Direkt zum Inhalt

Lexikon der Astronomie: ULIRG

Das Akronym ULIRGs steht für Ultra-Luminous InfraRed Galaxies. Gelegentlich wird das R auch unterschlagen und man liest von ULIGs. Diese Galaxien zeichnen sich also durch eine extreme Infrarothelligkeit aus, die im fernen Infrarot (engl. far infra-red, FIR) etwa 1012 Sonnenleuchtkräfte und mehr beträgt. Dabei entspricht die Leuchtkraft der Sonne etwa 4 × 1026 Watt oder 4 × 1033 erg! Mit LIRG/LIG werden Infrarotgalaxien bezeichnet, die eine Leuchtkraft von wenigen Größenordnungen unterhalb derjenigen von ULIRGs/ULIGs haben.

Woher kommt diese extreme Infrarothelligkeit?

Modell 1: Starburst

Das erste Modell erklärt die Infrarothelligkeit durch eine erhöhte Sternentstehungsaktivität (engl. starburst activity), also eine hohe Bildungsrate von massereichen Sternen in der Galaxie. Nun mag man sich fragen, warum plötzlich Sterne vermehrt entstehen. Der Grund dafür ist die Verschmelzung von Galaxien. Im Speziellen vermuten die Astronomen, dass gasreiche Spiralgalaxien zusammenstoßen. Die Vermischung und Verdichtung von Gas in den kollidierenden Galaxien leitet eine verstärkte und schnelle Entstehung von Sternen ein. Alle Sterne zusammen erhöhen die Infrarothelligkeit der verschmelzenden Galaxien insgesamt.

Modell 2: AGN

Während des Galaxienzusammenstoßes verliert das Gasgemisch Drehimpuls infolge dynamischer Reibung, d.h. die Gasmassen ziehen sich gegenseitig an und 'bremsen sich aus'. Das Gas wird dabei von der Sternpopulation in den Galaxien 'entkoppelt' und fließt in den Zentralbereich der verschmelzenden Galaxien. Das sind ideale Voraussetzungen zum Zünden eines Aktiven Galaktischen Kerns (AGN). Im Standardmodell der AGN wird durch Akkretion auf ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum der Galaxie eine gigantische Leuchtkraft erzeugt. Mittels Interferometerbeobachtungen im Bereich der Millimeterstrahlung konnte die Gasmasse innerhalb von 0.5 kpc um das Zentrum der hellsten Infrarotgalaxien zu 10 Mrd. Sonnenmassen bestimmt werden. Das sind riesige Gaskonzentrationen!

zwei erfolgreiche Infrarotsatelliten

Der 1983 gestartete Infrared Astronomical Satellite (IRAS, Soifer et al. 1987) und das 1995 gestartete Infrared Space Observatory (ISO, Kessler et al. 1996) haben das Verständnis der mysteriösen Infrarotgalaxien gewaltig nach vorne gebracht. Der IRAS-Survey wurde bei Wellenlängen von 12, 25, 60 und 100 Mikrometern (engl. micron) durchgeführt und deckte 96% des Himmels ab (Fachbegriff: all-sky survey)! ISO ist mit zwei Spektrometern ausgestattet, die zwischen 2.4-45 und 43-197 Mikrometern beobachten.

Status der (U)LIRG-Forschung

Bei den größten Infrarotleuchtkräften sind ULIRGs die dominierenden Objekte: Sie treten dann in vergleichbarer Zahl wie die Seyfert-Galaxien auf und sind sogar zahlreicher als die Quasare.
Die Analyse eines speziellen Samples aus 15 ULIRGs ergab, dass 70-80% der Galaxien durch die Entstehung massereicher Sterne angetrieben werden, wohingegen 20-30% davon durch einen AGN erklärt werden können. Indikator für AGN-Aktivität ist dabei die Stärke der spektroskopischen Signatur von polyaromatischen Kohlenwasserstoffen (PAHs). In etwa der Hälfte der ULIRGs im Sample laufen beide Prozessen gleichzeitig ab, und zwar in der etwa ein bis zwei kpc durchmessenden zirkumnuklearen Scheibe (Genzel et al. 1998).
Es zeigte sich auf der Grundlage der neuen Infrarotbeobachtungen, dass LIGs/ULIRGs generell AGN und Starburst-Aktivität zeigen. Die anfänglich favorisierte Trennung von Starburst vs. AGN ist nicht mehr haltbar und ULIRGs sind komplexer als ursprünglich gedacht (Genzel & Cesarsky 2000).

