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Neue Wörter: Willkür im Duden

Nach welchen Kriterien neue Wörter in den Duden aufgenommen werden, muss transparent sein, fordert der Linguist Ekkehard Felder von der Universität Heidelberg.
Ein großes Beil steckt in einem aufgeschlagenen Lexikon. Der Hintergrund ist in einem angenehmen Weinrot gehalten.

In den aktuellen Rechtschreibduden haben 5000 neue Wörter Eingang gefunden. Wie kamen die da rein? Was sagt das über den Zeitgeist und die Gesellschaft? (Dazu befragte mich kürzlich auch Valentin Raskatov, hier das komplette Interview zum Nachhören.) Denn manche Wörterbuchnutzer regen sich über Modewörter und Anglizismen auf, andere über Vulgärsprache, Dritte über nicht aufgenommene Ausdrücke in Anbetracht von gerade frisch ausgewählten Wörtern ("Das Rätsel um die neuen Wörter"). Ich rege mich nicht auf, sondern bedauere nur: Der Duden verhält sich bei der Aufnahme neuer Wörter in das Wörterbuch wie ein Flexitarier beim Essen: ohne klare Linie – mal so, mal so. Das schadet zwar nicht der Sprache, aber der Marke DUDEN, also dem Verlag.

Zeitgeist und Gesellschaft im Spiegel des Dudens

Was verbirgt sich hinter dem neuen Lemma Flexitarier? Der gelbe Duden verrät es, denn dort wird erklärt: Flexitarier ist ein "Kunstwort für eine Person, die sich überwiegend vegetarisch ernährt, aber auch gelegentlich hochwertiges, biologisch produziertes Fleisch zu sich nimmt". Gegen die Aufnahme des Wortes in das Rechtschreibwörterbuch (Band 1 der zwölfbändigen Duden-Reihe) ist nichts zu sagen – im Gegenteil: ein interessantes Wort, das etwas über den Zeitgeist und von ihm als relevant markierte Themenfelder mitteilt – nämlich über Ernährung, Landwirtschaft, Ökonomie, Kulinaristik, Ökologie, Soziologie, Politik …

Während gegen die Aufnahme von Flexitarier nichts einzuwenden ist, erhebe ich bei folgendem Lemma Einspruch: 2013 wurde der Ausdruck Saftschubse für "Flugbegleiterin, Stewardess" aufgenommen – in den Erläuterungen findet sich der berechtigte Warnhinweis "Gebrauch: salopp abwertend". Warum nimmt das Wörterbuch in Anbetracht des reichhaltigen "Schatzes" an verletzenden Personen- und Berufsbezeichnungen gerade diese Stigmatisierung auf? Laut eigenen Angaben wird auf der Basis einer "Textsammlung aus 4 Milliarden Einträgen" eine Wortliste mit neuen Wörtern (im Vergleich zur letzten Auflage) zusammengestellt und nach Häufigkeit sortiert. "Die daraus resultierenden umfangreichen Listen werden gesichtet und redaktionell bewertet", erfahren wir auf Seite 8 des neuen Bandes, und Wörter werden dann aufgenommen, "wenn diese in einer gewissen Häufung und einer bestimmten Streuung über verschiedene Texte hinweg erscheinen" (S. 148). Genau da ist die Achillesferse des ganzen Unternehmens.

Offenlegung der Kriterien ist angesagt: Die Gesellschaft will mitdiskutieren

Der Verlag steckt viel Geld in hippe und schicke Anzeigenwerbung. Er sollte auch etwas Geld in die Vermittlung seiner Kriterien investieren, die dem Werk zu Grunde liegen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, schließlich genießt die Marke DUDEN Renommee. Dieses resultiert noch aus dem besonderen Status, der dem Duden in den 1950er Jahren von der Kultusministerkonferenz eingeräumt wurde. "Zur Wahrung einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung erklärt die westdeutsche Kultusministerkonferenz (KMK) 'in Zweifelsfällen ... die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln für vorläufig' (nämlich bis zu einer amtlichen Neuregelung) verbindlich", erinnert sich der Duden in seiner kleinen "Geschichte der Rechtschreibung". Der Prozess der amtlichen Neuregelung begann schließlich am Ende des 20. Jahrhunderts und endete im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Das Thema hat immer noch das Zeug zum Aufreger.

Der Duden ist modern und aktuell, sagen die Liberalen. Er biedert sich an, erwidern die Kritiker. Ich meine: Er soll seine Linie der Aufnahmepolitik – welche Wörter kommen in das Wörterbuch – verständlich und transparent mit der Sprachgemeinschaft diskutieren. Sonst passiert dem Duden das Gleiche wie dem Fußball: Einst mit großem Interesse vieler Menschen verwöhnt verspielt dieser gerade durch inflationäre Angebotsüberflutung der Fans ("Stoppt die Fußball-Aufbläher") seine Anziehungskraft.

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