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Lexikon der Astronomie: Ergosphäre

Die Ergosphäre ist eine abgeplattetete Kugelfläche, die die Forscher auch statisches Limit nennen. In der Abbildung unten ist sie blau dargestellt. Diese Fläche umschließt vollständig den Ereignishorizont (schwarz) rotierender Schwarzer Löcher. Noch innerhalb des Ereignishorizonts liegt der innere Horizont oder Cauchy-Horizont (grün und transparent dargestellt). Die Quelle der Gravitation eines rotierenden Schwarzen Loches ist die zentrale Ringsingularität (die hier aus grafischen Gründen vergrößert dargestellt wurde). Das Gebiet zwischen Ergosphäre und Ereignishorizont (äußerem Horizont) nennen Theoretiker bisweilen auch die Ergoregion – häufig wird Ergosphäre gleichbedeutend mit Ergoregion verwendet. Ergosphäre und Ergoregion gibt es nur bei der Kerr-Lösung der Allgemeinen Relativitätstheorie.

Strukturen eines Kerr-Loches inklusive Ergosphäre

Kein Entrinnen von der rotierenden Raumzeit

Ab der statischen Grenze muss jeder Beobachter mit dem Schwarzen Loch ko-rotieren. Dieser Effekt heißt Frame-Dragging, d.h. innerhalb der Ergosphäre gibt es keine statischen Beobachter. Das Kerr-Loch zwingt seine Rotation allen Körpern, Beobachtern, selbst dem Licht auf, weil eben die Raumzeit selbst rotiert. Das gilt sogar dann, wenn der Körper oder das Teilchen sich ursprünglich gegen die Rotationsrichtung des Schwarzen Loches bewegte: es wird zur Bewegungsumkehr gezwungen! Ein Beobachter innerhalb der Ergosphäre würde den Fixsternhimmel in der Ferne rotierend wahrnehmen (siehe ZAMO). So nah an einem Kerr-Loch wäre das ein Schwindel erregender Höllenritt im Karussell der Raumzeit. Dramatischer wird es noch näher am Loch: Am Horizont selbst rotiert alles mit der exakt identischen Winkelgeschwindigkeit wie das Schwarze Loch. Ausgedrückt in Geschwindigkeiten ist das im Falle des extremen Kerr-Lochs (a = M) exakt die halbe Vakuumlichtgeschwindigkeit (Bardeen, Press & Teukolsky 1972).

Ein Dickwanst am Äquator

Die statische Grenze ist vom Poloidalwinkel (θ) abhängig. Deshalb besitzt die Ergosphäre keine Kugelsymmetrie, sondern ist an den Polen abgeplattet. Diese Achsensymmetrie passt zu derjenigen der Kerr-Geometrie. Die Fläche des statischen Limits ist allgemein definiert mit der Gleichung gtt = 0, d.h. die 00-Komponente des metrischen Tensors verschwindet auf der Berandungsfläche der Ergoregion. Benutzt man gtt der Kerr-Geometrie in Boyer-Lindquist-Form, so erhält man gerade folgende Gleichung:

statisches Limit, Gleichung für die Ergosphäre

Hier sind M die Masse des Schwarzen Loches und a = J/Mc der Rotationsparameter des Loches (beachte geometrisierte Einheiten: G = c = 1). An der statischen Grenze springt also gerade das Vorzeichen der metrischen Komponente gtt der Kerr-Metrik. Das folgende Diagramm illustriert in die Abhängigkeit der metrischen Komponente gtt vom Radius r (große Version):

Radialverhalten der metrischen 00-Komponente in der Äquatorialebene

Physikalisch bedeutet die Änderung des Vorzeichens von gtt, dass die Koordinatenzeit t von einer zeitartigen zu einer raumartigen Koordinate wird! An der Gleichung für rstat erkennt man auch, dass die Ergosphäre in der Äquatorialebene (θ = π/2) immer bei zwei Gravitationsradien beginnt, unabhängig vom Kerr-Parameter. Außerdem berührt die Ergosphäre an den Polen (θ = 0 bzw. θ = π) immer den äußeren Horizont (der von a abhängt).
Im Schwarzschild-Fall (Kerr-Parameter a = 0) fällt die Ergosphäre mit dem Ereignishorizont (siehe auch Schwarzschild-Radius) zusammen und verschwindet.
Im Falle der extremen Kerr-Lösung, a = ±M hat die Ergoregion maximale Größe.

