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Expertenstreit: Ruinieren Atombomben das Weltklima?

Zwei Studien über die Klimafolgen eines Atomkriegs kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Wie kann das sein, wenn Klimasimulationen doch immer genauer werden? Und ist das nicht eigentlich egal?
Eine Winterlandschaft mit Gasmaske im Vordergrund.

Ein weltweiter Atomkrieg, bei dem 20 Prozent oder mehr aller Atomwaffen zum Einsatz kommen, würde die Erde weitgehend verwüsten. Alle Atommächte zusammen besitzen im Moment etwa 13 900 Atomsprengköpfe. Wir reden also über mindestens 2800 Atombombenexplosionen von der mehrfachen Stärke der Hiroshimabombe. Sie bedeuten nicht unbedingt das Ende der Menschheit, die allermeisten von uns würden die Katastrophe wohl erst einmal überstehen. Aber was kommt dann?

Wenn man dem Klimatologen Alan Robock glaubt, verstärkt ein mindestens drei Jahre dauernder nuklearen Winter das Elend der Überlebenden. Die gewaltigen Brände nach den Atomexplosionen schleudern solche Mengen Rauch und Ruß in die Stratosphäre, dass die Sonnenstrahlung den Boden nur noch leichenblass erreicht. Zugleich nimmt die Ozonschicht massiven Schaden. Die Überlebenden fänden sich in einer kalten zerstörten Welt wieder. Das bleiche, kaum wärmende Sonnenlicht enthält aber gefährlich viel UV-Strahlung, die zu Trübungen der Hornhaut und Hauttumoren führt. Das Sonnenlicht ist nicht mehr freundlich. In Deutschland könnte in einem der eisigen Winter der Bodensee zufrieren und in den folgenden kalten Sommern nicht mehr auftauen. Das Getreide reift nicht mehr, die Obstblüte erfriert, das Vieh muss notgeschlachtet werden. Die Menschen frieren und hungern.

Zehn Jahre später erholt sich eine deutlich dezimierte Menschheit langsam von den Verwüstungen, und noch immer horten die Atommächte genügend Waffen, um die Katastrophe zu wiederholen. Aber die Klimaschwankungen gehen weiter. Die enormen Mengen an Treibhausgasen aus den Bränden führen zu einer überschießenden Temperatursteigerung. War es in den ersten Jahren kalt wie in der Eiszeit, so wird es jetzt mehrere Grad zu warm. Unter diesen Bedingungen lassen sich kaum ausreichende Ernten einbringen, und die Verteilung wird wohl ebenfalls nicht mehr so recht funktionieren. Auch wenn die Menschheit dadurch vermutlich nicht ausstirbt, wird sie in jedem Fall auf eine frühere Kulturstufe zurückfallen.

Die kleine Katastrophe: Regionale Atomkriege

Während niemand große Zweifel an den verheerenden Auswirkungen eines umfassenden Atomkriegs hat, beurteilen verschiedene Expertengruppen die weltweiten Gefahren einer regionalen nuklearen Auseinandersetzung offenbar ganz unterschiedlich.

Im Jahr 2007 veröffentlichte die Gruppe um den bekannten Klimatologen Alan Robock ein Paper zu den Auswirkungen eines Atomkriegs zwischen zwei Staaten in den Subtropen mit 100 Atomexplosionen von der Größe der Hiroshima-Bombe (zirka 15 Kilotonnen TNT, abgekürzt kt). Gemeint waren die Atommächte Indien und Pakistan. Die Forscher gingen davon aus, dass die gewaltigen Brände 5 Millionen Tonnen Ruß in die obere Troposphäre befördern würden.

Als Troposphäre bezeichnet man den untersten Bereich der Atmosphäre, die »Wetterschicht«. Darüber erstreckt sich die Stratosphäre, in der unter anderem die Ozonschicht liegt. Ist der Ruß erst einmal in der oberen Troposphäre angekommen, steigt er auch weiter auf und erreicht die Stratosphäre. Dann aber hält er sich jahrelang, schattet die Sonne ab und schwächt die Ozonschicht. In der Veröffentlichung benutzen die Autoren für Ruß den Begriff »Black Carbon«, also »schwarzer Kohlenstoff«. Das ist nicht ganz eindeutig definiert. Es handelt sich in jedem Fall um schwarze, bei unvollständigen Verbrennungsvorgängen entstehende Partikel, die im Wesentlichen aus Kohlenstoff bestehen.

