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Angemerkt!: Übles Ergebnis

Antje Findeklee
Homöopathische Tropfen. Vor dem Aufstehen ein Stück trockenes Brot. Oder Kräutertee. Häufiger kleine Mahlzeiten. Rohe Haferflocken. Lavendelwickel. Ingwer in allen Variationen. Akupressur. Fußreflexzonenmassage. Akupunktur. Sport.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann litten Sie – oder ein Ihnen nahe stehendes Wesen – wohl auch schon mal an Schwangerschaftsübelkeit. Und fragten sich wie so viele andere: Was soll das überhaupt? Und lässt sich denn gar nichts dagegen tun?

Antworten sind heiß begehrt – nicht nur von den Betroffenen: Bezüglich Ursache und Therapie sind Wissenschaftler und Ärzte am Debattieren bis ratlos. Vielleicht kann das erklären, warum die Analyse von Gillian Pepper und Craig Roberts von der Universität Liverpool ihren Weg in die Proceedings der Londoner Royal Society fand. Denn statt eines sinnvollen Beitrags hinterlassen die Resultate nur müdes Kopfschütteln.

Was haben die Forscher gemacht? Zunächst einmal einen Stapel Studien der letzten Jahrzehnte herausgekramt, die sich irgendwo auf der Welt mit dem Thema Quote des Übels bei Schwangeren beschäftigten – immerhin 56 aus 21 Ländern konnten sie zusammentragen. Allein 17 davon stammen aus den USA, 13 aus Großbritannien – demgegenüber stehen 15 Länder, die nur mit einer einzigen Datenmenge vertreten sind.

Dann schauten sie auf der Homepage der FAO nach, was der jeweilige Durchschnittsbürger im jeweiligen Studienjahr denn so durchschnittlich verspeist hatte. "Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Ernährungscharakteristika auf nationaler Ebene die individuelle Ernährung der Frauen in den jeweiligen Studien widerspiegeln", beteuern die Autoren noch. Klar könne die durchschnittliche Ernährung der durchschnittlichen Schwangeren auch einmal vom nationalen Durchschnitt der durchschnittlichen nichtschwangeren Bevölkerung abweichen, so die Forscher. Das macht aber nichts: Sie sollten natürlich mit den landesweiten Zahlen trotzdem korrelieren, insbesondere in großen Studien. Ah ja.

Mit der mittleren täglichen Kalorienmenge, der daraus errechneten mittleren täglichen Kohlenhydrataufnahme und den jährlichen Durchschnittswerten für weitere 16 "Nahrungsmittelkategorien" – wie Getreide, Zucker/Süßstoffe, Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, pflanzliche Öle, tierische Fette, Gewürze, Anregendes, Alkohol oder Fleisch – begaben sich die Forscher dann auf ausgeklügelt statistische Spurensuche. Und stellten erst einmal fest: Fett ist schlecht. Und tierische Produkte auch – aber nur in ihrer Gesamtheit, jedes einzelne für sich liefert keinen Zusammenhang. Je höher jedenfalls der jeweilige Durchschnittskonsum des Durchschnittsbürgers, desto häufiger hängen Frauen in diesen Ländern morgens über der Kloschüssel. Abhilfe schaffen könnten Getreideprodukte und Hülsenfrüchte – je höher ihr Verbrauch, desto niedriger die Übelkeitsrate. Sagt die Statistik.

Die man natürlich noch weiter treiben kann in Form einer Faktorenanalyse. Ergebnis: der absolute Erbrechens-Diätplan. Wenig Hülsenfrüchte und Getreide, viel Kaffee und Konsorten, Zucker, Milch, Eier, Fleisch, Meeresfrüchte, pflanzliche Öle, Obst und Alkohol – so wird Ihnen garantiert schlecht. Sie wollten noch etwas essen? Was ein Pech, obwohl: Wie wär's mit Gemüse? Können Sie nicht mehr riechen oder sehen? Tja.

Immerhin sind die Autoren so vorsichtig einzuräumen, dass vielleicht doch auch andere, nicht ernährungsbedingte Faktoren eine Rolle spielen könnten. Denen versuchten sie auf die Spur zu kommen, indem sie nur die Daten aus Nordamerika und Europa analysierten. Und hoppla: Plötzlich war er verschwunden, der Zusammenhang von Übelkeit und den betrachteten Nahrungsmittelkategorien. Nur in der Faktorenanalyse stießen sie wieder auf das Übel des Übels: wenig Getreide, viel Zucker, Öle – zum Braten und Frittieren, Alkohol und Fleisch.

Ist das nicht prima? Ausgerechnet der unscharfe Blick durch eine globale Brille mit zwei überhaupt nicht zueinander passenden Gläsern – die verknüpften Daten beruhen ja auf völlig verschiedenen Grundlagen – löst ganz und gar individuelle Probleme. Sie erinnern sich: Basis der Analyse waren nicht etwa Informationen zum Essverhalten der von Übelkeit betroffenen Schwangeren, sondern des Durchschnittsbürgers des Staates. Ganz wohl ist den Forschern daher womöglich selbst nicht bei ihrer Verallgemeinerung, denn sie schließen: "Unsere Ergebnisse benötigen jedoch noch Bestätigung durch detailliertere Studien, in denen die Ernährungsgewohnheiten einzelner Frauen erfasst werden." Wer hätte das gedacht.

Bevor wir nun also obige Ernährungsempfehlungen unkritisch in die schon lange Liste von Ratschlägen aufnehmen, warten wir vielleicht besser auf wirklich aussagekräftige Erhebungen. Denn so viele Tipps es auch gibt, nur eines scheint bisher wirklich klar: Vier von fünf Schwangeren in Europa kommen einfach nicht drumrum. Glücklicherweise ist das Übel ja nach den ersten drei der neun Monate meist vorbei. Im Durchschnitt.

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