Bedeutung für die Astrophysik

Die schnell rotierenden Kerr-Löcher haben für die relativistische Astrophysik eine überragende Bedeutung. Dabei ist die Ergosphäre das entscheidende Schlüsselelement. Denn es ist möglich, dass Akkretionsscheiben bis in die Ergoregion hineinreichen, vor allem dann, wenn das Schwarze Loch schnell rotiert und die marginal stabile Bahn bei kleinen Radien liegt. Der Innenrand der Standardscheibe reicht nämlich in üblichen Akkretionsmodellen bis an den Radius marginaler Stabilität, rms. Für den maximalen Kerr-Fall (a = M) ist rms genau ein Gravitationsradius, so dass in der Äquatorialebene die Scheibe exakt einen Gravitationsradius in die Ergoregion reichen könnte. Falls die Akkretionsscheibe in die Ergosphäre eintritt, so sprechen Astrophysiker von einer ergosphärischen Scheibe.
Die Astronomen beobachten bei leuchtkräftigen Aktiven Galaktischen Kernen (AGN) wie den radiolauten Quasaren und den Radiogalaxien, aber auch bei den Gamma Ray Bursts und einigen Röntgendoppelsternen extrem schnelle Materiestrahlen. Der aktuell favorisierte Entstehungsmechanismus dieser relativistischen Jets basiert gerade auf der Magnetosphärenphysik der Kerr-Löcher. Wesentliche Prozesse funktionieren nur innerhalb der Ergosphäre, wie z.B. Penrose-Prozess, Blandford-Znajek-Mechanismus und Frame-Dragging. Die Idee: Akkretionsflüsse 'schwemmen' Magnetfelder an das Loch heran. Diese Felder werden von der schnell rotierenden Raumzeit extrem verdreht. Anders gesagt: Rotationsenergie des Loches überträgt sich auf die Magnetfelder. Irgendwann setzt eine Art 'Kurzschluss' ein, weil verdrillte Felder mit entgegengesetzter Polarität aufeinandertreffen. Als Konsequenz kollabieren die Felder (Rekonnexion) und setzen die Feldenergie frei. Das Plasma in der Umgebung nimmt dies als kinetische Energie auf und strömt daher mit großer Geschwindigkeit vom Loch weg. Ein relativistischer Ausfluss ist entstanden, der durch Magnetfelder weiter gebündelt wird: ein Jet ist entstanden. Dieser Materiestrahl entsteht typischerweise an beiden Hemisphären des Loches, so dass in vielen AGN zwei Jets beobachtet werden. Sie bewegen sich weit aus den Zentren der Galaxien heraus und können sogar die Mpc-Skala erreichen. Ein kompaktes, rasant rotierendes, superschweres Schwarzes Loch hat Materie einige Millionen Lichtjahre weit von sich geschleudert!
Auf Supercomputern lösen die Theoretiker die komplizierten Gleichungen der Magnetohydrodynamik in der Kerr-Raumzeit. Zwar weisen die Modelle noch einige Unzulänglichkeiten auf (keine Berücksichtigung von Kühlung durch Strahlung; keine Berücksichtigung von Rekonnexion; innere Randbedingung am Horizont), aber sie zeigen eindrucksvoll die Wechselwirkung der rotierenden Raumzeit mit der Umgebung und belegen auf überzeugende Weise die Stimmigkeit dieses Szenarios.

Anmerkung

Die Ergosphäre ist nicht zu verwechseln mit der Photonensphäre, die durch den Photonenorbit bestimmt ist.

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  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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