Robock und seine Gruppe kamen zu dem Ergebnis, dass fünf Millionen Tonnen solcher Partikel in der Stratosphäre weltweit die Temperaturen für mehrere Jahre um ein bis zwei Grad absenken würden. Die Auswirkungen wären nicht überall gleich stark. Im ersten Jahr wären zum Beispiel Nordosteuropa, das östliche Sibirien und Teile von Kanada besonders heftig betroffen. Europa müsste mit äußerst kalten Wintern rechnen. Der helle Schnee reflektiert die Sonnenstrahlen und trägt zusätzlich zur Abkühlung bei. Wenn es kälter wird, verdunstet zudem weniger Wasser, und die Welt wird trockener. Damit wären Missernten vorprogrammiert. Weil diese Klimaveränderung mehrere Jahre anhält, schrumpfen die Weltvorräte an Getreide und Reis schnell zusammen. Zwei globale Missernten unter 85 Prozent des normalen Ertrags würden die Lager bereits komplett erschöpfen. Die Arbeit galt als Standard, und weitere Veröffentlichungen, wie die eines Teams um Andrea Stenke von der ETH Zürich aus dem Jahr 2013, bestätigten die Ergebnisse.

Expertenstreit

Im Jahr 2018 veröffentlichte die Arbeitsgruppe von Jon Reisner vom Los Alamos National Laboratory eine abweichende Einschätzung. Die Forscher sahen keine Beeinträchtigung des Weltklimas durch einen regionalen Atomkrieg auf dem indischen Subkontinent. Dabei nahmen sie die gleiche Anzahl und Größe von Atomexplosionen an.

Das Los Alamos National Laboratory hat einen hervorragenden Ruf. Die Wissenschaftler des Manhattan-Projekts bauten dort im Zweiten Weltkrieg die erste Atombombe. Bis heute ist es eines der größten Labore weltweit für die Nuklearforschung. Nach eigenen Angaben arbeiten dort mehr als 10 000 Menschen, und der Etat beträgt 2,55 Milliarden US-Dollar. Eine Veröffentlichung aus dieser Einrichtung kann man nicht einfach ignorieren.

Im Gegensatz zu früheren Publikationen haben die Forscher sowohl die Explosionen als die dadurch ausgelösten Brände mit einer eigenen Software genau modelliert. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass zwar sehr viel Black Carbon entsteht, aber nur eine geringe Menge davon in die Stratosphäre aufsteigt. Der meiste gelangt lediglich in tiefere Schichten und regnet ab, bevor er deutlichen Schaden anrichtet.

Das ist durchaus plausibel. Die riesigen Waldbrände in diesem Jahr in Russland, Alaska und Brasilien haben wenig Ruß in die Stratosphäre injiziert, obwohl die abgebrannte Fläche vermutlich größer war als der gesamte deutsche Wald. Um den Ruß bis in eine Höhe von zehn oder mehr Kilometer zu treiben, reicht ein Großfeuer nicht aus. Das schafft nur ein Feuersturm. Bei einem solchen Phänomen entsteht ein Kamineffekt, weil die heißen Verbrennungsgase nach oben abziehen, während von allen Seiten Luft heranstürmt und den Brand weiter anfacht.

Ein Feuersturm tritt aber nur dann auf, wenn die Fläche mindestens 1,3 Quadratkilometer beträgt, mehr als 40 Kilogramm brennbares Material pro Quadratmeter vorliegt und mehr als die Hälfte davon gleichzeitig brennt. Diese Zahlen sind allerdings nur Annäherungen und stammen aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, als die Flächenbombardements der Alliierten in Deutschland immer wieder Feuerstürme in deutschen Städten auslösten. Die Atombombenexplosion über Hiroshima erzeugte mit einer Verzögerung von 20 Minuten einen verheerenden Feuersturm. Bei dem zweiten Angriff auf Nagasaki brachen zwar zahlreiche Feuer aus, aber sie flossen nicht zu einem Feuersturm zusammen.

Feuersturm – ja oder nein?

