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Lobes Digitalfabrik: Wenn die Polizei den Motor abdreht

Wenn die KI das Auto aus der Distanz ausschaltet, weil der Fahrer sich verdächtig verhält, dann kann das Straftaten verhindern. Aber zu welchem Preis!
Drei gezeichnete Hände drücken auf einen roten Knopf

Stellen Sie sich vor, ein Islamist möchte mit einem Fahrzeug in eine Menschenmenge rasen. Die Telematik registriert auffällige Bewegungen, die Aufmerksamkeitssensoren erkennen anhand biometrischer Merkmale, dass nicht der rechtmäßige Besitzer im Fahrzeug sitzt, und noch bevor der unautorisierte Fahrer beschleunigen will, schaltet sich der Motor einfach ab.

Das klingt nach Sciencefiction, doch die Technik ist längst da. Beim Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016, bei dem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt raste und zwölf Menschen tötete, soll ein automatisches Bremssystem dafür gesorgt haben, dass die Zugmaschine nach 70 bis 80 Metern zum Stehen gekommen ist. Der Bordcomputer löst bei einem Aufprall eine Vollbremsung aus. Das automatische Unfallwarnsystem, mit dem der Sattelschlepper ausgerüstet war, verhinderte womöglich Schlimmeres. Die Auswertung der GPS-Daten ergab zudem, dass der Lkw zwischen 15 und 19 Uhr immer wieder angelassen wurde, ohne bewegt worden zu sein. Hätte eine Kamera mit Mustererkennung die merkwürdigen Manöver bemerkt? Wäre mit Hilfe von Gesichtserkennungssystem und einem Abgleich mit Gefährderdaten Alarm ausgelöst worden? Hätte man dem Täter dann das Handwerk legen können? Das ist freilich Spekulation. Doch die Politik beschäftigt sich schon länger mit einer solchen präventiven Taktik.

Die britische Tageszeitung "The Telegraph" berichtete 2014 unter Berufung auf geheime Dokumente, dass die EU plane, ein "Remote-Stopping"-Gerät standardmäßig in Autos zu verbauen, eine Art Aus-Knopf, mit dem die Polizei verdächtigen Fahrzeugen aus der Ferne den Motor abdrehen kann. Die Polizei müsste sich dann keine Verfolgungsjagd mit einem flüchtigen Täter oder mutmaßlichen Terroristen liefern, die Beamten könnten einfach per Knopfdruck die Benzinversorgung oder Zündung stoppen und das Fahrzeug so zum Stehen bringen. Das Überwachungsgerät wurde als Ziel des European Network of Law Enforcement Technologies vereinbart und vom Ständigen Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (COSI) verabschiedet. Was aus dem Tool geworden ist und ob es serienmäßig verbaut wird, ist unklar. Fakt ist, dass die Technik die Kontroll- und Überwachungsfantasien von Kriminalisten und Tech-Konzernen beflügelt.

Es ist der Traum eines jeden Ordnungshüters: Vergehen verhindern, bevor sie zur Ausführung gelangen

Apple hat bereits 2008 ein Patent für eine Technologie angemeldet, die mit Hilfe von Bewegungssensoren feststellt, ob der iPhone-Nutzer gerade Auto fährt, und daraufhin bestimmte Funktionen wie das Schreiben von Textnachrichten sperrt. Laut der Patentschrift habe Apple einen "Prozess entwickelt, bei dem Handcomputergeräte einen Auslogg-Mechanismus ohne Modifikationen oder Zusätze am Fahrzeug in Gang setzen". So soll verhindert werden, dass der Fahrer am Steuer SMS oder andere Texte verschickt und dadurch abgelenkt ist. 2011 hat Apple ein Patent für eine Technik bewilligt bekommen, mit der es möglich sein soll, Handykameras per Infrarot zu blockieren. Wie in der Patentschrift zu lesen ist, soll die Kamera bei bestimmten Anlässen mit einem verschlüsselten Infrarotsignal dazu gebracht werden, die Aufnahme nicht auszulösen. Wenn man also auf einem Popkonzert ist und trotz Film- und Fotografierverbots mit seinem Smartphone ein Foto machen will, könnte das Gerät den Dienst verweigern und sich automatisch abschalten. Es ist der Traum eines jeden Ordnungshüters: Vergehen verhindern, bevor sie zur Ausführung gelangen.

In den USA sind in immer mehr Fahrzeugen so genannte "starter interruption devices" eingebaut, die das Auto absperren, wenn der Mieter oder Leasingnehmer in Zahlungsverzug ist. Das GPS-fähige Gerät zeichnet neben dem aktuellen Standort auch die Fahrbewegungen auf, so dass die Gläubiger das Auto orten und detaillierte Bewegungsmuster ableiten können. Wohin fahren die Mieter? Wie oft ist das Fahrzeug in Bewegung? Die "New York Times" bezeichnete die Technologie als "Wall-Street-Version von Big Brother". Auch ein autonomes Fahrzeug, dessen Besitzer ein verurteilter Stalker oder Bankräuber ist, könnte man so konfigurieren, dass es in bestimmte Stadtgebiete nicht mehr hineinfahren darf.

Das Problem an diesen Blockademechanismen ist, dass ihnen keinerlei Grenzen gesetzt sind und sie beliebig fortgesetzt werden können. Wer sagt, dass es nicht bald ein SMS-Schreibverbot für öffentliche Plätze geben könnte, weil das die öffentliche Ordnung gefährden könnte? Wird die Anruffunktion gesperrt, wenn ein Sensor merkt, dass der Nutzer alkoholisiert ist? Was wäre, wenn sich die Kamera automatisch abschaltet, weil die Schussdetektoren Alarm schlagen? Wenn das autonome Fahrzeug die Zündung sperrt, weil die letzten Fahrdaten Anomalien aufweisen und vom Normalmaß abweichen? Das zeigt, dass Technik autoritär sein kann.

Die Big-Data-Unternehmerin und Juristin Yvonne Hofstetter warnt in ihrem Buch "Das Ende der Demokratie – Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt" vor den Gefahren, die entstehen, wenn die Gesellschaft mit Hilfe von Programmkodes reguliert wird. "In digitalen Zeiten und unter dem Regime des Internet of Everything müssen wir mit einer 'Zwangspraxis' rechnen: dem Programmkode einer Umgebungsintelligenz, der unser Leben antizipiert und lenkt, indem er forciert, dass wir etwas Bestimmtes tun oder lassen", schreibt Hofstetter. Schon jetzt würden bei der Internetnutzung kleinste Programme, die Cookies nämlich, bestimmen, ob man Zugang zu Onlineangeboten erhält oder nicht. "Sie sind die Faktizität, die von privaten kommerziellen Einrichtungen außerhalb eines geregelten demokratischen Prozesses geschaffen wurde und der sich die Anwender zwangsläufig beugen." Gegen den Zwang, Cookies zu nutzen, könne man nicht verstoßen – gegen die Normen einer demokratisch formalisierten Rechtsordnung dagegen schon. Gerade diese Möglichkeit, gegen positives Recht zu verstoßen, mache eine freie Gesellschaft aus. Automatisierte Sicherungssysteme mögen mehr Sicherheit schaffen. Doch sie schalten auch die Freiheit aus, die eine solche Gesellschaft erst ermöglicht.

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