Leseprobe »Glücksprinzipien«: Wege zur Steigerung des Glücks
Welche ganz konkreten und wissenschaftlich fundierten Möglichkeiten zeigt die Positive Psychologie auf, um Lebenszufriedenheit und Glücksgefühle zu steigern? Dieses Kapitel beschreibt hierzu insgesamt 22 Wege und bietet somit eine große Auswahl ganz verschiedener Möglichkeiten. Dabei kann der Fokus auf (a) die Zukunft gelegt werden. Hier empfehlen sich Wege wie die eigene Lebensvision entwickeln, Lebensträume verwirklichen, Ziele setzen und expressives Schreiben. Legen wir die Betrachtung auf (b) die Gegenwart, dann gehören hierzu bereichernde Wege wie Genuss und dessen Auskosten, Flow, sich jeden Tag etwas Schönes gönnen und die Vermeidung von Grübeln. Betrachten wir (c) die Vergangenheit, dann sind Dankbarkeit, Vergebung und erfolgsgeprüfte Strategien, um mit Krisen besser umzugehen, entscheidende Wege. Wir Menschen sind durchweg soziale Wesen, deshalb ist (d) die zwischenmenschliche Dimension für unser Glück von entscheidender Bedeutung. Zu diesen Wegen gehören beispielsweise tiefe Freundschaften, Hilfsbereitschaft und Techniken, die die Qualität unserer Beziehungen erhöhen. Aus der Forschung zeigt sich, dass auch (e) der Bereich von Leib und Seele durch beispielsweise Sport, Meditation, Spiritualität und Religion auf unser Lebensglück wirkt. Schließlich gehört (f) unser Lebenssinn und die Ausrichtung unseres Lebens daran zu den entscheidenden Wegen hin zu einem erfüllten Leben.
4.1 Positiver Umgang mit der Vergangenheit
4.1.1 Weg 1: Dankbarkeit
»Im normalen Leben wird es einem gar nicht bewusst, dass der Mensch unendlich mehr empfängt als er gibt und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht.«
Dietrich Bonhoeffer
Wenn wir uns nun auf die Reise begeben, um verschiedene Wege zu mehr Lebenszufriedenheit und Glück zu finden und um uns viele Übungen und Möglichkeiten anzusehen, dann beginne ich ganz bewusst mit der Dankbarkeit. Sie ist ein mächtiger Schlüssel zu mehr Lebensfreude und mehr Glücksempfinden. Nach meiner Erfahrung sind die meisten Menschen diesem Weg schnell aufgeschlossen und zudem ist es ein leicht gangbarer und einfacher Weg. Sonja Lyubomirsky, die bekannte Glücksforscherin und Professorin für Psychologie an der University of California in Riverside, spricht sogar vom Königsweg zum Glück [1].
Wichtig ist, dass es hierbei nicht darum geht, artig Danke zu sagen, wenn uns z. B. jemand eine Tür aufhält. Hier kommt es vielmehr darauf an, was du tief empfindest. Robert Emmons, Professor für Psychologie an der University of California in Davis, zählt zu den anerkanntesten Dankbarkeitsforschern. Er definiert Dankbarkeit als das »Gefühl des Staunens, des Dankbar-Seins und der Würdigung des Lebens« [2]. Es ist das Staunen über die Wunder des Lebens und hat viel mit Wertschätzung für die Dinge in unserem Leben zu tun. Es ist also keine Floskel, sondern das echte Staunen und Wertschätzen der vielfältigen positiven Aspekte unseres Lebens. Diese können groß oder klein sein, in jedem Fall ist jeder von uns davon umgeben, auch wenn wir sie manchmal nicht auf den ersten Blick wahrnehmen.
Lass uns erstmal eintauchen in die Forschungsergebnisse zur Dankbarkeit, dann klären wir, warum das eigentlich so gut funktioniert und besprechen am Ende ein paar sehr einfache, aber ungemein wirkungsvolle Übungen, mit denen du dein Glückslevel deutlich steigern kannst.
