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Lexikon der Neurowissenschaft: Cannabinoide

Cannabinoide [von latein. cannabis = Hanf], Dibenzopyrane, E cannabinoids, Sammelbezeichnung für die aus dem Indischen Hanf, Cannabis sativa subsp. indica (Haschisch, Marihuana), isolierten Inhaltsstoffe und deren synthetische Derivate mit gemeinsamem Grundgerüst. Die wichtigsten der 60 bisher in Extrakten der Cannabispflanze gefundenen Cannabinoide sind: 1) Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC; siehe Abb. ), das aus Cannabidiolcarbonsäure (CBDS) entsteht, halluzinogen (Halluzinogene) wirksam ist und das psychotrope Prinzip des Haschischs darstellt. THC bindet im Körper an einen Cannabinoidrezeptor (CB1), der an vielen schmerzverarbeitenden Stellen im Gehirn, aber auch auf Immunzellen zu finden ist. Die Rezeptoren scheinen unter anderem die Funktion von Ionenkanälen und die Freisetzung von Neurotransmittern zu beeinflussen; die genauen Wirkprinzipien sind noch nicht geklärt. Körpereigene Substanzen, die an diesen Rezeptor binden (z.B. Anandamid), bilden ein sogenanntes Cannabinoid-System, das vermutlich an der Bewegungskoordination, dem Kurzzeitgedächtnis und an der Regulation des Immunsystems beteiligt ist. Über diesen Rezeptor scheint auch THC weitreichende, vor allem schwächende, Auswirkungen auf das Immunsystem zu haben. THC beeinflußt außerdem das fein abgestimmte System der Cytokine. THC wirkt daneben schädigend auf das Gehirn und wird im menschlichen Körper relativ langsam abgebaut bzw. ausgeschieden. 2) Cannabidiol (CBD), das psychomimetisch inaktiv ist, jedoch antibiotisch, als Antiepileptikum und als Hypnotikum wirkt; CBD entsteht ebenfalls über CBDS. 3) Cannabinol (CBN), das aufgrund seiner Aromatisierung psychotrop unwirksam ist. – Cannabinoide wurden bisher vor allem im Zusammenhang mit Rauschgiften erwähnt, zunehmend wird aber auch ihr Einsatz für medizinische Zwecke, z.B. in der Schmerztherapie, diskutiert ( siehe Zusatzinfo ).

Lit.: Täschner, K.L.: Das Cannabis-Problem. Haschisch und seine Wirkungen. Köln 31986. Nahas, G.G.: Cannabis Physiopathology Epidemiology Detection. Boca Raton 1992.

Cannabis fördert den Appetit von Mäusen und Ratten, Cannobinoidantagonisten können ihn reduzieren. Knock-out Mäuse für einen Cannabinoidrezeptor fressen im Durchschnitt über 40% weniger als ihre Artgenossen. Cannabinoide spielen daher wohl eine Schlüsselrolle in der nervalen Steuerung des Hungerempfindens. Außerdem senkt Leptin den Cannabinoid-Gehalt im Hypothalamus, dem Kontrollzentrum für Appetit im Gehirn: Fettleibige Mäuse und Ratten, die kein Leptin herstellen können, zeigen erhöhte Meßwerte für zwei Cannabinoide in dieser Hirnregion. Cannabinoide und Leptin sind demnach beide an der Regulation des Körpergewichts beteiligt, aber sie wirken in entgegengesetzte Richtungen. Hunger.



Cannabinoide

(-)Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol

Cannabinoide

Therapeutischer Einsatz von Cannabinoiden:
Viele Mediziner setzen derzeit große Hoffnungen auf die Legalisierung des Einsatzes von Cannabinoiden in der Schmerztherapie. Untersuchungen bei Tumorpatienten zeigen, daß Cannabispräparate neben Schmerzlinderung u.a. Übelkeit vermindern, den Appetit anregen, Krämpfen entgegenwirken und die Stimmung heben. In den USA ist ein synthetisches THC-Präparat (Marinol®) in der Krebs- und AIDS-Therapie zur Bekämpfung der Übelkeit bei Chemotherapie zugelassen; in Deutschland kann dieses Präparat seit 1998 verschrieben und aus den USA importiert werden. Natürliche Cannabinoide bleiben verboten. Cannabisprodukte könnten vor allem in Kombination mit Opiaten wie Morphin eingesetzt werden und so eine wirkungsvolle Schmerzbekämpfung ohne die gefürchteten Gewöhnungseffekte der Opiate ermöglichen. – Kritiker dieser Therapieansätze argumentieren, Cannabis würde aufgrund seiner rauscherzeugenden Wirkung eine Schmerzlinderung nur vortäuschen, ein zu hohes Suchtpotential beinhalten und außerdem durch die Beeinträchtigung des Immunsystems ein potentielles Gesundheitsrisiko darstellen. Bei Menschen, die THC über den Verdauungstrakt aufnehmen (z.B. über Hanföl), können Schwindel, Bewußtseinsstörungen, Schlaflosigkeit, Übelkeit und Herzklopfen auftreten.
Durch die Entdeckung der Cannabinoidrezeptoren sowie der Entwicklung von Cannabinoidrezeptor-Blockern bzw. -Antagonisten wird die Suche nach synthetischen Cannabinoiden mit schmerzlindernder, aber nicht berauschender oder suchtfördernder Wirkung möglich. Der CB1-Rezeptor spricht nicht nur auf THC an, sondern auf körpereigene N-Acylethanolamine, Abkömmlinge ungesättigter Fettsäuren. Ein solches Cannabinoid, Anandamid (N-Arachidonoylethanolamin), wird von Nervenzellen freigesetzt, bindet an die CB1-Rezeptoren und kann (in weit schwächerer Form) die psychoaktive Wirkung pflanzlicher Cannabinoide nachahmen. Ein zweites körpereigenes Cannabinoid, das Palmithylethanolamid (PEA), dockt an einem zweiten Rezeptor (CB2) an. Zumindest im Tierversuch kann eine Kombination von Anandamid und Palmithylethanolamid die Schmerzreaktion wirkungsvoll verringern. Natürliche Cannabinoide scheinen sich auch zur lokalen Schmerzlinderung zu eignen; Nebenwirkungen auf das Zentralnervensystem werden vermieden. Die Suche richtet sich demnach auf Wirkstoffe, die gezielt die Wirkung der körpereigenen Substanzen an den Rezeptoren nachahmen.

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