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Lexikon der Neurowissenschaft: Diencephalon

Diencephalon s [von griech. dia = zwischen, egkephalos = Hirn], Zwischenhirn, E diencephalon, betweenbrain, der zwischen Endhirn (Telencephalon) und Mittelhirn (Mesencephalon) gelegene Hirnabschnitt der Schädel- und Wirbeltiere (Chordaten-Nervensystem). Ontogenetisch entwickelt sich das Diencephalon aus dem hinteren Teil des embryonalen Prosencephalons, dessen vorderer Teil sich zum Telencephalon differenziert. Aus dem Boden des diencephalen Teils des Prosencephalons wachsen die paarigen Augenanlagen seitlich hervor. Am Boden hinter den Augenanlagen bildet sich eine mediane, unpaare Ausstülpung, der Trichter oder Infundibulum. Der Tricher wächst nach ventral gegen das Rachendach und gegen die Rathke-Tasche, die ihm vom Rachendach aus entgegenwächst. Aus einem Teil des Infundibulums entsteht die Neurohypophyse; die Rathke-Tasche differenziert sich zur Adenohypophyse, beide zusammen werden als die Hirnanhangsdrüse, Hypophyse, bezeichnet. Aus dem Dach des Diencephalons stülpen sich die sogenannten Parietalorgane, darunter die Epiphyse oder Zirbeldrüse, gegen das Schädeldach vor. Der Rest des Diencephalons behält zeitlebens die mehr oder weniger rohrförmige Gestalt des embryonalen Neuralrohrs bei. Seine Wände umschließen den oft spaltförmigen dritten Hirnventrikel (Ventriculus tertius), der nach rostral über die Foramina interventricularia (Foramen Monroi) mit den Seitenventrikeln des Telencephalons kommuniziert. Nach caudal, gegen das Mesencephalon, verengt sich bei Säugetieren der dritte Ventrikel zum Aquaeductus Sylvii; bei den meisten Nicht-Säugern ist diese Verengung nicht sehr ausgeprägt. Die Wände des Diencephalons werden traditionell von dorsal nach ventral in vier "Etagen" unterteilt, die durch Furchen in der ventrikelseitigen Fläche der Zwischenhirnwand voneinander abgegrenzt werden: den Epithalamus, den dorsalen und den ventralen Thalamus und den Hypothalamus. Diese klassische Gliederung des Diencephalons in dorso-ventrale "Etagen" (die unten weiter durchgeführt wird) steht allerdings im Widerspruch zu neueren embryologischen Ergebnissen. Genexpressionsmuster und morphologische Daten legen eine Einteilung des Diencephalons in eine Reihe von rostral nach caudal angeordneten Segmenten, den Prosomeren, nahe (Neuromer). – Der Epithalamus besteht aus den photorezeptiven und/oder endokrinen Parietalorganen (Parapinealorgan, Epiphyse) und der Habenula, einem Kerngebiet der olfaktorischen Bahn. Zwischen der rechten und linken Habenula liegt eine Kommissur, die Commissura habenularum, in der bei vielen Anamnioten (z.B. Fische und Amphibien) Fasern aus dem Bulbus olfactorius von der einen zur anderen Hemisphäre kreuzen. Die Habenula schickt ihre Efferenzen u.a. als Fasciculus retroflexus (Meynert) zum Nucleus interpeduncularis des Mesencephalons. Nach caudal, gegen das Mesencephalon, wird der Epithalamus durch die Commissura epithalamica abgegrenzt. – Der dorsale und der ventrale Thalamus bestehen aus Kerngebieten, die ausgedehnte afferente und efferente Verbindungen zum Subpallium und Pallium des Telencephalons unterhalten. Bei den Säugetieren, den Reptilien und den Vögeln sind die thalamo-pallialen Verbindungen besonders ausgeprägt. Ihr dorsaler Thalamus enthält eine Reihe von sogenannten "spezifischen" Nuclei. Jeder dieser spezifischen Kerne erhält einen bestimmten Informationszufluß aus einer der verschiedenen sensorischen Bahnen aus dem Rückenmark und aus den sensorischen Zentren des Hirnstamms; aber auch das Kleinhirn und der Opticus haben ihre "spezifischen" Zielkerne im dorsalen Thalamus. Der Opticus läuft auf seinem Weg zum Tectum opticum seitlich am Thalamus vorbei, die innige Verbindung von Thalamus und optischem Nerven hat dem Thalamus