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10 Jahre Kyoto-Protokoll: Meinung: Endlich mehr Klimaschutz wagen

Vor zehn Jahren trat das Kyoto-Protokoll in Kraft. Gebracht hat es bislang nur wenig. Es wird Zeit für einen Neuanfang, meint Daniel Lingenhöhl.
Kohlekraftwerk

Am 16. Februar 2005 trat das Kyoto-Protokoll in Kraft – endlich. Denn acht Jahre hatte es ab dem Weltklimagipfel im japanischen Kyoto 1997 gedauert, bis genügend Staaten das lange ersehnte Klimaschutzabkommen ratifiziert hatten, so dass es wirksam werden konnte. Wirksam ist in diesem Fall jedoch ganz eindeutig relativ, denn zum zehnten Geburtstag muss man dem umfangreichen Vertragswerk bescheinigen, dass es nichts gebracht hat. Die Weltgemeinschaft produziert immer noch fast jedes Jahr mehr Kohlendioxid als im Jahr zuvor, so dass die Konzentration des Treibhausgases nicht nur wegen der langfristigen Anreicherung in der Atmosphäre zunimmt. Und dieses Muster gilt für viele andere wichtige Treibhausgase wie Lachgas (Distickstoffmonoxid) ebenso.

Kurz- und mittelfristige, regionale oder gar globale Rückgänge lassen sich auf weltweite Wirtschaftskrisen zurückführen wie 2009 oder hingen mit dem Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften zusammen, wie dies in den 1990er Jahren beobachtet werden konnte (und was überwiegend noch vor dem Kyoto-Protokoll geschah). Derartige Trends wurden und werden aber meist von der ökonomischen Entwicklung in anderen Teilen der Erde mehr als kompensiert: Mittlerweile konkurriert beispielsweise China mit den USA um Platz 1 in der globalen CO2-Rangliste und hat den langjährigen Spitzenreiter 2013 sogar überholt.

Daniel Lingenhöhl

Das Kyoto-Protokoll hat zwar zahlreiche Industriestaaten dazu verpflichtet, ihre Kohlendioxidemissionen zu verringern. Es hält sich jedoch kaum ein Land an diese Vorgaben. Selbst vermeintliche Musterschüler wie Deutschland, die jahrelang weniger CO2 produziert haben (und dabei teilweise vom Zusammenbruch der DDR-Industrie profitierten), wiesen zwischenzeitlich wieder steigenden Ausstoß auf. Hier zu Lande wird zwar immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind erzeugt, doch gleichzeitig nahm zumindest zeitweilig auch der Verbrauch an Stein- und Braunkohle in Großkraftwerken zu, weil die Bundesrepublik aus der Kernkraft aussteigt und entsprechende Kraftwerkskapazitäten umgeschichtet werden. Wie sich dies in den nächsten Jahren weiterentwickelt, wenn mehr und mehr Kernkraftwerke abgeschaltet werden, muss man abwarten – immerhin bescherte uns vor allem der warme Winter 2014 erneut sinkende Emissionen.

Das Kyoto-Protokoll ist mindestens scheintot

Das Klimaschutzabkommen krankt daran, dass wichtige Nationen wie die USA es überhaupt nicht ratifiziert haben und somit auch keinen Einsparungsvorgaben unterliegen. Deutschland mit seinem rund zweiprozentigen Anteil am Kohlendioxidausstoß ist gegen die Verweigerer nur ein kleiner Fisch: Russland oder Japan, die ebenfalls in großem Umfang CO2 produzieren, sind mittlerweile ebenso aus dem Abkommen ausgestiegen wie Kanada oder Neuseeland, was zumindest politisch ein verheerendes Signal ausgesendet hat. China oder Indien mit ihren rasant wachsenden Volkswirtschaften und dem genauso rasant zunehmendem Kohlendioxidausstoß unterliegen laut dem Protokoll überhaupt keinen Verpflichtungen, weil man ihnen eine Art "Nachholbedarf" zugesagt hat. Ohne diese neuen Dickschiffe wollen jedoch die USA kein neues Vertragswerk unterschreiben.

Das Kyoto-Protokoll ist also zumindest scheintot – und ein Nachfolgeabkommen auch nach jahrelangem Verhandlungsmarathon nicht in Sicht: Ende des Jahres nimmt die Welt in Paris einen neuen Anlauf; vorerst wurde die Laufzeit des alten Abkommens bis 2020 verlängert.

Endlich handeln

Dabei wäre Handeln dringend angeraten: 2014 war im weltweiten Mittel das wärmste Jahr seit Beginn moderner Aufzeichnungen im 19. Jahrhundert. 14 der 15 wärmsten Jahre in diesem Zeitraum traten seit der Jahrtausendwende auf. Seit fast vier Jahrzehnten fiel jedes Jahr wärmer aus als der jahrzehntelange Durchschnitt. Weltweit mehren sich klimatische Extremereignisse wie Dürren, schwere Überflutungen oder Stürme, was viele Klimaforscher als eine bereits spürbare Folge der Erderwärmung betrachten. Und im Mai 2013 hatte die atmosphärische CO2-Konzentration zumindest zeitweilig einen Wert von 400 ppm (parts per million) überschritten – ein Wert, wie er seit mehreren hunderttausend Jahren nicht mehr erreicht worden war.

