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Verbot der grünen Gentechnik: Meinung: Ahnungslosigkeit oder Populismus?

Grüne Gentechnik sei für Umwelt und Natur riskant und sollte daher verboten werden, behauptet Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Das entspricht nicht den Fakten.
Reifer Mais

"Das Bundesumweltministerium pocht auf ein lückenloses Verbot grüner Gentechnik in Deutschland. Das Gentechnikgesetz müsse so geändert werden, dass die umstrittene grüne Gentechnik hier zu Lande unter keinen Umständen genutzt werden kann" – so steht es in einem Positionspapier des Ministeriums, das der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt. "Die grüne Gentechnik hat sich als Holzweg erwiesen", sagt demnach Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Diese sei für Umwelt und Natur riskant und werde von Verbrauchern nicht gewünscht. "Deshalb möchte ich, dass wir zukünftig immer von den neuen EU-Regeln Gebrauch machen, die die Gentechnikfreiheit in Deutschland garantieren können."

Frau Hendricks hat Recht, wenn sie sagt, dass Verbraucher hier zu Lande keine gentechnisch veränderten Produkte auf ihrem Teller möchten: Laut einer aktuellen Umfrage kommt für mehr als die Hälfte der Bundesbürger der Kauf von Gentech-Lebensmitteln unter keinen Umständen in Frage, mehr als 80 Prozent der Befragten lehnen den landwirtschaftlichen Anbau ab. Politisch weiß Frau Hendricks also sicher eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hinter sich – und reagiert darauf, wie man es von Volksvertretern erwartet.

Daniel Lingenhöhl

Dennoch ist ihre Argumentation (zumindest laut dem veröffentlichten Zeitungsbericht) unredlich und fehlerhaft. Und dadurch trägt sie ihren Teil dazu bei, dass die Menschen über die Chancen und Risiken der grünen Gentechnik falsch informiert werden, was letztlich die Ablehnung mit produziert. So hat eine umfassende Analyse der wissenschaftlichen Literatur über grüne Gentechnik, die mit Geldern der Europäischen Union erforscht wurde, 2014 keinerlei Belege dafür gefunden, "dass gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eine größere Gefahr für die Umwelt oder die Lebens- und Futtermittelsicherheit darstellen als herkömmliche Pflanzen und Organismen". Stattdessen konstatiert die Arbeit, "dass GVO das Potenzial haben, vor allem in weniger entwickelten Ländern die Unterernährung einzudämmen, die Ernteerträge zu steigern und zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel beizutragen".

Eine andere Metaanalyse der wissenschaftlichen Literatur ergab 2011, dass gentechnisch veränderte Pflanzen sogar die nachteiligen Folgen der Landwirtschaft auf die Biodiversität verringert hätten. Als Beispiele wurde die konservierende Bodenbearbeitung genannt, weil Unterpflügen von unerwünschten Wildkräutern nicht mehr nötig war, reduzierter Einsatz von Insektiziden (beispielsweise durch Anbau von Bt-Mais, der ein Bakteriengift gegen Fraßschädlinge produziert) und gezielter wirkende Herbizide. Dazu komme noch die Ertragssteigerung auf den Feldern, was den Druck auf verbliebene Naturfläche vermindert habe, so die Studie.

Selbst der oft als Musterbeispiel für schädliche Einflüsse durch GVO genannte Fall der nordamerikanischen Monarchfalter erweist sich bei näherer Betrachtung als Trugschluss: Die Larven des Schmetterlings ernähren sich von der Gewöhnlichen Seidenpflanze (Asclepias syriaca), auf der im Umfeld von Maisfeldern häufig Pollen des Getreides landen und dann mitverzehrt werden. Erste Fütterungsexperimente im Labor deuteten eine nachteilige Wirkung an, doch ließen sich diese im Freiland nicht belegen: Im Labor waren so große Maispollenmengen verfüttert worden, wie sie in der Natur nicht auftreten würden. Verschiedene Nachfolgestudien konnten eine größere Gefährdung des Schmetterlings dementsprechend vorerst ausschließen: Verglichen mit anderen Einflussfaktoren wie Lebensraumzerstörung – etwa im mexikanischen Überwinterungsgebiet –, Pestiziden gegen Nahrungspflanzen oder Kollisionen mit Fahrzeugen fielen Bt-Mais-Pollen kaum ins Gewicht, so der Tenor. Verglichen mit konventionell bewirtschafteten Feldern mit "normalem" Mais oder Baumwolle wiesen entsprechende GVO-Äcker sogar eine höhere Artenvielfalt auf.

Schlechte landwirtschaftliche Praxis

Nicht von der Hand zu weisen ist, dass sich auch beim Anbau von GVO nach gewisser Zeit resistente Tiere oder Pflanzen entwickeln, gegen die die eingesetzten Pestizide dann nicht mehr wirken. Seit das berüchtigte Pflanzenschutzmittel Roundup tolerierende Pflanzen 1996 von Monsanto auf den Markt gebracht wurden, haben sich mindestens 24 herbizidresistente Wildkräuter entwickelt. Doch mit diesem Problem kämpfen Landwirte seit Beginn der chemischen Schädlingsbekämpfung. Mindestens 64 Unkrautarten sind beispielsweise immun gegen das Herbizid Atrazin, obwohl keine Nutzpflanze gentechnisch verändert wurde, damit sie dem Mittel selbst widersteht.

Derartige Entwicklungen sind also Folge schlechter landwirtschaftlicher Praxis – die allerdings zum Teil von Empfehlungen der GVO-anbietenden Firmen gefördert wurden, weil diese zu überzeugt von ihren Produkten waren. Wer dauerhaft auf Fruchtwechsel und andere Maßnahmen verzichtet, muss zwangsläufig mit Resistenzen und sinkenden Ernteerträgen rechnen, gleich ob nun GVO oder herkömmliche Sorten angepflanzt werden. All dies berücksichtigt die Ministerin in ihrem Vorstoß nicht, der entweder auf Unkenntnis der Faktenlage basiert – oder auf purem Populismus. Beides wären bedenkliche Tendenzen.

Mit ihrem Vorstoß übersieht Frau Hendricks zudem, dass neue gentechnische Verfahren immer gezielter in das Genom eingreifen können. Sie bewirken unter anderem, dass seltener Gene aus anderen Arten in Nutzpflanzen integriert werden müssen, was viele Gentechnikgegner am schärfsten kritisieren. Andere Ansätze gehen dahin, beispielsweise Alarm-Pheromone in das Erbgut von Nutzpflanzen einzuschleusen: Es imitiert das chemische Warnsignal von Blattläusen, wenn sie attackiert werden. Mit den entsprechenden Genen ausgestatteter Weizen täuscht dann Blattläusen vor, dass sie in Gefahr seien – und treibt sie so in die Flucht. Insektizide könnten noch weiter reduziert werden.

Diese Erforschung der grünen Gentechnik findet dann allerdings nicht mehr in Deutschland statt: Wer bislang noch nicht das Weite gesucht hat, wird es spätestens nach dem Totalverbot durch das Bundesumweltministerium tun. Und Deutschland koppelt sich endgültig von einer Zukunftstechnologie ab – beziehungsweise verspielt die Chance, dass wenigstens die potenziellen Risiken hier zu Lande noch erforscht werden. Auch das kann eigentlich nicht im Sinn einer verantwortungsvollen Politik sein.

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