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Freistetters Formelwelt: Streit unter Gelehrten

Man muss vor der Mathematik keine Angst haben. Aber man muss ihre Sprache lernen, wenn man sie wirklich verstehen will. Bis sich die Mathematiker jedoch auf eine einheitliche Sprache geeinigt hatten, hat es ein wenig gedauert.
Streitszene

Mathematik wird vor allem mit ihren speziellen Symbolen assoziiert. Für Außenstehende erscheinen sie unverständlich und erwecken den Anschein, Dinge unnötig kompliziert zu machen. Doch tatsächlich dienen die Symbole genau dem gegenteiligen Zweck: Sie ermöglichen es, sehr komplexe Sachverhalte sehr einfach und vor allem eindeutig auszudrücken. Man muss die Sprache der Mathematik zwar zuerst einmal lernen, aber wenn man sie verstanden hat, dann ist sie klarer und logischer als jede natürliche Sprache.

Der Weg dorthin war allerdings nicht einfach. Lange Zeit gab es überhaupt keine einheitlichen Symbole, und Mathematik wurde in reiner Textform und normaler Sprache betrieben. Es hat gedauert, bis man den Wert spezieller und einheitlicher Symbole erkannte. Oft überraschend lange. Im Jahr 1557 erschien in einem mathematischen Buch diese Gleichung:

14x + 15 = 71

Sie ist an sich nicht weiter aufregend (die Lösung lautet x = 4). Doch es handelt sich um den ersten Fall, bei dem in einem gedruckten Buch das Gleichheitszeichen verwendet wurde. Geschrieben hat das Buch der walisische Arzt und Mathematiker Robert Recorde, und es trägt den wunderschönen Titel "The Whetstone of Witte, whiche is the seconde parte of Arithmeteke: containing the extraction of rootes; the cossike practise, with the rule of equation; and the workes of Surde Nombers".

Darin erklärt er, wie ermüdend es sei, die bisherige Methode zum Ausdruck von Gleichheit zu verwenden. Das geschah nämlich dadurch, dass man den entsprechenden Sachverhalt ausschrieb und Phrasen wie "est egale" oder "aequalis" benutzte. Warum nicht einfach zwei parallele Linien verwenden, fragte sich Robert Recorde, denn nichts kann gleicher sein als zwei ebensolche Linien. Also tat er genau das und benutzte das Symbol, das wir auch heute noch kennen: "=".

Das erste "="

Andere Mathematiker verwendeten vorerst weiterhin ihre eigenen Schreibweisen, Symbole und Abkürzungen. Doch im 17. Jahrhundert setzte sich das "=" langsam durch, und auch der Rest der heute gebräuchlichen Symbole entwickelte sich. Die Mathematik wurde internationaler, und man brauchte eine gemeinsame Sprache, auf die sich alle einigen konnten. Das lief natürlich ebenfalls nicht ohne Streit ab; einer der größten Dispute in der Wissenschaftsgeschichte war unter anderem der über die "richtigen" Symbole. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts eskalierte der Konflikt zwischen Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz. Beide hatten zuvor unabhängig voneinander mathematische Methoden entwickelt, um mit unendlich großen und unendlich kleinen Größen umgehen zu können. Die Bedeutung dieser "Infinitesimalrechnung" lässt sich kaum überschätzen, und beide beanspruchten die Entdeckung und den damit verbundenen Ruhm für sich.

Beide beschuldigten sich gegenseitig des Plagiats

Tatsächlich war Newton der Erste, der die Idee dazu hatte – schwieg aber darüber und teilte seinen Kollegen die Entdeckung nicht mit. Leibniz dagegen publizierte seine Ergebnisse sofort, und viele waren deswegen überzeugt, dass ihm die Priorität gebührte. Beide beschuldigten sich gegenseitig des Plagiats und versuchten die (mathematische) Welt von den Vorteilen ihrer jeweiligen Methode zu überzeugen. Besonders Newton dachte, seine Symbole und Bezeichnungen seien "viel eleganter" als die von Leibniz und deswegen natürlich besser. Der Rest der Welt war da anscheinend anderer Meinung, denn heute wird die Infinitesimalrechnung fast ausschließlich so betrieben, wie Leibniz sie formuliert hat, und man verwendet auch seine Symbole, zum Beispiel das Integralzeichen ∫.

Obwohl sie auf den ersten Blick kompliziert erscheint – es lohnt sich, die Sprache der Mathematik zu lernen. Denn so wie bei jeder anderen Sprache gilt auch hier: Hat man sie einmal verstanden, eröffnet sich dadurch eine ganz neue und faszinierende Welt.

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