Zudem bilden die Temperaturen nur eine Facette des Klimawandels, viele andere Parameter zeigen weiterhin einen eindeutigen Trend. Ein Großteil der zusätzlichen, durch die steigende Kohlendioxidmenge verursachten Erwärmung geht demnach direkt in die Ozeane. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass sich beispielsweise die Grönlandsee in der Tiefe stark aufheizt, und auch tiefere Wasserschichten des Pazifiks werden wärmer. Das sorgt für eine thermisch bedingte Ausdehnung des Wasserkörpers, die wiederum einer der Gründe für das Ansteigen des Meeresspiegels ist – der in den letzten Jahrzehnten ebenfalls stetig vorangeschritten ist.

Ohnehin verschwindet ein großer Anteil "unseres" Kohlendioxids in den Meeren und sorgt dafür, dass das Wasser versauert – was wiederum die Lebensbedingungen für eine Reihe wichtiger Organismen wie Korallen, Kalkalgen oder Muscheln zunehmend verschlechtert. Seit Beginn der Industrialisierung hat der Gehalt an sauer wirkenden Wasserstoffionen im Meerwasser um 30 Prozent zugenommen – sie greifen in chemische Reaktionen ein und verhindern beispielsweise, dass bestimmte Lebewesen ihre Kalkschalen ausreichend gut aufbauen können. Und schließlich sorgt auch der Drang zu fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Erdgas und selbst Kohle selbst in steigendem Maß zu Naturzerstörungen: Straßen durchziehen den westlichen Amazonasraum, weil dort noch Erdöl lagert, für den Kohlebergbau ist die gegenwärtige australische Regierung bereit, Teile ihres weltberühmten Great Barrier Reef zu opfern, und Fracking durchlöchert ganze Landschaften in den USA, wie man auf Satellitenbildern sehen kann.

Was tun?

Die Welt braucht also endlich ein verpflichtendes Instrument, um ihren schmutzigen Energiebedarf endlich zu zügeln und die Kohlendioxidemissionen nachhaltig zu verringern. Es steht allerdings zu befürchten, dass dies mittelfristig nicht mit einem globalen Abkommen zu allem und mit jedem erreichbar ist. Selbst wenn die USA sich in Paris bewegen sollten: Der ebenfalls nicht mit starkem Klimaschutzdrang ausgestattete Präsident Barack Obama wird 2016 abgewählt; von den meisten der Nachfolgekandidaten darf man nicht mehr Engagement erwarten – zumal der Senat sich weiterhin schwer damit tut, dass der Klimawandel auf menschliches Handeln zurückzuführen ist. Ohne die USA wird es aber mit Sicherheit keine globalen Fortschritte im Klimaschutz geben – weder China noch Indien oder Russland dürften sich dann auf verpflichtende Ziele einlassen.

Deshalb sollten die Staatenlenker dringend die Weltklimapolitik reformieren und einzelne Pakete schnüren, die unabhängig beraten und verabschiedet werden könnten. Ebenfalls seit Jahren wird beispielsweise unter dem Stichwort REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) über verstärkten Waldschutz debattiert: Wälder gelten als Kohlendioxidsenke; werden sie hingegen abgeholzt, wird zusätzlich Kohlendioxid frei – ihre Bewahrung wäre also ein Beitrag zum Klimaschutz, aber die Verhandlungen gehen ebenfalls im Schneckentempo voran. Dabei wäre dies ein Feld, auf dem man womöglich bei gutem Willen auch auf Seiten der Industriestaaten rasch zu einem Ergebnis kommen könnte.

Leichter einigen könnten sich die Staaten womöglich ebenfalls bei klimarelevanten Gasen, die nicht die herausragende Rolle von Kohlendioxid spielen. Als Vorbild dazu kann das Montreal-Abkommen dienen, das erfolgreich die ozonschädigenden FCKW bannte. Leicht ließen sich weltweit wohl fluorierte Kohlenwasserstoffe und ähnliche Verbindungen bannen, die vor allem einen Spezialnutzen haben und nicht beim Autofahren oder im Kraftwerk entstehen. Schwieriger, aber noch machbar dürften sich Methan und Lachgas reduzieren lassen, die vorwiegend aus der Landwirtschaft stammen. Methan kann allerdings selbst als Energierohstoff eingesetzt werden, so dass es zumindest einen Anreiz gibt, es aktiv zu nutzen und zumindest in das etwas weniger klimarelevante Kohlendioxid umzuwandeln. Strenge Vorgaben könnten bei beiden Gasen dafür sorgen, dass Ressourcen wie teurer Mineraldünger schonender eingesetzt werden.

Bleibt als schwierigstes und kompliziertestes Feld die CO2-Reduzierung. Hier muss man wohl auf guten Willen hoffen – und dass einige Staaten und Staatengemeinschaften wie die Europäische Union voranschreiten. Sie müssen zeigen, dass eine Energiewende bei gleich bleibendem oder wachsendem Wohlstand möglich ist. Sie können mit bilateralen Verträgen interessierten Nationen unter die Arme greifen, indem sie den Technologie- und Knowhow-Transfer erleichtern und entsprechende Exporte fördern. Tatsächlich wird es wohl nur über marktwirtschaftliche Anreize und Erfolge gelingen, Staaten wie die USA, Japan oder auch China mitzunehmen und so den Klimawandel einzudämmen. Dazu müssen sich aber Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien bald durchringen, sonst scheitern auch die nächsten Klimagipfel und produzieren nur heiße Luft wie das Kyoto-Protokoll. Und das wäre für alle Beteiligten eine Katastrophe.

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