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Lexikon der Astronomie: Zustandsgröße

Ursprünglich ein Begriff der Thermodynamik. In der Astronomie sollte man präziser von stellaren Zustandsgrößen sprechen. Es handelt sich dabei um Kenngrößen, die einen Stern charakterisieren und ihn – analog zu den Quantenzahlen in der Klassifikation von Teilchen – einer bestimmten Gruppe zuordnen.

Unter welchen Namen werden Sterne eingruppiert?

Die Sterne werden so beispielsweise in Gruppen eingeteilt, die folgende Namen tragen: AGB-Sterne, Bosonensterne, B-Sterne, Braune Zwerge, Cepheiden, Gravasterne, Hauptreihensterne, Herbig-Haro-Objekte, Holosterne, kataklysmische Veränderliche, kompakte Objekte, Leuchtkräftige Blaue Veränderliche, Magnetare, Mikroquasare, Neutronensterne, O-Sterne, Protosterne, Pulsare, Quarksterne, Röntgendoppelsterne, Rote Riesen, Rote Zwerge, RR Lyrae-Sterne, Seltsame Sterne, stellare Schwarze Löcher, Symbiotische Sterne, T Tauri-Sterne, Überriesen, Vakuumsterne, Veränderliche, Weiße Zwerge, Wolf-Rayet-Sterne, Zwerge.

Die wichtigsten stellaren Zustandsgrößen sind:

  • Masse,
  • Leuchtkraft,
  • Spektraltyp,
  • Radius,
  • Effektivtemperatur,
  • Zentraltemperatur,
  • Rotation,
  • mittleres Magnetfeld,
  • mittlere Dichte,
  • Zentraldichte,
  • chemische Zusammensetzung,
  • Helligkeit,
  • Farbe,
  • Alter (Alter null beispielsweise bei Erreichen der Hauptreihe, ZAMS),
  • Variabilität,
  • Maximalgeschwindigkeiten von Sternwinden,
  • Besonderheiten,
  • etc.

Natürlich hängen diese Zustandsgrößen miteinander physikalisch zusammen. Einen engen Zusammenhang gibt es zwischen Effektivtemperatur, Spektraltyp und Farbe. Diese Zustandsgrößen sind mehr oder weniger äquivalent und daher austauschbar. Das erklärt die unterschiedlichen Möglichkeiten, das Hertzsprung-Russell-Diagramm der Sterne zu zeichnen.
Leuchtkraft, Effektivtemperatur und Radius haben eine Abhängigkeit voneinander (siehe Gleichung unter Eintrag Effektivtemperatur) und führen auf eine Einteilung in Yerkes-Leuchtkraftklassen.

eine tolle Sache: Relationen zwischen Zustandsgrößen

Von besonderer Relevanz in der Stellarphysik sind Masse-Radius-Relationen, die man in Sternmodellen unter der Annahme spezieller Zustandsgleichungen für die Sternmaterie ableitet.
Von vergleichbarer Relevanz sind die Masse-Leuchtkraft-Relationen. Die schwierig zu bestimmende Sternmasse kann mit dieser Beziehung direkt aus der Leuchtkraft gewonnen werden. Gelingt es einem Astronomen umgekehrt, die Masse eines Sterns durch indirekte Methoden z.B. mittels Kepler-Gesetzen in einem Doppelsternsystem zu bestimmen, so kann er auf der Grundlage dieser Relation sofort angeben, wie hoch seine Leuchtkraft ist. Jüngst wurde dieses Forschungsfeld erschüttert, weil sich herausgestellt hat, dass die übliche Masse-Leuchtkraft-Relation für massearme Sterne nicht mehr gilt (Close et al., Nature 433, 286, 2005). Massearm meint einen Massebereich knapp oberhalb von 0.08 Sonnenmassen, also denjenigen an der 'Schwelle zum Stern'. Diese neuen Messungen wurden mittels hochpräzisen Beobachtungsmethoden der Adaptiven Optik (AO) ermöglicht. Sie besagen, dass bislang die Masse substellarer Objekte wie von Braunen Zwergen und massearmen Sternen unterschätzt wurde (vorausgesetzt die Masse wurde aus der Masse-Leuchtkraft-Relation abgeleitet): In Wahrheit sind sie massereicher.

Wie schwer werden Sterne?

Superstern im Pistolennebel Am massereichen Ende der Sterne gibt es auch neue Messdaten, die den theoretischen Stellarphysikern Kopfzerbrechen bereiten. Hintergrund ist die Frage, wie schwer ein Stern überhaupt werden kann. In der Theorie wurden durchaus Sterne mit bis zu 1000 Sonnenmassen diskutiert. Beobachtet wurden dagegen maximale Massen zwischen 100 und 150 Sonnenmassen. Es gibt bislang keine Einigkeit über einen exakten, theoretischen Wert.
Supersterne wie η Carinae oder der Pistolenstern (siehe Foto rechts, aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble, Credit: Don F. Figer, UCLA, NASA, 1997) – beides Leuchtkräftige Blaue Veränderliche (LBVs) mit enormen Sternwinden – belegen, dass es 'Sterngiganten vom Kaliber 100 Sonnenmassen' auch im nahen Universum gibt.
Aktuell gibt es neue Beobachtungsdaten aus einem jungen Sternhaufen, dem Arches-Cluster (Figer, Nature 434, 192, 2005; auch als ePrint erhältlich: astro-ph/0503193). Das Resultat ist, dass in dieser dichten Ansammlung von Sternen kein Stern schwerer als 130 Sonnenmassen ist. Daraus folgt allgemein für Sterne, dass ihre empirische Obergrenze nicht 150 Sonnenmassen überschreitet. Das zwingt die Theoretiker, die obere Grenzmasse für Sterne genauer anzugeben.

kurze Anmerkungen zu einigen Zustandsgrößen

  • Eine hohe Rotation kann starke Magnetfelder in Dynamo-Prozessen 'aufziehen'. Dieses Phänomen ist prominent bei schnell rotierenden Neutronensternen (Pulsar-Magnetosphäre).
  • Die mittlere Dichte ist bei kleinen Objekten (kleinen Radien) oft größer, weil sie kompakter sind.
  • Sternwinde können durchaus stark von der Kugel- oder Axialsymmetrie abweichen und sogar 'klumpig' sein.
  • Die chemische Zusammensetzung von Sternen kann sehr leicht aus den Sternspektren abgeleitet werden. Dies ist ein Aufgabengebiet der klassischen Astronomie.
  • Helligkeit und Leuchtkraft müssen klar differenziert werden. Das Entfernungsmodul setzt dabei absolute und scheinbare Helligkeit über die Entfernung miteinander in Beziehung.

Stellarphysik bündelt viele Facetten der Physik

Das Betätigungsfeld der Stellarphysik kann weiterhin in Sternentstehung und Sternentwicklung untergliedert werden. Die stellaren Zustandsgrößen dienen hierbei als wesentliche Charakterisierungs- und Klassifizierungsmerkmale. Wie die Diskussion in diesem Eintrag zeigt, ist der Sternenzoo sehr vielfältig. Die Sternenphysik berührt so sehr unterschiedliche Bereiche der Physik, wie klassische Gasdynamik, Thermodynamik, Atom- und Molekülphysik, Hydrodynamik, Magnetohydrodynamik, Kernphysik, Quantenfeldtheorien und Relativitätstheorie.

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  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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