Was die Forschung über Dankbarkeit weiß
Um die Wirkung von Dankbarkeit zu untersuchen, führte Robert Emmons folgende Untersuchung durch. Er teilte 192 Studierende per Zufall gleichmäßig auf folgende 3 Gruppen auf:
Die 1. Gruppe (Dankbarkeit) war aufgefordert, einmal wöchentlich bis zu fünf Dinge aufzuschreiben, für die die Teilnehmenden dankbar waren. Einmal wöchentlich wurden die Teilnehmenden zudem zu ihrem Wohlbefinden und Themen rund um ihre Gesundheit befragt. Die Untersuchung lief insgesamt über zehn Wochen.
Die 2. Gruppe (Schwierigkeiten) unterschied sich nur darin von Gruppe 1, dass diese Teilnehmenden aufschreiben sollten, welche Schwierigkeiten oder Ärgernisse ihnen begegnet sind. Das konnte in allen Lebensbereichen sein.
Die 3. Gruppe (Begebenheiten) sollte schließlich einfach fünf Begebenheiten aufschreiben, die sie letzte Woche erlebt haben und die einen gewissen Einfluss auf ihr Leben hatten.
Viele Untersuchungen in der Psychologie werden auf diese Art und Weise durchgeführt. Würde man nur einzelne Personen untersuchen, dann könnten die Ergebnisse durch ganz andere Umstände verursacht werden. Durch den Trick, dass eine große Anzahl von Personen per Zufall auf verschiedene Gruppen aufgeteilt wird, hat man vergleichbare Gruppen (man spricht dann von randomisierten Gruppen). Das bedeutet, dass der Gruppendurchschnitt bei einer ausreichend großen Gruppengröße vor dem Experiment gleich ist. Wenn du z. B. 200 Personen per Zufall in zwei Gruppen einteilst und dann z. B. die durchschnittliche Körpergröße oder das durchschnittliche Gewicht berechnest, dann wird das praktisch gleich sein, weil sich mit ausreichend vielen Menschen und einer zufälligen Verteilung die Abweichungen in beiden Gruppen gleichermaßen verteilen. Auch der Durchschnitt der Lebenszufriedenheit wird beispielsweise bei beiden Gruppen nahezu gleich sein.
Dann machen die Forscher Folgendes: Eine der beiden Gruppen wird zur Versuchsgruppe und die andere zur Kontrollgruppe. Das zu untersuchende Merkmal (z. B. Wohlbefinden) wird vorab bei beiden Gruppen gemessen. Die Versuchsgruppe erhält eine »Behandlung« (z. B. wird mit ihr eine Glücksstrategie durchgeführt), die Kontrollgruppe erhält eine »Placebo-Aufgabe«, macht also auch etwas, das jedoch keine Auswirkung auf die untersuchte Fragestellung hat.
Nach der Intervention messen die Forscher erneut das, was sie untersuchen. Verändert sich jetzt z. B. die Lebenszufriedenheit der Versuchsgruppe signifikant, dann dürfte dies nur an der Behandlung liegen. So ist ursächlich nachweisbar, ob eine Intervention wirkt. Übrigens erforscht auch die Medizin auf analoge Weise die Wirkung von Medikamente. Eine Gruppe bekommt das Medikament mit dem Wirkstoff und die Kontrollgruppe erhält ein Placebo. So lässt sich wissenschaftlich nachweisen, ob ein Medikament tatsächlich wirkt.