ULIRGs zeigen auch Röntgenaktivität!

Astronomen konnten nachweisen, dass ULIRGs auch am anderen Ende des Spektrums sehr auffällig sind: sie zeigen Röntgenleuchtkräfte bis zu 1042 erg/s (entsprechend 1011 Sonnenleuchtkräften). Dies fanden die Astronomen beim ULIRG NGC 6240 durch Beobachtungen mit dem deutschen Röntgenobservatorium ROSAT (Komossa et al. 1998). Außerdem wurde bei dieser Beobachtung ein Komplex verschiedener Fe-Kα-Linien entdeckt. Diese Eisenlinien sind gerade ein Charakteristikum für AGN. Die Linien liegen (für neutrales Eisen) bei einer Ruheenergie von etwa 6.4 keV und entstehen durch Fluoreszenz in ionisiertem Eisen. Sie sind außerordentlich wichtig bei der Diagnostik von AGN, um Parameter des Systems aus Schwarzem Loch und Akkretionsscheibe abzuleiten. Eine gute Auflösung dieser Linien ermöglicht die Bestimmung von wesentlichen Parametern, wie Neigung (Inklination) der Scheibe, der Rotation des Loches (Kerr-Parameter) und des Geschwindigkeitsfeldes des Plasmas in der Umgebung des Loches.

Tanz zweier superschwerer Löcher

Spätere Beobachtungen an NGC 6240 deckten weitere faszinierende Fakten auf: Mit dem US-amerikanischen Röntgensatelliten Chandra, das räumliche Strukturen sehr gut aufzulösen vermag, gelang der Nachweis eines doppelt-aktiven Kerns in NGC 6240 (Komossa et al. 2003). Mit anderen Worten: im Zentrum von NGC 6240 tummeln sich zwei supermassereiche Schwarze Löcher, die umeinander tanzen. Genau das würde man als Folge der oben beschriebenen Galaxienkollision auch erwarten. NGC 6240 gehört zu den besten Kandidaten eines 'Binär-Lochs'.
Von solchen 'Lochzwillingen' wissen Relativisten, dass sie wie die stellaren Analoga (umkreisende stellare Schwarze Löcher, Hulse-Taylor-Pulsar) intensive Gravitationswellen abstrahlen – vor allem, wenn sich die beiden Löcher sehr nahe kommen. Durch den Energieverlust des Systems infolge Abstrahlung der Gravitationswellen sollten die beiden gigantischen Löcher irgendwann einmal verschmelzen. Die Gravitationswellenforscher erwarten dann eine intensive Abstrahlung der Gravitationswellen (engl. gravitational wave burst). Sie hoffen, dass das bald direkt beobachtbar sein wird.

weitere ULIRGs

Andere ULIRGs sind IRAS 05189-2524, die einen (Compton-dünnen) 1.9 Seyfertkern aufweist, UGC 5101 mit zirkumnuklearen Scheibe heftigster Sternentstehung und ULIRG 00029-1424 mit einer kosmologischen Rotverschiebung von z = 0.44.

wissenschaftliche Veröffentlichungen

  • Soifer et al. 1987, ApJ 320, 238: The IRAS bright galaxy sample. II – The sample and luminosity function
  • Soifer, Neugebauer & Houck 1987, ARA&A 25, 187: The IRAS view of the extragalactic sky
  • Sanders & Mirabel 1996, ARA&A 34, 749: Luminous Infrared Galaxies
  • Kessler et al. 1996, A&A 315, 27: The Infrared Space Observatory (ISO) mission.
  • Genzel et al. 1998, ApJ 498, 579: What powers ultraluminous IRAS galaxies?
  • Komossa, Schulz & Greiner 1998, A&A 334, 110: ROSAT HRI discovery of luminous extended X-ray emission in NGC 6240
  • Genzel & Cesarsky 2000, ARA&A 38, 761: Extragalactic Results from the Infrared Space Observatory
  • Komossa et al. 2003, ApJ 582, 15: Discovery of a Binary Active Galactic Nucleus in the Ultraluminous Infrared Galaxy NGC 6240 Using Chandra

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.