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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn Spammails intelligenter formuliert wären?

Es gibt Menschen, die auf Post der Nigeria-Connection hereinfallen. Der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert diskutiert, warum manche Menschen vieles falsch einschätzen.
Der Kabarettist Vince Ebert

Haben Sie schon mal eine Mail aus Nigeria bekommen, in der Ihnen folgendes Problem geschildert wird? Das nigerianische Energieministerium muss 320 Millionen Dollar auf ein deutsches Konto transferieren, hat aber blöderweise niemanden, der das Geld nehmen kann. Deswegen fragen die Sie, ob Sie das Geld eventuell auf Ihrem Girokonto parken würden. Als Dank stellt man Ihnen eine üppige Provision in Aussicht. Sie müssen lediglich vorab lächerliche 1000 Euro für Notargebühren und Überweisungskosten überweisen.

Vielleicht fragen Sie sich, weshalb die Macher dieser Spammails eine so unfassbar hirnverbrannte Anfrage verschicken, auf die nur komplette Vollidioten hereinfallen können. Doch genau DAS ist der Trick an der Sache! Diese Mails gehen an Millionen von Internetnutzern. Wäre ihr Inhalt eleganter, klüger und professioneller formuliert, würden eine Menge Leute auf die Mail antworten, um sich über Modalitäten und Details zu informieren. Im Lauf des Mailwechsels kämen die meisten dahinter, dass es sich offensichtlich um Betrüger handelt. Nur die echten Vollpfosten würden zugreifen. Aber genau die greifen auch zu, wenn der Text so bescheuert verfasst ist wie oben. Je dämlicher die Mail, desto weniger Zeit müssen die Macher darauf verwenden, sich mit Halbirren herumzuärgern, die irgendwann sowieso wieder abspringen. Eine geniale Idee, die auf subtile Weise Streuverluste minimiert. So gesehen gönne ich dem nigerianischen Energieministerium jeden Cent.

Die Psychologen David Dunning und Justin Kruger untersuchten schon vor einigen Jahren in einer Studie (PDF), ob die menschliche Urteilskraft mit dem Grad von individueller Inkompetenz zusammenhängt. Dazu ließen sie eine Reihe von Intelligenz- und Kognitionstests von ihren Studenten durchführen. Und es zeigte sich tatsächlich: Jene Studenten, die die schlechtesten Testergebnisse erzielten, waren gleichzeitig am unfähigsten, ihre eigene Leistung korrekt einzuschätzen. Die inkompetentesten fühlten sich am cleversten! Um zu wissen, wie kompetent man in einer Sache ist, braucht es offenbar dieselben Fähigkeiten, die man benötigt, um in dieser Sache wirklich kompetent zu sein.

Salopp gesagt sind Doofe deswegen doof, weil sie glauben, dass sie clever sind. Doch nicht nur im Hinblick auf den Intelligenzquotienten ist der Grad unserer Selbstüberschätzung oftmals gepaart mit dem Grad an Inkompetenz. So wissen beispielsweise Menschen, die sich fachlich mit einer Sache sehr intensiv beschäftigt haben, einerseits mehr über diese Sache als andere; andererseits – und das ist viel entscheidender – wissen sie dadurch auch viel mehr über ihre eigene Unwissenheit. "Ich weiß, dass ich nichts weiß", diese Erkenntnis von Sokrates bleibt bei Menschen, die sich selbst überschätzen, einfach aus.

Daher halten sich Anfänger und Amateure viel schneller für Experten als die echten Experten selbst. Das kann man sehr deutlich in zahllosen Talkshows beobachten. Abend für Abend erklären uns Schauspieler oder Popstars, wie man die Globaltemperatur stabilisiert, mit welchen Methoden man den Welthunger in den Griff bekommt oder warum der nette Quantenheiler von nebenan den Onkologen ersetzen kann. Das ist ungefähr so, als ob mir mein Steuerberater erklären würde, wieso mein Auto diese komischen Geräusche macht. Auch viele Politiker, bei denen es im Zahlenraum unter zehn nicht ganz so flüssig läuft, sind sich in komplizierten ökonomischen Fragen meist viel sicherer als Ökonomen und Mathematiker. Dunning und Kruger lassen grüßen.

"Von nichts sind wir fester überzeugt als von dem, worüber wir am wenigsten Bescheid wissen", sagte der Philosoph Michel de Montaigne schon in der Renaissance. Und der große Humanist Dieter Bohlen legte keine 500 Jahre später nach: "Das Problem ist – mach einem Bekloppten mal klar, dass er bekloppt ist …"

Gleichzeitig ist ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung auch eine starke Triebfeder. Sie lässt uns an uns selbst glauben, uns positiv und hoffnungsfroh in die Zukunft blicken und blendet mögliche Gefahren und Risiken aus. Christoph Kolumbus war zwar wagemutig, aber nicht besonders helle. Er segelte los, weil er entgegen den korrekten Berechnungen der Gelehrten die Distanz zum anderen Kontinent völlig unterschätzt hatte. Würde Kolumbus heute leben, würde er wahrscheinlich eine Dschungelexpedition zu den Nebenhöhlen organisieren. Nach allem, was wir von ihm wissen, wusste er nicht wirklich, was er tat. Doch vielleicht entdeckte er gerade deshalb Amerika.

Der amerikanische Evolutionsbiologe Robert Trivers ist sogar davon überzeugt, dass uns die Fähigkeit zum Selbstbetrug einen evolutionären Vorteil beschert hat. Wer sich in der Frühzeit selbst überschätzte, stellte sich im Zweifel auch selbstbewusst vor eine herannahende Mammutherde. Okay, viele von diesen Hasardeuren sind dabei umgekommen, aber einige haben den Sieg davongetragen und damit das Überleben der gesamten Horde gesichert.

Das gilt auch heute noch. Wer felsenfest davon überzeugt ist, ein toller Hecht zu sein, kann das seinen Mitmenschen meist sehr glaubhaft vermitteln und kommt mitunter wirklich schneller ans Ziel. Psychologen der University of Berkeley haben 2012 in einer Studie herausgefunden (PDF), dass Selbstüberschätzung das Ansehen in einer Gruppe erhöht. Personen, die sich selbst als sehr kompetent einstuften, wurden nicht nur von anderen so bewertet, sondern erhielten in der Gruppe auch mehr Einfluss auf die Entscheidungen. Wenn Ihnen also Ihr Nachbar von einer sagenhaft rentablen Gelegenheit erzählt, die neulich in seinem Maileingang auf ihn wartete, schauen Sie genau hin! Und schlagen Sie ihm einfach vor, die 1000 Euro Ihnen zu geben, Sie sind schließlich um Längen kompetenter als das nigerianische Energieministerium.

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