Schlichting!: Glorie und queteletsche Ringe auf dem Wasser
An einem sonnigen Tag im August setzte ich mich an einen Teich und traute meinen Augen gleich zweimal nicht. Einerseits sah ich meinen Kopfschatten auf der Teichoberfläche mit farbigen Ringen umgeben – eine Glorie. Andererseits war der Sonnenreflex auf dem Wasser Teil eines exzentrischen Ringsystems von Spektralfarben, was auf so genannte queteletsche Ringe verweist.
Beide Phänomene sollte man allerdings nicht auf einer Wasseroberfläche vermuten. Denn die Glorie ist auf gleichartige winzige Tröpfchen angewiesen, und die queteletschen Ringe erfordern typischerweise zwei parallele Schichten. Wie kommt es dazu, dass der Teich gleichzeitig beide Erscheinungen ermöglicht?
Die Glorie kennt man vielleicht von Flugreisen. Dort erscheint der Schatten des Flugzeugs, der auf eine Wolke oder Nebelbank fällt, von farbigen Ringen gekrönt. Die schwebenden Wassertröpfchen strahlen einen Teil des auftreffenden Sonnenlichts zurück zu den beobachtenden Passagieren.
Die Ringmuster der Glorie werden durch Beugung des Lichts an winzigen Wassertröpfchen hervorgerufen, ähnlich wie bei einer Korona. Letztere wird jedoch durch in Vorwärtsrichtung gestreutes Licht hervorgebracht; bei einer Glorie kommt es zu einer Rückstrahlung. Die Abstände zwischen den Ringen und deren relative Intensitäten legen die Deutung nahe, Glorien würden durch Beugung des Lichts an Kreisringen am Rand des Tropfens entstehen. Der wesentliche Beitrag zur Intensität würde dann von Licht stammen, das genau einmal im Tropfen reflektiert wird. Aber ein solcher Weg ist unmöglich. Dafür ist der Brechungsindex des Wassers zu klein.
Man geht inzwischen davon aus, dass hier die einfallende Welle die Oberfläche des Tropfens streift. Dadurch kann sie sich als Oberflächenwelle ein Stück weit am Rand entlangbewegen, bevor sie gebrochen wird. Erst durch die dadurch bedingten Verzögerungen werden die für die Lichtintensität wesentlichen Lichtwellen entgegen der Einfallsrichtung ausgestrahlt.
»Mag auch die Spiegelung im Teich uns oft verschwimmen: Wisse das Bild«Rainer Maria Rilke
Eine Glorie ist auf möglichst kugelförmige Tropfen angewiesen. Darum bleibt für die Glorie am Teich zu klären, an welcher Stelle und in welcher Form solche Gebilde anzutreffen sind.
Vielleicht hilft dabei ein Blick auf das zweite Phänomen. Es weist einige Merkmale einer speziellen Interferenzerscheinung auf, die queteletsche Ringe genannt wird. Dabei liegt der Sonnenreflex im Allgemeinen auf einem der Ringe, die hier nur als leicht gekrümmte Bögen auftreten. Beim Bogen mit dem Reflex erkennt man im Unterschied zu den Nachbarbögen keine Spektralfarben, er ist monochrom. Die sich zu beiden Seiten anschließenden Bögen zeigen eine umgekehrte Reihenfolge der Spektralfarben. Der monochrome Bogen entspricht der nullten Beugungsordnung, und nebenan befinden sich zu beiden Seiten die erste, zweite und weitere Beugungsordnungen in Form bunter Bögen. Hinzu kommt ein interessantes Verhalten: Bewegt man sich quer zu den Bögen, verschieben sie sich in entgegengesetzte Richtung, und bei Annäherung vergrößern sich die Krümmungsradien.
Queteletsche Ringe sind im Gegensatz zu Koronen nicht auf gleich große kugelförmige Teilchen als Streukörper angewiesen. Diese Bedingung könnte die Wasseroberfläche in dem Fall erfüllt haben – sie schien mit einem Belag bedeckt zu sein. Allerdings braucht das Phänomen eine zusätzliche Schicht, an der das Licht gestreut werden kann. Bei Glasscheiben und Folien findet man so etwas an der Rückseite, aber beim Teich tut sich wieder ein Problem auf: Wo gibt es hier eine zweite Schicht?
Sowohl diese Frage als auch die nach etwaigen kugelförmigen Teilchen bei der Glorie machen eine genauere Untersuchung der Wasseroberfläche nötig. Bei einer entnommenen Wasserprobe ließen sich die queteletschen Bögen ebenso bei Kunstlicht in einer gewöhnlichen Plastikwanne beobachten. Unter dem Mikroskop zeigte sich, dass der Belag auf der Wasseroberfläche, der zu den Bogen führte, aus winzigen Kügelchen bestand. Diese erwiesen sich als eine besondere Algenart, nämlich die fotosynthetisierende Goldglanzalge (Chromulina rosanoffii). Sie kann sich selbst auf die Wasseroberfläche hieven, um optimal Licht aufzunehmen.
Damit sind die Voraussetzungen für das Zustandekommen einer Glorie geklärt. Das Licht wird an den zahlreichen winzigen, kugelförmigen Algen gestreut – auf eine vergleichbare Weise wie an den Wassertropfen in Wolken oder im Nebel. In beiden Fällen entsteht im Auge oder auf dem Kamerachip das Bild einer Glorie. Es kommt offenbar vor allem auf die Kugelform der Licht streuenden Objekte an.
Bleibt offen, auf welche Weise die auf dem Wasserspiegel driftende Schicht aus Goldglanzalgen auch für das Auftreten queteletscher Ringe verantwortlich gemacht werden kann. Dazu hilft ein Blick auf die elementaren Prozesse, die das Phänomen auf einer verschmutzten Scheibe hervorbringen. Diese wird durch zwei Lichtwellen getroffen, die von einem Punkt ausgehen. Eine von ihnen wird zuerst an einem Schmutzteilchen gestreut und anschließend an der hinteren Grenzschicht der Scheibe reflektiert. Bei der anderen ist es umgekehrt. Wenn beide sich anschließend überlagern, kommt es zu farbigen Interferenzerscheinungen.
Beim Teich nimmt die Wasseroberfläche die Rolle der spiegelnden hinteren Schicht ein. Die auf dem Wasser driftenden kugelförmigen Algen verhalten sich wie die Streuteilchen auf der vorderen Seite. Da sie nahezu gleich groß sind, bilden sie so etwas wie eine virtuelle zweite Schicht. Hier ist also die Gleichartigkeit der Streukörper, die normalerweise für das Auftreten queteletscher Ringe völlig unerheblich ist, eine notwendige Voraussetzung für dieses Phänomen. Das Wasser bringt damit dank der Algen zwei sonst weit voneinander entfernte Erscheinungen erstaunlich nah zusammen.
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