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Futur III: Junge Liebe

Ist er der Richtige? Eine Kurzgeschichte von Conor Powers-Smith. Die Futur-III-Geschichte des Monats.
Blauer DNA-Doppelstrang vor schwarzem Hintergrund

Als Allison eintrat, stellte Jennifer das Fernsehgerät leise und fragte neugierig: »Na, wie war's?«

Allison zuckte nur die Achseln, während Jennifer lächelnd den verschlossenen Gesichtsausdruck der Freundin zu deuten versuchte. Erst als Allison sich auf das Sofa fallen ließ, wich ihre mühsam kontrollierte Miene einem breiten Grinsen.

Auch Jennifers Lächeln weitete sich; sie mochte ihre Mitbewohnerin sehr und freute sich mit ihr, dass der Abend offenbar ein Erfolg gewesen war. Ungeduldig wollte sie wissen: »Also, erzähl schon! War es gut?«

»Oh ja!«

»Was habt ihr denn unternommen?«

»Wir waren im Kino. Und dann gingen wir ein bisschen spazieren.« Wäre es nach Allison gegangen, hätten sie ebenso gut die Blätter der Gänseblümchen zählen können, die neben der Straße wuchsen. Zu ihrer eigenen Überraschung platzte sie mit der Bemerkung heraus: »Ich mag ihn wirklich sehr.«

»Du scheinst ja ganz aus dem Häuschen zu sein! Aber das war erst euer zweites Date, oder?«

Eigentlich hatte Allison das Gefühl, sie sei mit Kevin schon jahrelang ein Herz und eine Seele, ihr ganzes Leben, noch länger. Dennoch zwang sie sich, zu nicken. »Wir wollen morgen gleich wieder zusammen ausgehen.«

»Also wird das jetzt eine ernste Sache«, stellte Jennifer fest. »Ganz offiziell.«

»Das vermute ich. Ich hoffe es!«

»Wenn das so ist … Meinst du nicht, dass es Zeit wird, ihm auf den Zahn zu fühlen?«

»Jen…«

»Es gibt ein Profil von ihm, nicht wahr?«

»Ja sicher. So etwas muss ja heutzutage fast jeder haben, oder man gilt als komischer Vogel oder gar Schlimmeres.«

»Also …?«

»Ach, ich weiß nicht.«

»Allie, wir spionieren ihn ja nicht aus. Die Charakterdaten sind für jede interessierte Person ohne Weiteres zugänglich. Du musst doch verantwortungsbewusst sein. Ich meine, wenn das eine ernste Sache wird, bist du es dir selbst schuldig, mit offenen Augen in die Beziehung zu gehen.«

»Wahrscheinlich hast du Recht. Aber …«

»Und gib's zu: Auch du bist ein ganz klein wenig neugierig.«

Das konnte Allison schlecht leugnen. »Na gut … Einverstanden.«


Jennifer saß vor dem Computer. Allison hockte dahinter auf der Kante von Jennifers Bett und reckte den Hals, um den Bildschirm zu sehen. Die Homepage von »Geno-Me« sah professionell und einladend aus, wie es sich für eines der weltweit populärsten sozialen Medien gehörte. Die stilisierte Doppelhelix am Rand jeder Seite glühte in sanftem Grün und Blau.

»Okay«, meinte Jennifer. »Die detaillierten Körperdaten sind gesperrt, wenn er dich nicht schon als Freundin registriert hat.« Sie schaute fragend über die Schulter.

Allison schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir kaum geredet.« Sie versuchte sich an die wenigen, eher geringschätzigen Worte zu erinnern, die sie zu dem Thema verloren hatten. Waren sie sich nicht stillschweigend darin einig gewesen, keinen Blick auf das Profil des anderen zu werfen? Kevin hatte es mit einem Horoskop verglichen und nur unbedeutend exakter genannt. Aber lasen die Menschen nicht manchmal Horoskope – nur so zum Spaß?

»Die Charakterdaten geben ohnedies mehr her«, fand Jennifer. »Okay, schauen wir nach: H11-beta, das ist cool. Besitzt er Sinn für Humor?«

»Auf jeden Fall.«

»Aber er hat auch eine ernste Seite«, behauptete Jennifer. Ihre Hand bewegte flink die Computermaus. Während der Cursor über die 23 Paare von grob skizzierten Chromosomen auf dem Bildschirm huschte, leuchteten kurze Abschnitte auf, und daneben öffneten sich kleine Textfenster. Zugleich erglühten weitere, scheinbar unzusammenhängende Segmente.