Als die Forscher nun nach zehn Wochen die Ergebnisse der Dankbarkeitsintervention auswerteten, zeigte sich, dass die Teilnehmenden der Dankbarkeitsgruppe (Gruppe 1) im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen ihr Leben insgesamt signifikant besser einschätzten und auch signifikant optimistischer für die kommende Woche waren. Zudem hatten sie weniger Krankheitssymptome und – auch das hatten die Forscher gemessen – machten mehr Sport (fast eineinhalb Stunden pro Woche mehr Sport als die Teilnehmenden der »Schwierigkeiten«-Gruppe) [3]. Die Dankbarkeitsübung führt somit ursächlich zu einer messbaren Steigerung dieser Kriterien, insbesondere zu mehr Lebenszufriedenheit.
In einer anderen Untersuchung überprüfte Martin Seligman die Wirkung verschiedener »Glücksinterventionen«. Auch hier kamen die randomisierten Gruppen zum Einsatz. Hierzu schrieben die Teilnehmenden der einen Gruppe (Versuchsgruppe) für eine Woche jeden Abend auf, welche Dinge am jeweiligen Tag gut gelaufen waren und warum dies so war. Diese Gruppe wurde dann mit der Kontrollgruppe verglichen. Die Teilnehmenden dieser Kontrollgruppe waren aufgefordert, eine Woche lang jeden Abend Erinnerungen an früher aufzuschreiben. Das war die Placebo-Gruppe.
Die Ergebnisse waren erstaunlich. Noch nach sechs Monaten (dem Ende der Studie) waren die Teilnehmenden, die für diese eine Woche täglich drei gut gelaufene Dinge aufschrieben, messbar glücklicher und weniger deprimiert [4]. Deutlich messbar war dieser Effekt einen Monat nach Abschluss der Versuchswoche und stieg dann in den darauffolgenden Monaten weiter an. Die Autoren vermuten, dass die Teilnehmenden – obwohl sie dazu nicht aufgefordert waren – so viel Gefallen an der Übung fanden, dass sie diese weiter praktizierten und es dadurch diesen Langzeiteffekt gab.
In der gleichen Studie überprüfte Martin Seligman auch die Wirkung des sogenannten Dankbarkeitsbesuchs. Hierbei werden die Teilnehmer aufgefordert, über ebenfalls eine Woche an einem Dankesbrief zu schreiben, mit dem sie einer Person aus ihrem Leben für einen wichtigen Beitrag danken, für den sie bislang ihre Dankbarkeit noch nicht richtig zum Ausdruck gebracht hatten. Die Teilnehmenden vereinbaren einen Besuchstermin bei dieser Person, ohne jedoch etwas von dem Brief zu erzählen. Beim Besuch selbst lesen sie dann den Brief der Person vor. Diese Teilnehmenden sind unmittelbar nach dem Besuch deutlich glücklicher (der stärkste Anstieg aller untersuchten Interventionen in der Studie). Dieser »Glücksboost« kann bis zu einem Monat nach dem Besuch gemessen werden, nicht jedoch nach 3 Monaten oder darüber hinaus. Dankbarkeit hat somit einen starken Einfluss auf unser Wohlbefinden. Die Ergebnisse der Studien weisen jedoch darauf hin, dass für eine dauerhafte Steigerung des Wohlbefindens eine einmalige Aktion nicht ausreicht, dafür müssen Dankbarkeitsübungen immer wieder praktiziert werden.
Sichtet man die weitere wissenschaftliche Forschung, dann zeigt sich generell, dass Dankbarkeit nachweislich grundlegend für Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit ist [5]. Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit ausgeprägter Dankbarkeit glücklicher und zufriedener mit ihrem Leben sind. Gleichzeitig sind sie weniger ängstlich, neidisch und weniger depressiv. Sie sind empathischer, nachsichtiger, hilfsbereiter und weniger auf materielle Ziele fokussiert als Menschen mit geringer Dankbarkeit [6]. Insgesamt zeigt sich durch die vorliegende Forschung sehr fundiert, dass Dankbarkeit Lebensfreude und Lebenszufriedenheit deutlich steigern kann.
Aber warum macht Dankbarkeit Menschen so viel glücklicher? Was geschieht hier?