in der älteren Literatur auch den Namen Thalamus opticus eingetragen. Die Neurone der spezifischen Thalamuskerne ihrerseits projizieren zu umschriebenen Arealen des Palliums bzw. des Cortex. Die thalamo-palliale bzw. -corticale Projektion ist also das "Mündungsdelta" fast aller (Ausnahme: Olfactorius) sensorischer Informationsflüsse auf ihrem Weg zum Cortex, von daher wird der dorsale Thalamus mitunter auch (etwas pathetisch) als das "Tor zum Bewußtsein" bezeichnet. Außerdem erhält der dorsale Thalamus massive Eingänge aus dem Cortex selbst sowie aus den Basalganglien und dem limbischen System. Auch diese Eingänge leitet er zum Cortex weiter, so daß der dorsale Thalamus an der Bildung zahlreicher neuronaler Rückkoppelungsschleifen im sensorischen, motorischen und limbischen System beteiligt ist. Den oben beschriebenen "spezifischen" Thalamuskernen werden die "unspezifischen" Kerne (in der Anatomie der Säugetiere die intralaminären Kerne) gegenübergestellt. Ihre Projektionen zum Telencephalon sind weniger gut umschrieben und nicht wie die der "spezifischen" Kerne auf bestimmte Cortexareale beschränkt. Eine bemerkenswerte Ausnahme vom oben beschriebenen Aufbau des dorsalen Thalamus findet sich bei den Knochenfischen. Ihr dorsaler Thalamus ist sehr klein, und nur wenige seiner Kerne projizieren zum Pallium. Bei ihnen übernimmt ein Kerngebiet des Mesencephalons, der Nucleus praeglomerulosus, die Aufgabe des dorsalen Thalamus. Der ventrale Thalamus (bei Säugetieren ist ein Teil von ihm als Pallidum in die Basalganglien integriert) erhält Eingänge aus dem Striatum (Corpus striatum) und projiziert seinerseits in den dorsalen Thalamus. Er bildet so ebenfalls einen Teil einer Rückkoppelungsschleife im sogenannten extrapyramidalen System der Säuger. – Der vordere, wenig myelinisierte (Myelin), "markarme" Hypothalamus trägt an seiner Basis die Kreuzung der Sehnerven (Chiasma opticum). Die Region über und vor dieser Kreuzung, in die der dritte Ventrikel einen Fortsatz, den Recessus praeopticus, sendet, wird auch als die prä- bzw. supraoptische Region des Hypothalamus bezeichnet. Direkt über der Kreuzung der Sehnerven liegt ein kleines Kerngebiet, der Nucleus suprachiasmaticus, der bei allen Wirbeltieren die innere Uhr beherbergt (circadianer Rhythmus). Über oder hinter dem Chiasma opticum liegt eine weitere Kommissur, die Commissura supra- bzw. postoptica. In ihr kreuzen Axone von Zellgruppen aus dem Isthmus. Außerdem enthält der vordere Hypothalamus übergeordnete vegetative (vegetatives Nervensystem) und neuroendokrine Zellgruppen (neuroendokrines System). Die Axone der neurosekretorischen Zellgruppen ziehen zum Infundibulum und zur Hypophyse. Am Eingang zum trichterförmigen Infundibulum häufen sich die Perikaryen dieser neuroendokrinen Zellen, sie bilden dort bei Säugern einen kleinen grauen Höcker, das Tuber cinereum, nach dem sie auch als die "Tuber-Kerne" benannt werden. Ihre Axone ziehen zu einer als Eminentia mediana bezeichneten Struktur im Infundibulum, wo sie ihre Hormone freisetzen (Freisetzungshormone, inhibierende Hormone) Der hintere, gut myelinisierte, "markreiche" Hypothalamus steht in enger Verbindung zum limbischen System. Sein auffälligstes Kerngebiet ist bei Säugetieren der Mamillarkörper. Er empfängt den Fornix (ein massives Faserbündel aus dem Hippocampus oder homologen Arealen des Telencephalons), der bei allen Wirbeltieren mehr oder weniger gut ausgeprägt ist. Der Mamillarkörper seinerseits projiziert unter anderem zum dorsalen Thalamus, wodurch sich eine Rückkoppelungsschleife (der Papez-Kreis) im limbischen System schließt.

H.W.

Lit.: R. Nieuwenhuys, H.J. ten Donkelaar, C. Nicholson: The Central Nervous System of Vertebrates. 3 Vols. Springer Verlag, Berlin, 1998.

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