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Lexikon der Astronomie: Blauverschiebung

Begrifflich ist die Blauverschiebung der Gegenpart zur Rotverschiebung. Es ist ein Begriff aus der Spektroskopie, in der man Spektrallinien von Atomkernen, Atomen und Molekülen untersucht. Diese können in Absorption oder Emission auftreten, je nachdem, ob Energie aufgenommen oder abgegeben wird. Die Energie wird elektromagnetisch in Form von Photonen ausgetauscht, ist also gequantelt (siehe Quant, Quantentheorie). Photonen besitzen eine wohl definierte Frequenz bzw. Wellenlänge.

Raumzeit und Bewegung formen eine Linie

Wo sich die Spektrallinien im Spektrum befinden, hängt nicht nur von den Einzelheiten des Quantenübergangs, des Quantensprungs, ab, sondern auch vom Bewegungszustand der Strahlungsquelle relativ zum Beobachter/Detektor und auch von der Krümmung der Raumzeit.
Befindet man sich im Ruhesystem (Relativgeschwindigkeit null zwischen Emitter und Beobachter) des Emitters, so misst man die Spektrallinie bei ihrer Ruhewellenlänge. Nun kann aber auch eine Relativbewegung zwischen Strahlungsquelle und Detektor vorliegen. Wesentlich ist nur diejenige Geschwindigkeitskomponente, die in Richtung des Detektors zeigt (Geschwindigkeit ist ein Vektor). Diese Komponente heißt Radialgeschwindigkeit. Ihr Betrag ist die Relativgeschwindigkeit zwischen Emitter und Detektor.

Blau- vs. Rotverschiebung – Antagonisten der Spektroskopie

Bewegt sich die Strahlungsquelle auf den Beobachter zu, so wird die Spektrallinie zu kleineren Wellenlängen hin verschoben. Dies ist gerade die Blauverschiebung, weil die Linie zum blauen Teil des Spektrums verschoben wird. Anschaulich kann man sich vorstellen, wie die elektromagnetische Welle gestaucht wird. Bewegt sich die Strahlungsquelle vom Beobachter weg, so wird die Spektrallinie zu größeren, roten Wellenlängen hin verschoben. Die Welle wird gewissermaßen auseinander gezogen. Dies nennt man Rotverschiebung.
Die ganze atomare und molekulare Welt ist aufgrund der Thermodynamik in Bewegung. Bei endlicher Temperatur bewegen sich diese Strahler geringfügig um eine Ruhelage. Spektrallinien haben deshalb eine natürliche Breite aufgrund atomarer Bewegung und Molekularbewegung, weil sie sich relativ zum Detektor immer ein wenig vor und zurück bewegen. Dieses Phänomen nennen Physiker thermische Dopplerverbreiterung. Die Ruhewellenlänge ist also nicht beliebig scharf! Das kann sie zudem auch aufgrund der Heisenbergschen Unschärfe der Quantentheorie nicht sein.

Viele Teilchen, viele Freiheiten

Die Molekülspektroskopie ist komplizierter, weil die Atome im Molekül zusätzliche rotatorische und vibratorische Freiheitgrade haben, d.h. sie können gegeneinander schwingen und sich umeinander drehen. Als simples Beispiel möge ein zweiatomiges Molekül dienen, das man sich wie eine Hantel vorstellen kann. Diese Hantel kann im Allgemeinen um drei Raumachsen rotieren. Der Freiheitsgrad mit der 'Hantelstange' als Rotationsachse fällt heraus, weil er das zweiatomige System invariant lässt. Die beiden anderen Rotationsmoden können über den Austausch von Rotonen, den Quanten der Rotationsbewegung, angeregt werden. Die Vibronen werden ausgetauscht, wenn die beiden Atome gegeneinander entlang der 'Hantelstange' schwingen. Diese zusätzlichen Freiheitsgrade äußern sich in komplexeren Molekülspektren und eng benachbarten Spektrallinien, weil der Energieaustausch durch Rotonen und Vibronen sehr klein ist. Besonders charakteristisch sind die Rotationsbanden.

