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Kommentar: Unethische Forschung auf Facebook

Darf man gezielt Menschen in sozialen Netzwerken im Dienst der Wissenschaft manipulieren, wenn das Betreiber der Seiten ohnehin tut? Ein Kommentar von Lars Fischer.
Lars Fischer

Viele Menschen betrachten Facebook als riesige Datensammelmaschine, der man als Nutzer mehr oder weniger ausgeliefert ist. Doch wer Facebook nutzt, tut dies wahrscheinlich in der überwiegenden Mehrheit freiwillig. Was allerdings jetzt über das Netzwerk bekannt wurde, hat eine neue Qualität: Im Auftrag von drei Forschern hat Facebook gezielt Emotionen manipuliert, ohne die Betroffenen über dieses Experiment zu informieren: Fast 700 000 Nutzer sind so zu unfreiwilligen Versuchskaninchen geworden, was ziemlich viele Menschen ziemlich verärgert hat – und zwar zu Recht.

Die Sache ist jedoch noch schlimmer, als es auf den ersten Blick scheint. Denn ganz offensichtlich haben die Wissenschaftler um Jamie Guillory die Ethikregeln für Menschenversuche regelrecht ausgehebelt, indem sie sich hinter Facebook versteckten. Die Argumentation, mit der die Ethikkommission dieses Experiment letztlich genehmigt hat, ist Berichten zufolge nämlich ganz schlicht: Facebook mache das doch ohnehin schon die ganze Zeit.

Ganz falsch ist das nicht. Ein Teil der unfreiwilligen Versuchskaninchen bekam selektiv eine Auswahl negativer Meldungen aus dem Freundeskreis, die anderen bevorzugt positive Updates, eine Woche lang. Anschließend werteten die drei Wissenschaftler die Statusmeldungen der Opfer nach emotionalen Inhalten aus. Mit dem Experiment wollten sie zeigen, dass Emotionen auch in sozialen Medien ansteckend sind. Die Grundthese lautet ungefähr so: Wenn man auf der Straße einen Freund treffe und der sei schlecht drauf, dann ziehe das auch einen selbst runter. Und dauerhaftere Zustände wie Angst und Depressionen setzten sich durch Freundschaftsnetzwerke hindurch ebenfalls fort. Gelte dies auch bei Facebook?

Das Ergebnis der Studie ist wenig überraschend: Eine positive Timeline erzeugt positive Rückmeldungen und umgekehrt. Allerdings, und das erwähnen die meisten Berichte nicht, ist der Effekt winzig: Der Emotionsgehalt der Updates veränderte sich um zwei Prozent der Standardabweichung. Und das ist auch nur deswegen signifikant, weil hunderttausende mitmachen.

Ethikregeln sind nicht nur zum Spaß da

Wie groß der Effekt ausfällt, ist jedoch auch gar nicht der Punkt: Die unfreiwilligen Probanden wurden nicht nur beobachtet, sondern ohne ihr Wissen gezielt manipuliert. Hier hört der Spaß auf. Denn dass Facebook dies sowieso mache, zählt nicht als Argument. Es stimmt zwar, dass die Nutzer nur eine anders eingeschränkte Auswahl der Statusupdates ihrer Kontakte gesehen haben, als der Facebook-Algorithmus unter normalen Umständen generiert hätte. Aber anders als im Normalbetrieb sind die Auftraggeber hier Forscher – und in der Wissenschaft gelten Regeln für derartige Tests.

Nicht ohne Grund wird heute bei Experimenten mit Menschen zwingend vorgeschrieben, die Beteiligten nicht nur zu informieren, sondern ebenso ihr Einverständnis einzuholen. Man darf die Testpersonen über die Natur des Experiments in die Irre führen (was oft notwendig ist, um das Ergebnis nicht zu beeinflussen), aber man muss sie unbedingt informieren. Es reicht also nicht, dass Ethikregeln für die Wissenschaft auf dem Papier festgeschrieben stehen. Man muss sich auch unbedingt daran halten – und zwar nicht nur formaljuristisch, sondern mit voller Verantwortung für das Verhalten anderer. Denn wenn Forscher sich für problematische Experimente einfach Akteure suchen können, die nicht an derartige Regeln gebunden sind, dann können wir diese gleich ganz lassen. Und das ist dann sicher nicht im Sinn der Wissenschaft.

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