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Hirschhausens Hirnschmalz: Stimmt so

Eckart von Hirschhausen

Dies ist meine erste Kolumne im postfaktischen Zeit­alter. Hier enden laut dem Philosophen Eduard Kaeser als Folge der digitalen Informationsflut zentrale Standards wie Objektivität und Wahrheit in der "Nichtwissenwollengesellschaft". Donald Trump ist US-Präsident. Der Mann, dessen "Trump University" nach Millioneneinnahmen des Betrugs überführt wurde, aber das Verfahren erlosch nach einer illegalen Zahlung an eine Richterin. Hab ich von Wikipedia. Und ich fürchte, es stimmt. Was ich sicher weiß: Als Student las ich 1986 das Buch "Wir amüsieren uns zu Tode" von Neil Postman. Was ich damals für total überzogen hielt, ist alles eingetreten: Telegenität und Unterhaltungs­wert sind für politische Wahlen wichtiger als Wahrheitsgehalt und Quellen. Das Buch lohnt sich immer noch oder wieder.

Wie entsteht unser Gefühl von Wahrheit? Eine Studie zeigt: Selbst wenn wir es besser wissen, sind wir oft zu denkfaul, um der Wahrheit zum Recht zu verhelfen. Das hat das Team um Lisa Fazio von der Vanderbilt University getestet. Die alte Lehrerweisheit, wonach sich Dinge durch Wiederholen einschleifen, stimmt auch für Dinge, die nicht stimmen. Aussage und Bewertung der Quelle werden im Gedächtnis entkoppelt, so dass wir noch dunkel wissen: "Hab ich schon mal gehört, ist wohl was dran." Wir erinnern uns aber nicht mehr, ob es jemals stimmte. Viel wichtiger ist für unser inneres Tribunal, ob wir das Gehörte leicht aufnehmen und an Bekanntes ankoppeln können – was Psychologen "perceptual fluency", Wahrnehmungsflüssigkeit, nennen. Das erinnert ein bisschen an die blaue Testflüssigkeit aus der Werbung, aber der Werbung glaubt man besser auch nicht.

Was leicht in den Kopf geht, bleibt besser hängen. Und das schon beim Lesen: Große und rote Buchstaben sind "flüssiger" und damit leider auch glaubwürdiger, egal wie sehr Revolverblätter das Blutrot zur einseitigen Dramatisierung benutzen. Fazios Team nahm Aussagen wie "Ein Sari ist ein Rock, der von Schotten getragen wird". Je öfter dieser Unfug im Test auftauchte, desto eher wurde er geglaubt – selbst von Leuten, die wussten, dass der Schottenrock Kilt heißt. Repetition killt Kenntnis. Übrigens: Wer sich auf einem Gebiet gut auszukennen meinte, war besonders anfällig für falsche Aussagen.

Was bleibt? Sollen wir kapitulieren – oder rekapitulieren? Sokrates, Sie wissen schon, dieser indische Friedenskämpfer mit der Brille – nein, genug der Verwirrung, Zeit für zeitlose Dialoge. Also, zum weisen Sokrates sprach einer: "Das muss ich dir erzählen ..."

"Halte ein!", unterbrach ihn jener. "Hast du, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt? Das erste ist das der Wahrheit. Hast du also bei allem, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?"

"Nein, ich hörte es und ..."

"So, so! Aber hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft, dem der Güte? Ist das, was du mir erzählen willst, gut?" Zögernd der andere: "Nein, im Gegenteil ..."

"Hm", sprach der Weise. "So lass uns das dritte Sieb anwenden. Ist es notwendig, dass du es mir erzählst?" "Notwendig nun gerade nicht."

Sokrates lächelte. "Wenn es weder wahr noch gut noch notwendig ist, so belaste dich und mich nicht damit." Sieben lohnt sich. Wer darauf Acht gibt, hat seltener eins an der Neun.

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  • Quellen

Fazio, L. K. et al.: Knowledge Does not Protect against Illusory Truth. In: Journal of Experimental Psychology: General 144, S. 993–1002, 2015

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