Die Erklärung liegt in der Funktionsweise unseres Gehirns. Du erinnerst dich noch an die hedonistische Anpassung (siehe Abschn. 2.7). Wir Menschen gewöhnen uns ganz schnell an alle Annehmlichkeiten und schätzen sie dann nicht mehr. Stell dir vor, wir könnten in die Zeit zurückkehren, als deine Urgroßeltern junge Erwachsene waren, und wir erzählten ihnen, wie wir heute leben: in Frieden, Freiheit, Demokratie. Wir berichteten, welche Möglichkeiten die Medizin heute bietet; dass sich eine werdende Mutter heute keine wirklichen Sorgen mehr zu machen braucht, ob sie die Geburt überlebt; wieviel Möglichkeiten wir heute haben, unser Leben zu leben; dass die physischen Arbeitsbelastungen sich deutlich verringert haben, wie lange heute Menschen im Durchschnitt leben; dass Informationen per Knopfdruck verfügbar sind; dass uns nahezu alle Lebensmittel in riesiger Auswahl ganzjährig und teils aus entfernten Kontinenten zur Verfügung stehen. Auch wir selbst können sehr einfach weit reisen, während unsere Urgroßeltern vielleicht nur die Umgebung ihres Dorfes kannten. Natürlich gibt es auch Schattenseiten dieser Entwicklungen, aber auch wenn wir diese ausführlich unseren Urgroßeltern erläuterten, wenn wir ihnen auch von Terrorgefahren, Burn-out, Sucht und vielem anderen erzählten, würden diese vermutlich immer noch ungläubig schauen und sagen: »Wow, was für eine grandiose Welt, in der ihr leben dürft!«
Für uns wiederum ist das alles »normal«. Wir haben uns schnell an alles gewöhnt. Vielleicht am deutlichsten wird dies in dem bekannten Spruch: »Der Gesunde hat viele Wünsche, der Kranke nur einen.« Unser Körper ist ein Wunderwerk. Die Gesundheit, das damit verbundene Wohlbefinden und die Möglichkeiten, die er uns bietet, schätzen wir meistens erst, wenn wir krank sind. Dankbarkeit durchbricht dieses »Für-normal-nehmen« und fokussiert unser Bewusstsein auf die vielen positiven Aspekte unseres Lebens, die es bei jedem von uns gibt, die wir jedoch nicht mehr wahrnehmen, weil sie zu Selbstverständlichkeiten geworden sind. Wir werden uns wieder stärker bewusst, wie gut es uns – trotz aller möglichen Sorgen – in Wirklichkeit geht.
Manche sagen an der Stelle vielleicht, na ja, das ist ja dann nur eine rosarote Brille, mit der wir unsere Wahrnehmung verzerren und das Negative ausblenden. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Mir geht es nicht darum, das Negative auszublenden, wie es in vielen Selbsthilfebüchern steht. Es lohnt sich immer, alles wahrzunehmen und daraus seine Schlüsse zu ziehen (siehe Abschn. 3.14), ohne jedoch in endloses Grübeln zu verfallen (siehe Abschn. 4.2.4).
Mir geht es vielmehr darum, dir bewusst zu machen, wie wir Menschen wahrnehmen. Es kommt nämlich zur hedonistischen Anpassung noch die oben beschriebene Entwicklung der Informationsflut der letzten Jahrzehnte (siehe Abschn. 2.7) hinzu, die dazu führt, dass unser Gehirn viel mehr negativen Nachrichten angeboten bekommt, die es sofort mit Aufmerksamkeit verfolgt und in unser Bewusstsein durchstellt, während die gewohnten guten Dinge im »Hintergrundrauschen« verbleiben. Da ist es kein Wunder, dass wir irgendwann zu dem Schluss kommen müssen, dass unser Leben in dieser Welt negativ ist.
