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Leichtathletik-WM: Keine einfachen Wahrheiten im Anti-Doping-Kampf

Der Kampf gegen Doping kann nicht in den Labors gewonnen werden, sagt Andreas Grieß. Der Betrug steckt in den Strukturen.
Doping

Jahrelang gingen selbst Sportexperten davon aus, dass der Anti-Doping-Kampf vor allem auf dem Feld der Forschung geschlagen würde. Wie im Rennen zwischen Hase und Igel schienen die Betrüger den Nachweisverfahren stets einen Schritt voraus. Das mag zwar in Teilen noch immer der Fall sein, die neuesten Enthüllungen aber zeigen, dass das Problem viel schwer wiegender ist: Selbst die besten Testmethoden bringen nämlich nichts, wenn sie nicht in ein sinnvolles System eingebunden sind.

Der ARD-Journalist Hajo Seppelt hat in seinen stark diskutierten Berichten aufgezeigt, wie verbreitet Doping-Verdachtsfälle in der weltweiten Leichtathletik sind. In der russischen Leichtathletik geht das Doping-Netz demnach bis in die Spitzen des nationalen Verbands und umfasst sogar die nationale Anti-Doping-Agentur. Auch in der Läufernation Kenia scheint der jüngsten Reportage zufolge Doping ganz selbstverständlich zu sein. Mehr noch: Viele der WM- und Olympia-Medaillen im Ausdauerbereich seien von Athleten mit auffälligen Blutwerten erzielt worden.

Schockierende Ergebnisse mit altbekannten Methoden

All seine Recherchen untermauerte der Journalist dabei mit Methoden, die nicht erst noch erfunden werden müssen: Zeugenaussagen, Recherche im Umfeld der entsprechenden Personen und auch Ergebnisse bereits bestehender Tests. Umfangreiche Daten einer Blutbank stammen dabei ausgerechnet aus dem Inneren des Leichtathletik-Weltverbands, der IAAF. Aus der heißt es, die Berichte seien "sensationslüstern und konfus". Der neue Präsident Sebastian Coe sprach gar von einer "Kriegserklärung". Damit verstärkt der Verband die Wahrnehmung, dass er kein Interesse an einer Aufklärung habe, und man muss sich schon fragen, warum er nicht wenigstens bessere PR-Berater engagiert.

Viele deutsche Leichtathleten sind sauer. Von klein an bekommen sie auf Lehrgängen eingetrichtert, dass sie sauber bleiben sollen. Die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) ist mit Infoständen bei Meisterschaften vertreten. Doch wenn es darum geht, effektiv etwas gegen Doping zu tun, wirken die nationalen wie die internationalen Funktionäre zahnlos und handzahm. Ein Grund: Die Leichtathletik kämpft vor allem in Deutschland seit Jahren um Aufmerksamkeit, sieht sich in Konkurrenz zu Trendsportarten auf verlorenem Posten im Ringen um Nachwuchs, TV-Präsenz und Sponsoren. Das Letzte, was sie dabei gebrauchen kann, ist der Ruf, eine mit Doping verseuchte Sportart zu sein. Auch in Deutschland ist sicher nicht alles sauber. Dass Fördermittel für Verbände zudem zum Teil über Medaillenvorgaben, sprich über die Frage, wie erfolgreich eine Sportart in der Spitze ist, vergeben werden, macht die Sache nicht besser.

Den Athleten, die einfach nur sauber und fair ihrem Sport nachgehen wollen, geht das gegen den Strich. Es gibt kaum eine Gelegenheit, bei der Sportler länger Zeit miteinander verbringen und es im Gespräch nicht irgendwann zu diesem leidigen Thema kommt. Man wittert Ungerechtigkeit oder gar Chancenlosigkeit gegen die Betrüger. Der Anti-Doping-Kampf vermischt sich mit Kritik an bürokratischen Strukturen und einer allgemeinen Abneigung gegen Seilschaften und "die da oben". Selbst in der nationalen Spitze existiert diese Denke. Einige Athleten veröffentlichten ein Video, in dem sie den Weltverband zum Handeln auffordern. Ihre Botschaft: "Wir können euch nicht mehr trauen." Drei Athleten unterstrichen ihre Ambitionen, indem sie ihre Blutwerte für die ARD freigaben, darunter Weltmeister Robert Harting. Dass ein Diskuswerfer auf Grund seiner Disziplin jedoch wohl kaum ein ausdauerförderndes Blutdoping betreiben würde, fällt dabei unter den Tisch. Der Kampf um die Deutungshoheit im Anti-Doping-Kampf wird zunehmend eher auf emotionaler als auf sachlicher Ebene geführt.

Hat Leichtathletik eine Zukunft?

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Sport in Weltverbänden und im globalen Maßstab eine Zukunft hat. Die Verbände müssen den Mut haben, sich kurzfristig selbst zu schaden. Aber auch die Athleten müssen Pillen schlucken – und zwar bittere statt leistungsfördernde. Gesetze und damit zivile Strafbarkeit sind wohl ebenso unumgänglich wie Kompromisse im Hinblick auf den Datenschutz. Geschieht dies nicht, werden die Folgen gravierend sein. Schon jetzt sagen Trainer wie Andre Höhne, dass es ihnen schwerfällt, Nachwuchs an den Sport heranzuführen, da vielen Athleten und Eltern das Vertrauen fehle. Und auch an anderer Stelle wird der Vertrauensverlust deutlich: Ein immer wiederkehrendes Argument der Gegner der Hamburger Olympia-Bewerbung lautet sinngemäß: "Die sind doch eh alle gedopt." Solchen "Doping-Festspielen" wolle man keine Bühne bieten.

Es ist also höchste Zeit zu erkennen, warum der Hase immer gegen den Igel verliert: nicht weil er in einem Wettrennen unterliegt, sondern weil er durch Seilschaften betrogen wird. Im Märchen begreift der Hase das übrigens nicht – und stirbt deshalb.

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