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Lobes Digitalfabrik: Sind Emojis von der Meinungsfreiheit geschützt?

Die bunten Bilder eröffnen der schriftlichen Kommunikation gänzlich neue Wege - in die Doppeldeutigkeit. Für Firmen und Staat wird das schnell schwer erträglich.
Emoji mit bedecktem Mund

Am 13. Dezember 2014 postete der damals 17-jährige Osiris Aristy aus Brooklyn ein Status-Update auf Facebook mit dem kryptischen Inhalt "F*ck the 83 104 79 98 73 PCTKKKK." Daneben platzierte er ein Pistolen-Emoji, das auf ein Cop-Emoji gerichtet war. Die New Yorker Polizei sah darin einen Aufruf zur Gewalt und nahm den Jugendlichen fest. Die Anklage lautete auf "terroristische Bedrohung", ein Straftatbestand, der nach den Anschlägen vom 11. September verschärft wurde. Der junge Mann hatte einiges auf dem Kerbholz, unter anderem wurde er wegen räuberischer Erpressung, illegalen Waffenbesitzes und Drogenbesitzes rechtskräftig verurteilt. Stellen Symbole wie Emojis, die auf den ersten Blick zunächst etwas albern und infantil wirken, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar? Ein Gericht in New York, das den Fall verhandelte, beantwortete diese Frage mit Nein. Die Emoji-Kombination "Polizist/Pistole" erfülle nicht den Tatbestand der terroristischen Bedrohung.

Es ist nicht das erste Mal, dass Emojis die Gerichte beschäftigen. Im Dezember 2015 wurde gegen eine zwölfjährige Schülerin aus Fairfax im US-Bundesstaat Virginia Anklage erhoben, weil sie auf Instagram die Ankündigung "Wir sehen uns am Dienstag in der Bibliothek" mit einem Waffen-, Messer- und Handgranaten-Emoji versah und dazu "Killing" schrieb.

Emojis haben unsere Kommunikation verändert. Tag für Tag werden sechs Milliarden Emojis verschickt. Die Symbole sind universell und überall verständlich, ein Japaner versteht ein lächelndes Gesicht genauso wie ein Indio. Man kann mit den bunten Bildchen mittlerweile auch bei der Pizzakette Domino's Pizza bestellen oder Politikern seine Unterstützung signalisieren. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton twitterte im August 2015: "Wie fühlen sich eure Studienkreditschulden an? Sagt es uns in drei Emojis oder weniger." Emojis sagen manchmal mehr als Worte. Die britischen Oxford Dictionaries haben 2015 erstmals ein Emoji zum Wort des Jahres gewählt. Emojis haben die Qualität von Worten. Die Bildhaftigkeit erlaubt dabei Ausdrucksformen, für die es im Schriftlichen keine Entsprechung gibt. Sie schafft aber auch semantische Leerstellen. Wie soll der Empfänger ein Pistolen-Emoji verstehen, das auf ein Polizisten-Emoji gerichtet ist? Als Drohung? Als Spaß? Oder gar als Protest gegen Polizeigewalt? Zwar ist das Vokabular auf rund 2000 Emojis begrenzt. Doch die Bedeutungsambivalenzen sind immens.

Auf dem iPhone wird aus dem Colt eine Wasserpistole

In den USA streiten Rechtsexperten, ob Emojis unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen. Symbole sind nach herrschender Meinung vom Schutzbereich umfasst. Darunter ließen sich Emojis subsumieren. Sind die kodierten Zeichen eine Form der Meinungsäußerung?

Die Sprachforscherin Susan Herring, Professorin für Informationswissenschaft und Linguistik an der Indiana University, sagt: "Man kann für oder gegen die Idee argumentieren, dass Emojis Wörter darstellen. Es handelt sich um alleinstehende Bedeutungseinheiten, die man mit anderen Elementen verknüpfen kann, um komplexere Äußerungen wie Wörter zu formen." Emojis seien keine verbale Sprache, und sie würden auch nicht nach syntaktischen Regeln kombiniert. Doch unabhängig davon, ob Emojis nun Wörter sind oder nicht, seien sie eine Ausdrucksform und sollten deshalb geschützt sein, argumentiert Herring. "Es ist keine Frage, dass Emojis eine Form der Meinungsäußerung sind." Problematisch sei dagegen die Frage, was der Sender damit intendiert. Meint er es nur scherzhaft oder ernst? Für die Auslegung von Emojis und den Gebrauch gebe es noch keine Regeln, so Herring. Man müsse wie bei Wörtern auch den Kontext berücksichtigen. Im Fall des New Yorker Teenagers geht die Linguistin eher von einer Protestbotschaft aus.

Osiris Aristy wäre vermutlich nicht vor dem Kadi gelandet, hätte er ein iPhone verwendet. Denn Apple hat das Pistolen-Emoji in seiner iOS-10-Version durch eine Wasserpistole ersetzt und seine Nutzer so entwaffnet. Wenn man ein Revolver-Emoji per SMS von einem Samsung-Handy auf ein iPhone schickt, erscheint auf dem Apple-Gerät kein stilechter Colt mehr, sondern eine grüne Wasserpistole. Gemeinsam mit Microsoft soll Apple beim Unicode-Konsortium, das für die Standardisierung von Emojis zuständig ist, Lobbyarbeit betrieben und die Aufnahme von Gewehrsymbolen verhindert haben – angeblich weil sie als Instrument für Hasskommentare missbraucht werden können. Die inkriminierten Symbole waren laut Unicode-Präsident Mark E. Davis für die Olympischen Spiele angedacht – Sportschießen ist olympische Disziplin.

Allein, durch die Umkodierung greift man wiederum in die Meinungsfreiheit ein. Der Harvard-Jurist Jonathan Zittrain kritisierte in einem Gastbeitrag für die "New York Times", dass die "Eliminierung eines elementaren Konzepts aus dem Vokabular der Sprache" deutlich mache, wie die Verfügbarkeit von sprachlichen Schablonen das Verhalten von Menschen kontrollieren könne. In der chinesischen Version von Skype können Nutzer bestimmte Wörter wie "Wahrhaftigkeit", "Campus-Aufstand" oder "Amnesty International" gar nicht mehr eingeben. Die Zensur beginnt schon bei der Tastatureingabe. Die im Unicode-Konsortium repräsentierten Internetkonzerne bestimmen nicht nur die Regeln des Sagbaren, sondern erlangen zunehmend auch die Deutungshoheit über Zeichen und Symbole und das, was Eingang in unseren aus mehr als nur Wörtern bestehenden Wortschatz findet.

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