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Lobes Digitalfabrik: Zu Hause in Amerikas Datenkolonie

Europa pocht auf Emanzipation, doch Daten liefern wir treu den Lehnsherren im Silicon Valley. Was, wenn dort andere das Ruder übernehmen, fragt unser Kolumnist Adrian Lobe.
Kollektives Daumen-hoch

Vor wenigen Wochen sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel über das transatlantische Verhältnis: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Und deshalb kann ich nur sagen, wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen." Merkels "Bierzeltrede" wurde als Emanzipation der Europäer von den USA gedeutet. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Europa ist nicht nur in der globalen Sicherheits-, sondern auch in der Informationsarchitektur von den USA abhängig.

Die "Big Four" – Google, Apple, Facebook und Amazon – beherrschen den Markt. Jede Suchanfrage, jede iMessage, jeder Post und jede Bestellung landet in den Serverfarmen der Tech-Konzerne, wo sie von Algorithmen ausgewertet werden. Egal, ob der Uber-Fahrer durch Manhattan fährt oder der Facebook-Nutzer durch seinen Newsfeed klickt – überall werden Daten produziert, die von Unternehmen kapitalisiert werden, ohne dass der Nutzer davon profitierte. Wir sind nicht nur Kunden, sondern auch Produkte, die an Dritte verkauft werden.

Eigentlich sollte man ja meinen, dass man mit der Generierung von Daten deren Eigentümer oder zumindest deren Anteilseigner wird. Doch mit dem Unterschreiben der Allgemeinen Geschäftsbedingungen entäußern wir uns jedweder Beteiligung. Es ist ein Total-Buy-out. Die Ökonomin Shoshana Zuboff argumentiert, dass wir uns von einem fordistischen Zeitalter in ein "googlistisches Zeitalter" bewegen. Im Fordismus hätten Autobauer billige Einzelteile zusammengeschraubt und in Serie Fahrzeuge produziert. Im Googlismus würden Internetkonzerne personenbezogene Daten zusammenpacken, Informationen extrahieren und diese in Paketen an Anzeigenkunden verkaufen. "Im Überwachungskapitalismus", sagte Zuboff dem "Harvard Magazine", "werden ohne unser Wissen, Verständnis oder Einverständnis Rechte von uns genommen und dazu genutzt, Produkte zu kreieren, die dazu entwickelt sind, unser Verhalten vorherzusagen." Digitale Identitäten werden kommerzialisiert und ausgeschlachtet.

"... die freundlichste und gutmütigste Diktatoren-Klasse in der Geschichte der Menschheit"Jaron Lanier

Der Internetkritiker Evgeny Morozov erblickt in diesen einseitigen Geschäftsmodellen einen Neo-Feudalismus, in dem der Lehnsmann seinen Lehnsherrn, den Tech-Konzernen, für die Nutzung der Dienste mit seinen Daten bezahlen müsse. Der Oxforder Informationsphilosoph Luciano Floridi sieht Europa als "digitale Provinz des kalifornischen Empires". Er sagt: "Uns wird zwar das Recht auf volle Bürgerschaft in der Informationsgesellschaft gewährt, aber die Macht, die unsere digitalen Identitäten verändert, residiert im Silicon Valley." Auch der Philosoph Peter Sloterdijk äußerte die Sorge, dass Europa zu einer "digitalen Kolonie" der USA verkommen könne. Das deutsch-französische Suchmaschinenprojekt Quaero, das eine europäische Antwort auf Google hätte werden sollen, scheiterte 2006 an der Finanzierung.

Stattdessen liegt heute das Kraftzentrum im Silicon Valley und in Seattle. Hier wird in einer algorithmischen Black Box entschieden, was Eingang in das Nachrichtensystem findet und wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen – ohne dass der Betroffene dagegen Widerspruch einlegen könnte (das Recht auf Vergessenwerden, das der EuGH etablierte, ist kein sonderlich scharfes Schwert, weil es vom Wohlwollen des Internetkonzerns abhängt).

"Google-Knowing", wie der amerikanische Philosoph Michael Patrick Lynch in seinem Buch "The Internet of Us: Knowing More and Understanding Less in the Age of Big Data" diesen Erkenntnisprozess nennt, bei dem Fakten durch eine Google-Suche kaum noch entdeckt, sondern nur noch hoch- und runtergeladen werden, stellt das europäische Projekt auch deshalb auf die Probe, weil es Bürger weniger ermächtigt als vielmehr zu digitalen Mündeln macht. "Ihr müsst nur der Technik glauben!", predigen die Tech-Apostel im Valley. Algorithmen sind die neuen Autoritäten im Dataismus. Was einst die Kirche war, sind heute die Tech-Konzerne – Organisationen, die ihre "Glaubensgemeinschaft" per Kode regieren.

Der amerikanische Internetpionier Jaron Lanier hat einmal gesagt, das Silicon Valley habe "die freundlichste und gutmütigste Diktatoren-Klasse in der Geschichte der Menschheit". "Facebook wird von 1,4 (heute beinahe zwei, Anmerkung des Autors) Milliarden Menschen genutzt, aber von einer einzigen Person kontrolliert. Es ist eine extrem außergewöhnliche Konzentration von Macht. Irgendwann wird der Gründer sterben. Und was dann kommt, wissen wir nicht, und wir können es auch nicht kontrollieren." Sollten einmal andere Tech-Gurus als der Philanthrop Mark Zuckerberg das Ruder übernehmen, wie beispielsweise der libertäre Facebook-Investor und Trump-Berater Peter Thiel, der Demokratie und Freiheit nicht länger für vereinbar hält, könnte es für Europa ungemütlich werden.

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