Genau hier wirkt nun Dankbarkeit. Sie ist keine rosarote Brille, sondern rückt unsere beeinflusste Wahrnehmung wieder in ein richtigeres Verhältnis. Jeder von uns ist von so vielen wundervollen Dingen umgeben, die wir uns wieder bewusst machen sollten. Lass dich also von deinem Gehirn nicht foppen, denn das Gute ist der Normalfall und das Schlechte die Ausnahme [7].
Wie kann ich Dankbarkeit üben?
Im Folgenden möchte ich Dir, basierend auf den oben erwähnten Forschungsergebnissen, mehrere Übungen vorstellen, mit denen du Dankbarkeit üben und dein Glückslevel und deine Lebenszufriedenheit steigern kannst.
Übung: Das Dankbarkeitstagebuch
Nimm dir einmal pro Woche (z. B. am Sonntagabend) einige Minuten Zeit und schreibe mindestens fünf Dinge auf, für die du in deinem Leben (allgemein oder mit Fokus auf die letzte Woche) dankbar bist. Beantworte zu diesen Dingen folgende zwei weitere Fragen:
- Warum bin ich dafür dankbar?
- Was kann ich tun, damit ich noch mehr davon erfahre bzw. damit die Situation öfter eintritt oder ich diese öfter so wahrnehme?
Sonja Lyubomirsky forschte auch auf diesem Gebiet. Sie bestätigte ebenfalls die starke Wirkung dieser kurzen Übung. Das Glücksempfinden der Teilnehmenden stieg durch das Dankbarkeitstagebuch (die Studie dauerte sechs Wochen) deutlich an. Allerdings gab es auch ein weiteres wichtiges Ergebnis. Sie ließ eine Gruppe die Übung einmal wöchentlich und die andere Gruppe die Übung 3-mal pro Woche (Dienstag, Donnerstag und Sonntag) für die sechs Wochen durchführen. Den positiven Effekt konnte sie nur bei der Gruppe nachweisen, die nur einmal pro Woche die Dankbarkeitsübung machte. Die Autoren vermuten, dass die Teilnehmenden die Übung mehrmals die Woche als lästige Pflichterfüllung empfanden und diese Routine deshalb keine Wirkung mehr zeigte [8].
Aufgrund dieser Forschungsergebnisse empfehle ich dir, die Übung langfristig einmal pro Woche zu machen. Bei vielen hat es sich bewährt, täglich zu starten (am besten abends, z. B. immer vor dem Zähneputzen) und aufzuschreiben, für was du am heutigen Tag dankbar bist. Das können ganz kleine Dinge sein (die schöne lila Blume auf dem Weg zur Arbeit) oder ganz große Dinge (die Geburt meines Kindes). Wenn du den Eindruck hast, es wird Routine, dann verändere die Häufigkeit bis hin zu wöchentlich. Ich weiß jedoch von vielen, die sich viel leichter tun, täglich ein solches Ritual durchzuführen, als mehrmals die Woche oder einmal wöchentlich daran zu denken. Finde hier den Rhythmus, der für dich passt.
Wichtig ist dabei ohnehin nicht das Abarbeiten eines Schemas. Wichtig ist, dass du die Dankbarkeit für die positiven Seiten und die vielen tollen Selbstverständlichkeiten deines Lebens spürst und dies mithilfe dieser wiederkehrenden Übung in deinem Leben verankerst. Vielleicht kommst du irgendwann sogar dahin, dass du allgemein über dein Leben denkst: Wow, mein Leben ist wirklich gesegnet!