»Und – oh je.«

»Was ist denn?«

»HOPPER9, B2F11, WELLER-WYMAN und kein 17J-FADENKREUZ. Das weist eindeutig auf Starrsinn hin. Ist dir das an ihm aufgefallen?«

»Nein. Allerdings wollte er nicht den Film sehen, den ich vorschlug. Aber das war mir egal.«

»Nun gut, daran solltest du dich gewöhnen. Er wird für euch die Filme aussuchen.«

Allison konnte sich nicht vorstellen, dass sie so etwas je stören würde. Dennoch war es beunruhigend, einen noch so kleinen Fleck auf ihrem zuvor makellosen Bild von Kevin zu entdecken.

»Und schau mal, Allie: NICKEL7. Das wäre weiter nicht schlimm, wenn er JIB4 hätte oder das verlängerte DONALDSON-HARVEY, aber nein, da ist nichts zu finden. Das bedeutet hochgradig streitsüchtig. Hochgradig!«

»Hah«, machte Allison und erinnerte sich an die etwas peinliche Szene, als Kevin die zwei unausstehlichen Teenager zurechtgewiesen hatte, die während des Films nicht die Klappe halten konnten. Aber war es nicht bewundernswert, den eigenen Standpunkt zu vertreten, wenn die Situation es erforderte? Andererseits: So laut waren die Halbwüchsigen nun auch nicht gewesen.

»Oh, Allie: 76UNION-Y-SAIL. Feindseligkeit gegenüber Autoritäten. Schau nur, das ist verbunden mit oppositioneller Störung … mit allem Möglichen … mit Verbrechen!«

Allison erinnerte sich an nichts an Kevins Verhalten, was darauf hingedeutet hätte – aber das machte es irgendwie nur noch schlimmer. Sie kam sich selbst wenig überzeugend vor, als sie einwandte: »Niemand kann vorhersagen, wie diese Gene sich auswirken werden. Die Umwelt ist ebenso wichtig. Hab ich nicht Recht? Was ist mit dem freien Willen? Wie heißt es immer: Das ist eine Liste von Ingredienzien, aber kein fertiges Rezept.«

»Ja schon, aber schau dir die Ingredienzien an. Du kannst keinen Kuchen backen aus … Sägespänen und Glasscherben.«


Als Allison eintrat, legte Jennifer ihre Zeitschrift beiseite und fragte: »Also?«

Allisons stoische Miene versagte, noch bevor sie das Sofa erreichte. Sobald sie neben Jennifer saß, hingen ihre Mundwinkel traurig herab und in ihren Augen stiegen Tränen auf.

»Es ist vorbei.«

»Ach, Allie. Du hast mit ihm Schluss gemacht? Wahrscheinlich ist es das Beste. Wenn man alles in Betracht zieht.«

»Er war's, der Schluss gemacht hat.«

»Wie bitte? Sag mir nicht, er hätte dein Profil nicht gemocht. Das ist ganz schön frech, mit seinem …«

»Er hat nie einen Blick auf mein blödes Profil geworfen. Aber er wusste, dass ich mir seines angesehen hatte. Er sagte, das sei ihm schnell klar geworden. Ich würde mich ihm gegenüber anders verhalten als vorher. Das war auch mir selbst aufgefallen, aber es gab kein Zurück mehr. Wenn du einmal solche Sachen über jemanden weißt … wenn du glaubst, du weißt etwas …«

»Was war da los? Hat er dir eine Art Falle gestellt? Erinnere dich, er hat VIKING-F11! Das wird als Hang zu strategischem Denken interpretiert, aber eine Nebenbedeutung ist Heimtücke.«

»Ja, es war eine Falle, aber nicht er hat sie aufgestellt. Das ganze Drumherum ist eine Falle.«

»War er sehr … streitsüchtig?«

»Hör bloß auf, Jen! Wir haben gar nicht Kevin auf dem Schirm gehabt.«

»Wir haben das falsche Profil aufgerufen?«

»Es war schon sein Profil, aber nicht sein Genom. Er hat das Erbmaterial eines anderen ins Netz gestellt. Eine dieser historischen Rekonstruktionen, die es jetzt gibt.«

»Was? Von wem denn?«

»Gandhi.«

Jennifer starrte vor sich hin. Schließlich sagte sie: »Also bitte, das würde ich schon heimtückisch nennen. Ich wette, er hat wenigstens VIKING

Allison schaute kurz zu ihrer bisherigen Freundin hinüber. Dann stand sie auf. »Ich gehe ins Bett.«

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