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Lexikon der Neurowissenschaft: Bewegungsstörungen

Bewegungsstörungen, motorische Störungen, E movement disorders, 1) im weiteren Sinne alle abnormen willkürlichen oder unwillkürlichen Bewegungen aufgrund von Fehlfunktionen des Zentralnervensystems oder des neuromuskulären Systems. Bewegungen können in unterschiedlichen Dimensionen abnorm sein. Eine zu kleine Kraft bezeichnet man als Parese oder Paralyse, je nachdem, ob es sich um eine teilweise oder vollständige Lähmung handelt. Lähmungen kommen aufgrund von Läsionen oder Funktionsstörungen entweder zentraler Strukturen (Motorcortex, corticobulbäre und corticospinale Bahnen, Motoneuronen) oder des neuromuskulären Systems (Nervenwurzeln und Nerven, motorische Endplatte, Muskel) zustande. Fehlen Bewegungen aufgrund einer Antriebsschwäche, so spricht man von Abulie. Fehlt eine Bewegung trotz vorhandener Bewegungsintention und obwohl die obenerwähnten zentralen und peripheren Strukturen funktionstüchtig sind, so liegt eine Akinese vor. Findet eine Bewegung statt, die jedoch zu langsam ist, so handelt es sich um eine Bradykinese. Akinese und Bradykinese werden oft im Begriff der Hypokinese zusammengefaßt. Unwillkürliche Bewegungen werden als Tremor bezeichnet, wenn sie rhythmisch sind. Treten unwillkürliche, kurze, arrhythmische Bewegungen auf, so spricht man von Myoklonus. Von ähnlich kurzer Dauer sind die meisten Bewegungen, die mit pathologisch gesteigertem Erschrecken assoziiert sind (Startle-Krankheit). Bei Chorea und Ballismus treten ebenfalls rasche, unwillkürliche Bewegungen auf, aber sie dauern etwas länger und sind komplexer als bei der Myoklonie. Tics sind Bewegungen (oder auch Geräuschproduktionen) die repetitiv, zwecklos, meist kurzdauernd und – im Gegensatz zu den anderen erwähnten Hyperkinesien – für kurze Zeit (einige Minuten) willkürlich unterdrückbar sind. Die auf einem inneren Bewegungsdrang beruhende Unfähigkeit, sitzen oder liegen zu bleiben, heißt Akathisie. Beim Restless-Legs-Syndrom führen unangenehme Empfindungen in den Beinen zum Zwang, diese zu bewegen; im Gegensatz zur sonst ähnlichen Akathisie tritt die Störung nur im Liegen auf. Eine unwillkürliche, langanhaltende, durch das Zentralnervensystem bedingte, jedoch nicht spastische Kontraktion von Muskeln wird als Dystonie bezeichnet. Spastik ist eine von Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung abhängige Tonuserhöhung der Muskulatur, die im Gegensatz zur Dystonie mit gesteigerten Muskeleigenreflexen und einer Läsion der corticospinalen Bahnen assoziiert ist. Tetanus (Wundstarrkrampf) beruht auf einem Funktionsausfall der Renshaw-Interneuronen, und das Stiff-Person-Syndrom (Stiff-Man-Syndrom, Muskelstarre-Syndrom) auf einem Funktionsverlust anderer hemmender Interneurone des Rückenmarks. Abnorm vermehrte Muskelaktivität kann auch als Folge einer Funktionsstörung peripherer Strukturen auftreten. Ephaptische Verbindungen (Ephapse) zwischen motorischen Nervenfasern als Folge einer lokalen Demyelinisierung stellen wahrscheinlich die Ursache des Spasmus hemifacialis dar. Bei der Neuromyotonie bewirkt eine Störung der Kaliumkanäle spontane Depolarisationen der motorischen Nervenfasern und damit ständige Muskelaktivität, die im Gegensatz zum Muskelstarre-Syndrom auch im Schlaf anhält. Eine gesteigerte Erregbarkeit der Nervenfasern liegt auch der metabolisch bedingten Tetanie zugrunde (z.B. hypocalcämische Tetanie, oder bei Alkalose). Auch Crampi stellen eine spontane Überaktivität von motorischen Nervenfasern dar. Schließlich kann sich auch der Muskel selbst ohne vorangehende Nervenaktivität kontrahieren: mit elektrischer Aktivität bei den Myotonien, und ohne elektrische Aktivität nach Belastung (als "physiologische Kontraktur") oder bei metabolischen Myopathien, z.B. der McArdle-Krankheit. Eine qualitative Abnormität von Bewegungen stellt die Zielungenauigkeit von dysmetrischen Bewegungen beim ataktischen Syndrom (Ataxie) dar. Ist eine Bewegung an sich normal, jedoch für den beabsichtigten Zweck untauglich, so liegt eine Apraxie vor. 2) Unter Bewegungsstörungen im engeren Sinn werden die Hypokinesen sowie die zentralnervös bedingten Hyperkinesen ohne Spastik verstanden. Bei diesen Bewegungsstörungen spielen Läsionen der corticospinalen Bahnen (Pyramidenbahn) keine Rolle, weshalb sie auch als extrapyramidale Bewegungsstörungen bezeichnet werden (extrapyramidale Syndrome). Viele davon sind mit Funktionsstörungen oder Läsionen der Basalganglien assoziiert.

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