Ich will dir noch von einer Erfahrung von mir erzählen. Als ich damals von diesen Studien las und mit dem Dankbarkeitstagebuch begann, entdeckte ich bei mir die Fähigkeit, auch tagsüber in einer kurzen ruhigen Minute Dankbarkeit für das, was gerade ist, zu empfinden. Ich nehme dann Dinge wahr, die mir früher gar nicht aufgefallen wären. Lustig war z. B. der Augenblick, als ich an einem kalten Wintermorgen, an dem ich direkt nach dem Aufstehen und noch etwas müde und barfuß im Bad stand. Eigentlich dachte ich so verschlafen noch gar nichts, als mir plötzlich in echter Dankbarkeit die wohlige Wärme an meinen Füßen durch die Fußbodenheizung auffiel. Dann regte sich als Nächstes der Gedanke »Guten Morgen, die Dankbarkeitsübung scheint zu wirken!« Ich kann diese Übung nur wärmstens empfehlen. Mir brachte sie ein intensives Lebensgefühl und wunderbare Lebensfreude und ich möchte diese Übung nicht mehr missen. Sie ist so einfach, braucht so wenig Zeit und hat eine so grandiose Wirkung.
Übung: Der Dankesbrief
Überlege dir, wer dir in den letzten Jahren etwas Gutes getan hat oder wer immer für dich da war. Schreibe dann dieser Person, der du dankbar bist, einen Brief. In Untersuchungen hat sich gezeigt, dass es schon ausreicht, über mehrere Wochen eine Viertelstunde pro Woche an dem Brief zu schreiben. Es stellte sich auch heraus, dass bereits das einfache Schreiben dieses Briefes ausreicht, um das Glücksgefühl nachweislich zu steigern. Der Brief muss nicht unbedingt abgeschickt werden [9].
Auch hier geht es nicht um das starre Befolgen von Vorgaben. Du kannst die Übung auf deine Situation anpassen. Aus der Übung einen Dankbarkeitsbesuch wie in der oben geschilderten Studie zu machen, ist eine starke Erweiterung, das muss jedoch für die beteiligten Personen passen [10].
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Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch bietet den Rest des Kapitels und mehr über Lebensfreude, Zufriedenheit und Glück.
Anmerkungen
- Lyubomirsky, S. (2013). Glücklich sein. Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben. Frankfurt am Main: Campus.
- Emmons, R. A., und Shelton, C. M. (2002): Gratitude and the science of positive psychology. In: C. R. Snyder und S. J. Lopez (Hrsg.), Handbook of positive psychology (S. 459–471). Oxford: Oxford University Press.
- Emmons, R. A. & McCullough, M. E. (2003). Counting blessings versus burdens: An experimental investigation of gratitude and subjective well-being in daily life. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 377–389.
- Seligman, M. E. P., Steen, T. A., Park, N., & Peterson, C. (2005). Positive Psychology Progress. Empirical Validation of Interventions. American Psychologist, 60(5), 410–421
- Emmons, R. A., & Mishra, A. (2012). Why gratitude enhances well-being: What we know, what we need to know (248–262). In Sheldon, K., Kashdan, T., & Steger, M.F. (Hrsg.) Designing the future of positive psychology: Taking stock and moving forward. New York: Oxford University Press.
- McCullough, M. E., Emmons, R. A., & Tsang, J. (2002). The grateful disposition: A conceptual and empirical topography. Journal of Personality and Social Psychology, 82(1), 112–127.
- Haas, O. (2015). Corporate Happiness als Führungssystem: Glückliche Menschen leisten gerne mehr. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
- Lyubomirsky, S. (2013). Glücklich sein. Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben. Frankfurt am Main: Campus. S. 100ff
- Ebd.
- Daniela Blickhan (2015) berichtet in ihrem Buch »Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis« davon, dass deutsche Seminarteilnehmer auf den Vorschlag, einen Dankbarkeitsbesuch durchzuführen, meist zurückhaltend bis ablehnend reagieren, weil ihnen die Übung zu »amerikanisch« ist. In der Originalversion wird tatsächlich auch empfohlen, den Brief zu laminieren. Wenn der Besucher sich sonst nie so verhält, kann das Vorgehen auch Misstrauen und Irritationen auslösen oder im schlimmsten Fall könnte sich, wenn der Besuchte die Übung kennt, dieser benutzt fühlen, um des anderen Wohlbefindens zu steigern.
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