber nicht weiter, und Clinton verlor die Wahl bei den entscheidenden Wahlabgesandten überraschend deutlich.

Irgendetwas muss die Rechenmaschine übersehen haben. Zwar sagte der Algorithmus ein knappes Rennen in Pennsylvania voraus, was erklärt, warum Clinton diesem umkämpften Swing State besonders häufig ihre Aufwartung machte. Doch konnte der Computer in seinen Modellen das sich abzeichnende Kopf-an-Kopf-Rennen in Michigan und Wisconsin nicht prognostizieren. Den Bundesstaat Wisconsin, den die Demokraten sicher glaubten und den Trump am Ende knapp für sich entschied, besuchte Clinton in ihrer Kampagne kein einziges Mal. Das Problem: Ada wurde mit verzerrten Daten gefüttert. Das Überraschende ist nicht, dass der Algorithmus mit seinen Prognosen danebenlag – Ada befindet sich in guter Gesellschaft mit fast allen Meinungsforschungsinstituten –, sondern, dass sich die Clinton-Kampagne einen Großteil ihrer strategischen Entscheidungen von einem Computerprogramm diktieren ließ. Offensichtlich ist seit dem Erfolg des Statistik-Gurus Nate Silver, der 2012 das Wahlergebnis in allen Bundesstaaten korrekt voraussagte (und diesmal grandios falschlag), eine solche Datengläubigkeit verbreitet, dass sich Politiker Rat von Maschinen holen.

Der Einsatz dieses vermeintlichen Superrechners lässt tief in eine Kampagne blicken, in der Wählergruppen nur noch als Datenpakete gesehen werden und Algorithmen die Agenda bestimmen. Man stellt sich die bange Frage: Hätte Clinton Ada auch befragt, wenn sie ins Weiße Haus eingezogen wäre? Hätte ihr der Algorithmus dann empfohlen, in Syrien zu intervenieren? Dass Clinton ihren Wahlkampf an eine Maschine auslagert, zeigt auch, dass sie offensichtlich kein Vertrauen mehr in ihre politischen Instinkte hat und Politik nur noch als ein Abarbeiten von Szenarien betrachtet. Maschinen statt Menschen fällen Entscheidungen. Allein, kann man das politische System so simulieren wie das Klima? Lässt sich das "Modell" der Demokratie überhaupt in Ziel-und Nutzenfunktionen beschreiben?

Die Algorithmisierung der politischen Debatte führt dazu, dass man Wahlniederlagen oder Proteste als technischen Defekt bagatellisiert, als Fehler im System gewissermaßen. Hat Clintons Algorithmus versagt? Oder waren Trumps Algorithmen einfach besser? Fakt ist: Unter Donald Trumps Followern auf Twitter befinden sich 40 Prozent Fake-Accounts, darunter viele Bots, automatisierte Skripte, die den Kurznachrichtendienst systematisch mit Pro-Trump-Beiträgen fluteten. Diese Meinungsroboter sorgten nach dem ersten TV-Duell dafür, dass der Hashtag "TrumpWon" (Trump hat gewonnen) zum "trending topic" in den USA auf Twitter avancierte und ein Gegennarrativ zur medialen Erzählung konstruiert wurde, wonach Clinton das Duell gewonnen habe. Vielleicht hat das Trump-Lager auch eine Simulation der Wirklichkeit gestartet, die sich gar nicht mehr aufhalten lässt.

Frank Schirrmacher weist in seinem Buch "Ego: Das Spiel des Lebens" darauf hin, dass diese Modelle die Wirklichkeit kodieren und irgendwann selbst wirklich werden, das heißt, sie bestimmen, was rational ist und was nicht. Zum Problem wird es dann, wenn diese Modelle falsche Annahmen über die Wirklichkeit treffen. Wie fatal das ist, zeigt Clintons Kampagne. Ada erzeugte blinde Flecken im Wahrnehmungshorizont der Demokraten und unterschätzte die Wut der weißen Wähler. Algorithmen sind der Politik ein schlechter Ratgeber.

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