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Lexikon der Ernährung: Thiamin

Thiamin, Vitamin B1, Antiberiberivitamin (als solches von Funk beschrieben), Aneurin, E thiamine, vitamin B1, Trivialname von 3-(4-amino-2-methylpyrimidin-5-methyl)-5-(2-hydroxyethyl)-4-methylthiazolium (Abb.).
Eigenschaften: T. ist wasserlöslich, thermolabil in neutralem oder alkalischem Milieu, oxidationsanfällig und labil gegenüber ionisierender Strahlung.
Vorkommen: In pflanzlichem Gewebe kommt v. a. freies T. vor, in tierischem Gewebe die phosphorylierten Formen Thiaminpyrophosphat (80–85 %), Thiaminmonophosphat und Thiamintriphosphat. Einen hohen Gehalt findet man in Fleisch, besonders Schweinefleisch (0,7–0,9 mg%), Leber (0,3 mg%), Weizenkeimen (2,0 mg%), Hülsenfrüchten (bis 0,7 mg%), Sonnenblumenkernen (1,9 mg%) und Nüssen (0,4–1,0 mg%). Mittlere Gehalte haben Fisch (bis 0,17 mg%), Ei (0,09 mg%), Brot (0,18–0,23 mg%), Getreideprodukte (0,2–0,6 mg%), Kartoffeln (0,1 mg%) und div. Gemüsesorten (bis 0,20 mg%). Die Zubereitungsverluste betragen etwa 20–40 %, die körpereigenen Reserven reichen für 4–10 Tage.
Bedarf (nach DGE): Die empfohlene Zufuhr für die versch. Bevölkerungsgruppen ist in der Tab. zusammengestellt.
Resorption, Metabolismus: T. wird durch aktiven Transport (< 2 µM, Na-abhängig) v. a. in den proximalen Regionen des Dünndarms (Jejunum, Ileum) und passive Diffusion in die Mucosazelle aufgenommen. In der Darmmucosa und auch in der Leber wird unter ATP-Verbrauch aus freiem T. das coenzymatisch wirksame Thiaminpyrophosphat gebildet.
Im Plasma ist T. an Proteine, v. a. Albumin gebunden und wird von den Zellen, analog zur intestinalen Resorption, sowohl aktiv als auch durch passive Diffusion aufgenommen. Im Vollblut finden sich 80–90 % des Thiaminbestandes in den roten Blutzellen (60 % als Thiaminpyrophosphat) und nur ca. 10 % im Plasma.
T. wird schnell über den Urin ausgeschieden, insbesondere als freies T., Thiaminmonophosphat, aber auch in geringen Mengen als Thiaminpyrophosphat und in Form verschiedener Metabolite (Thiochrom, Thiaminsäure, Methylthiazolessigsäure).
Biochemische Funktionen: Verschiedene Enzyme des Intermediärstoffwechsels benötigen Thiaminpyrophosphat als essenziellen Co-Faktor: Pyruvatdehydrogenase, α-Ketoglutaratdehydrogenase, Transketolase (Pentosephosphatzyklus), Pyruvat-Decarboxylase (Hefe). T. wird auch benötigt als Cofaktor für oxidative Decarboxylierungen von verzweigtkettigen α-Ketosäuren.
Thiamin-Antagonisten: Thiamin-Analoga können aufgrund geringfügiger Änderungen am Molekülaufbau oder an den Substituenten im Vergleich zu T. ein Nachlassen der biologischen Aktivität hervorrufen oder antagonistische Wirkung haben. Derartige T. sind z. B. Ethylthiamin, Propylthiamin, Oxythiamin und Pyrithiamin. Sulfite (Schwefeldioxid; häufig verwendet bei der Lebensmittelverarbeitung) können in neutralem und saurem Milieu die Methylenbindung zwischen dem Pyrimidin- und dem Thiazolring zerstören. Thiaminasen (aus Fisch, Muscheln und Bakterien) und Antithiamine (o- und p-Hydroxy-polyphenole) können T. abbauen, bzw. mit Thiamin zu einer unwirksamen Form (Thiamindisulfid) reagieren. Einige Flavonoide (Quercetin, Rutin), sowie chemisch verwandte Substanzen (Oxythiamin, Pyrithiamin) wirken als Antagonisten. Hämin bindet dieses Vitamin. Vgl. Thiamin-Antagonisten.
Mangel: Das Krankheitsbild eines klinisch manifestierten Thiaminmangels ist im Grunde schon seit dem Altertum bekannt und kommt heute noch in bestimmten Regionen Südostasiens endemisch vor. In diesen Ländern ist die starke Zunahme der Erkrankungen Mitte des 19. Jahrhunderts zeitlich korreliert mit der Einführung der Reisschälmaschine (Entfernung der nährstoffreichen Randschichten des Reiskorns). Klinische Symptome sind Beriberi („klassisches“ Thiaminmangelsyndrom, der Zusammenhang wurde von dem Tropenarzt Eijkman entdeckt), Neuropathien, Polyneuritis, cardiovasculäre Störungen, Skelettmuskelschwund vor allem bei chronischem Alkoholismus und Drogenabhängigen. Suboptimale Versorgung ist verbunden mit Unlust, Müdigkeit und Leistungseinbußen.
Überdosierung: Thiaminüberdosierung über die Nahrung ist ausgeschlossen, durch medikamentöse (parenterale) Zufuhr können allergische Reaktionen, Krämpfe und Kopfschmerzen hervorgerufen werden.
Therapeutischer Einsatz: T. bzw. Allithiamine werden in der Therapie von Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems, Erschöpfungszuständen und bei der Behandlung mit Cytostatika verwendet. Die therapeutische Dosis beträgt 50–200 mg / d.
Statusbestimmung: Hierzu dient der Erythrocytentransketolase-Aktivitätstest (ETKA-Test), mit dem die Differenz zwischen durch Thiaminpyrophosphat stimulierter und basaler Aktivität der Erythrocytentransketolase bestimmt wird (Erythrocytentransketolase-Aktivierungskoeffizient, ETK-AC bzw. TPP-Effekt). Im Thiaminmangel nimmt die ETKA ab und der ETK-AC zu.


Thiamin: Struktur von Thiamin und Thiaminpyrophosphat. Thiamin

Thiamin: Tab. Empfohlene Zufuhr [Quelle: DACH, Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, Umschau-Braus Verlag, Frankfurt, 2000]

Alter [mg/d]
MännerFrauen
bis 4 Monate10,2
4–12 Monate0,4
1–4 Jahre0,6
4–7 Jahre0,8
7–10 Jahre1,0
10–13 Jahre1,21,0
13–15 Jahre1,41,1
15–25 Jahre1,31,0
25–51 Jahre1,21,0
51–65 Jahre1,11,0
65 Jahre und älter1,01,0
Schwangere
ab 4. Monat
1,2
Stillende1,4

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