Jon Reisners Arbeitsgruppe kam zu dem Schluss, dass bei der Auslegung heutiger Städte in Indien und Pakistan kaum mit Feuerstürmen zu rechnen sei – und damit auch nicht mit einem globalen nuklearen Winter. Das ließ die Arbeitsgruppe von Alan Robock nicht ruhen. Vier der sechs Autoren der Studie von 2007 haben zusammen mit weiteren Wissenschaftlern am 2. Oktober 2019 ein weiteres Paper veröffentlicht, in dem sie ihre Schlussfolgerungen noch einmal bekräftigen.

Diesmal gehen sie von einer noch brutaleren Auseinandersetzung aus. Statt die Wirkung von 100 Atombomben mit je 15 Kilotonnen Sprengkraft durchzurechnen, haben sie drei Szenarien entwickelt, die etwas komplexer sind. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass Pakistan 150 Atombomben und Indien 100 Atombomben über den gegnerischen Bevölkerungszentren zündet, jeweils mit 15, 50 oder 100 Kilotonnen Sprengkraft. Dazu kommen kleinere Explosionen über Militärbasen.

Zwischen 50 und 125 Millionen Menschen würden dem Krieg unmittelbar zum Opfer fallen. Und weil die Autoren nach wie vor davon ausgehen, dass ein Großteil des entstehenden Black Carbon schnell in die Stratosphäre aufsteigt, würden die weltweiten Temperaturen zwischen zwei und fünf Grad sinken. Die Niederschläge würden um 15 bis 30 Prozent abnehmen, die Erholung des Klimas nimmt mehr als zehn Jahre in Anspruch. Entsprechend groß sei die Gefahr von Missernten und weltweiten Hungersnöten.

Allerdings gelingt es den Autoren wie bereits in der Arbeit von 2007 nicht, ihre Annahmen über die Belastung der Stratosphäre mit Ruß ausreichend zu untermauern. Sie argumentieren zwar relativ ausführlich, aber sie haben keine eigene Simulation der Brandverläufe zu bieten. Im zentralen Thema der Kontroverse können sie also nicht punkten.

Die nukleare Gefahr ist real

Halten wir also fest: Es ist und bleibt unklar, ob ein regionaler Atomkrieg wirklich verheerende Auswirkungen auf das weltweite Klima hat. Vielleicht sollten sich Arbeitsgruppen einfach zusammensetzen und sich über die Zuverlässigkeit ihrer Simulationen austauschen. Das Thema ist zu ernst für Rechthaberei.

Es fällt ebenso auf, dass keine der beiden Gruppen den Aspekt des radioaktiven Fallouts durchgerechnet hat. Die Simulationen berücksichtigen weder die Menge noch die Art und auch nicht die Verteilung. Die aktuell in »Science Advances« erschienene Arbeit von Toon et al. beruft sich auf ein früheres Paper ihrer Arbeitsgruppe, das aber nach längerer Diskussion lediglich feststellt:

»Die Schwierigkeit bei der Berechnung der Radioaktivität … wird unter anderem beeinflusst von Variablen wie der örtlichen Windgeschwindigkeit oder davon, ob es zur Zeit der Explosion geregnet hat. Die größte Unsicherheit entsteht durch die Frage, wo die Bombe genau explodiert (zum Beispiel direkt am Boden). Die Todesfälle durch Fallout hängen davon ab, wie gut die Bevölkerung geschützt ist und wie schnell die Region geräumt werden kann.«

Das sagt natürlich nicht viel aus. Über die hitzige Klimadiskussion vergessen wir manchmal, dass es in der Welt auch noch andere menschengemachte Bedrohungen gibt. Die Atombomben und die weiterhin steigende Zahl von Atommächten sind sicher nicht die geringste davon. Während die USA und Russland die Zahl ihrer Kernwaffen in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert haben, rüsten Indien, Pakistan, China und Nordkorea weiter auf. Regionale Atomkriege sind möglich, auch hier in Europa, und auf lange Sicht betrachtet nicht unbedingt unwahrscheinlich. Die humanitären und wirtschaftlichen Folgen für die gesamte Welt wären in jedem Fall verheerend, ganz gleich, ob das Weltklima nun leidet oder nicht.

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