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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn bei einem Aufzug die Seile reißen würden?

Sind Sie schon einmal in einem Aufzug stecken geblieben? Da kommen einem die verrücktesten Gedanken. Vor allem als Physiker. Vince Ebert schreibt, was ihm im Angesicht des Abgrunds durch den Kopf geht.
Der Kabarettist Vince Ebert

Könnte man sich dann eigentlich vor dem sicheren Tod schützen, indem man in dem Moment des Aufpralls einfach nach oben springt? Diese Frage stellte mir ein Freund, als wir im letzten Skiurlaub in den Schweizer Bergen in einer voll besetzten 50-Mann-Gondel zehn Minuten lang auf freier Stecke stehen blieben. Direkt über einer tiefen Gletscherspalte. Einer sehr, sehr tiefen. Während ich intensiv über das Problem nachdachte, registrierte ich plötzlich, dass die übrigen Insassen still geworden waren und mich mit unsicheren, ängstlichen Augen anschauten. "Klar kann man sich retten …", sagte ich einen Tick zu euphorisch. "Das ist … also physikalisch ist das … null Problem!" Sie glaubten mir kein Wort.

Und da taten sie gut dran, denn tatsächlich hätte man in einer frei fallenden Kabine keinerlei Chance, durch einen schnellen Hüpfer nach oben den Aufprall entscheidend abzuschwächen. Sehen wir uns die Vorgänge einmal genauer an: Die Schwerkraft zieht alles, was auf der Erde fällt, mit einer Beschleunigung von 9,81 m/s2 in Richtung Erdboden. Dadurch hat die Gravitation im Lauf der letzten Jahrmillionen ziemlich viel kaputt gemacht. Nach nur zwei Metern freiem Fall hat ein Objekt schon eine beachtliche Geschwindigkeit: über 20 Kilometer pro Stunde. Das reicht locker aus, um die Versicherungssumme für Omis Bleikristallvase zu kassieren. Nach fünf Metern sind es bereits 35 Kilometer pro Stunde, und nach 25 Metern freiem Fall bekommen Sie im Stadtverkehr Punkte in Flensburg. Wenn Sie's nicht glauben, fragen Sie Felix Baumgartner.

Ein Hotelaufzug, der beispielsweise aus dem zehnten Stock ungebremst nach unten rast, schlägt mit rund 100 Kilometern pro Stunde vor der Rezeption auf. Angenommen, Sie sind ein guter Sportler und können aus dem Stand 60 Zentimeter in die Höhe springen, dann katapultieren Sie sich mit gerade mal 12 Kilometer pro Stunde nach oben. Die dürfen Sie jetzt meinetwegen gerne von der Fahrstuhlgeschwindigkeit abziehen. Ob das was bringt? Ich sag's mal salopp: Auch bei 88 Kilometer pro Stunde kann selbst der brillanteste Orthopäde nur noch hilflos mit den Schultern zucken.

So weit die Theorie. In der Praxis verhält sich das Ganze noch ein wenig komplizierter. Selbst wenn Sie Hochsprungweltrekordler wären, wäre es Ihnen in dem fallenden Aufzug nur schwer möglich, nach oben zu hüpfen. Schuld daran ist wieder einmal Albert Einstein. Einstein beschäftigte sich in der allgemeinen Relativitätstheorie lange und intensiv mit dem Phänomen "Gravitation". Unter anderem fand er dabei heraus, dass Schwerkraft und Beschleunigung praktisch dasselbe sind. Die Folge dieses so genannten Äquivalenzprinzips ist, dass auf einen Menschen in einem Fahrstuhl, der sich im freien Fall befindet, keinerlei Kraft einwirkt. Die Beschleunigung, mit der die Kabine nach unten saust, ist exakt gleich groß wie die Gravitation, die auf den Fahrstuhl einwirkt. Ein Mensch in einem solchen Fahrstuhl befindet sich demnach in der absoluten Schwerelosigkeit! Natürlich nur bis zum schmerzhaften Aufprall.

Das wirklich Verrückte an der Sache ist, dass man in einem solchen System keinerlei Möglichkeit hat, herauszufinden, ob man sich gerade mit irrsinniger Geschwindigkeit im freien Fall eines Gravitationsfelds befindet oder ob man vollkommen bewegungslos im schwerelosen Weltall schwebt. Die physikalischen Gesetze sind in beiden Fällen identisch. Und dies ist sogar zigfach experimentell nachgewiesen worden – sollten Sie einmal nach Bremen kommen, können Sie sich selbst davon überzeugen.

Dort befindet sich im Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation einer von weltweit nur drei Falltürmen. Eine 110 Meter hohe, evakuierte Fallröhre, in der eine 80 Zentimeter breite Kapsel beinahe erschütterungsfrei nach unten fällt. Genau 4,74 Sekunden lang herrscht in der Kapsel eine Schwerelosigkeit, auf die man selbst in der Internationalen Raumstation ISS neidisch ist. Füllt man kleine Styroporkügelchen in die Kapsel, kann man mit Hilfe einer mitgeführten Kamera sehen, dass die Kügelchen tatsächlich vollkommen schwerelos im Raum umherschweben. Und genau diese Schwerelosigkeit würde uns im Fahrstuhl – oder in der Gondel – zusätzlich zum Verhängnis werden. Unter diesen Bedingungen wäre es nämlich ziemlich schwierig, uns ordentlich vom Fahrstuhlboden abzustoßen, um den Aufprall wenigstens ein bisschen zu minimieren. Andererseits: Ein paar kostbare Augenblicke in absoluter Schwerelosigkeit – wer hat das schon?

Mehr über physikalische Alltagsphänomene erfahren Sie in Vince Eberts Liveprogramm "Zukunft is the Future" und unter www.vince-ebert.de.

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