So schnell wie das Licht...

Der oben vorgestellte klassische Doppler-Effekt wird bei Relativgeschwindigkeiten, die vergleichbar werden mit der Lichtgeschwindigkeit durch die Spezielle Relativitätstheorie (SRT) modifiziert.

Schwerkraft zieht an der Linie

Befindet sich nun die Strahlungsquelle im Gravitationsfeld einer Masse (oder allgemeiner gesprochen einer Energie) so findet eine Rotverschiebung statt, die vom Gravitationsfeld verursacht wird: die Gravitationsrotverschiebung oder gravitative Rotverschiebung. Die Beschreibung dieses Effekts gelingt mit der Allgemeine Relativitätstheorie. Hier definiert man eine relativistische Verallgemeinerung des klassischen Dopplerfaktors, die man generalisierter Dopplerfaktor, g-Faktor oder Rotverschiebungsfaktor nennt. In diesen Faktor gehen die Metrik, vor dessen Hintergrund die Strahlung propagiert und das Geschwindigkeitsfeld des Emitters, formuliert in einem geeigneten Koordinatensystem (z.B der ZAMO bei Schwarzen Löchern), ein.

Expandierender Kosmos zerrt an der Lichtwelle

Die kosmologische Rotverschiebung, also die Rotverschiebung der Strahlung sehr weit entfernter, extragalaktischer Strahlungsquellen, rührt daher, weil das Universum expandiert. Sein gesamter Inhalt, auch Galaxien, befindet sich auf dem Hintergrund einer in alle Richtungen (isotrop) expandierenden Raumzeit. Dies beschreibt man mit der Robertson-Walker-Metrik. Das berühmteste Beispiel kosmologisch rotverschobener Strahlung ist die Hintergrundstrahlung. Sie ist das 'Echo des Urknalls' und verließ in der Rekombinationsära – lokal noch als heiße Strahlung des expandierenden Feuerballs – die 'Oberfläche des letzten Streuakts' (engl. last scattering surface).
Eine kosmologische Blauverschiebung wird nicht beobachtet. In der Theorie ist dieser Effekt dennoch möglich, nämlich dann, wenn wir in einem kollabierendem Universum leben würden. Diese Form der kollabierenden Raumzeit existiert als eine Realisierung der dynamischen Friedmann-Weltmodelle.

Blaue Brüder

Blauverschiebung gibt es nur als lokalen Effekt in unmittelbarer Nachbarschaft: die Andromedagalaxie in der Lokalen Gruppe bewegt sich auf die Milchstraße zu. Ihre Strahlungsemission wird durch die Bewegung blauer als sie intrinsisch ist.
Speziell relativistische Blauverschiebung in Form von Vorwärts-Beaming ist wichtig bei leuchtenden, signifikant geneigten Standardakkretionsscheibe um Schwarze Löcher. Die physikalische Ursache dafür liegt in einer hohen, relativistischen Geschwindigkeit des emittierenden Scheibenplasmas in Richtung Beobachter. Der g-Faktor wird in diesem Fall deutlich größer als 1. Weil er auch in höherer Potenz in den detektierten Strahlungsfluss eingeht, sorgt diese Blauverschiebung für ein besonders helles Emissionsgebiet auf der Standardscheibe. Bei kleinen Neigungen (face-on disk) verschwindet es, weil dann keine Relativbewegung zwischen emittierendem Plasma und Beobachter vorliegt.

Ein Blick in rasende Strahlen

Bei relativistischen Jets ist diese Blauverschiebung von ähnlicher Relevanz, wenn der Jet eine Bewegungskomponente zum Beobachter hat. Per definitionem ist dies bei den Blazaren gegeben, einem sehr leuchtkräftigen Typus von Aktiven Galaktischen Kernen. Die Elektronen im Jetplasma strahlen typischerweise Synchrotronstrahlung und Bremsstrahlung ab, die diesen Effekten unterliegt.

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  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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