Direkt zum Inhalt

Lexikon der Neurowissenschaft: Encephalopathie

Encephalopathie w [von griech. egkephalos = Gehirn, pathos = Krankheit], Enzephalopathie, E encephalopathy, in weitester Bedeutung eine Erkrankung des Gehirns, im neurologischen Sprachgebrauch Bezeichnung für eine ausgedehnte Gehirnfunktionsstörung mit klinisch in wesentlichen Aspekten übereinstimmender Symptomatik, aber sehr unterschiedlicher Verursachung. Ihre Abgrenzung gegenüber anderen diffusen oder multifokalen Gehirnerkrankungen ist nicht immer scharf. Insbesondere werden als wichtige Gruppe von ausgedehnten Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS) die Encephalitiden (Entzündungen des ZNS; Encephalitis) nicht zu den Encephalopathien hinzugerechnet. – Pathophysiologisch liegt der Encephalopathie eine Gehirnfunktionsstörung zugrunde, die zumindest anfangs nicht von einer strukturellen Schädigung des Gehirns begleitet wird. Die Funktionsstörung kann durch eine verminderte Durchblutung und Herabsetzung des Sauerstoff- oder Glucoseangebots bzw. deren Aufnahme in das Gehirn bedingt sein. Toxine, die von außen zugeführt werden, aber auch endotoxische Substanzen können über Perfusionsstörungen, Schädigungen der Blut-Hirn-Schranke bzw. Veränderungen in der Zusammensetzung des interstitiellen Raums oder über direkte Wirkung an Nervenzellen oder Gliazellen zu Funktionsbeeinträchtigungen führen, ebenso auch Störungen des Säure-Basen- und Wasser-Elektrolyt-Gleichgewichts. Im Elektroencephalogramm (EEG) zeigt sich eine diffuse Verlangsamung der elektrischen Aktivität des Gehirns, wobei auch herdförmige Veränderungen bzw. epilepsietypische oder periodische Abläufe vorkommen können. Bildgebende Untersuchungen, wie Computertomographie und Kernspinresonanztomographie, zeigen entweder keine abnormen Änderungen oder diffuse oder multifokale Läsionen. – Klinisch steht bei den Encephalopathien eine mehr oder weniger stark ausgeprägte, meist recht rasch sich entwickelnde abnorme Verhaltensänderung im Vordergrund. Vigilanz-Minderung, kognitive oder motorische Verlangsamung bzw. Antriebs-Störungen, Störungen der Orientierung, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Konzentration treten auf. Es können aber auch Halluzinationen oder Wahnbildungen sowie Störungen des Affekts oder Erregungszustände beobachtet werden. Darüber hinaus zeigen sich vegetative Symptome wie Atemstörungen, Herzfrequenzbeschleunigungen, Blutdruckänderungen und Temperaturregulationsstörungen. Motorische Symptome finden sich vor allem als Abnormitäten des Muskeltonus, extrapyramidalmotorische Störungen (extrapyramidale Syndrome), Tremor, Myoklonien bzw. negativer Myoklonus sowie motorische Enthemmungsmuster. Neurologische Herdsymptome wie Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen oder okulomotorische Zeichen können variabel hinzukommen, ebenso epileptische Anfälle. – Die Unterscheidung der Encephalopathien erfolgt nach deren Ursachen. Man unterscheidet die seltener vorkommende Gruppe der primären Encephalopathien, bei denen man z.T. angeborene Stoffwechseldefekte definieren kann, von den wesentlich häufigeren sekundären Encephalopathieformen. Die primären Encephalopathien gehen auf Aminosäurestoffwechselstörungen (z.B. Phenylketonurie), Störungen des Kohlehydratstoffwechsel (z.B. Galactosämie), Lipidosen bzw. Lipidstoffwechselstörungen (z.B. Gaucher-Krankheit) oder Störungen des Myelin-Metabolismus, sogenannte Leukodystrophien (z.B. metachromatische Leukodystrophie), zurück. Die sekundären Encephalopathien zeigen vielfältige Bilder. Dazu gehören Funktionsstörungen des Gehirns, die durch Hypoxien oder Ischämien bedingt sind (u.a. subcorticale arteriosklerotische Encephalopathie) ebenso wie metabolisch oder toxisch bedingte Encephalopathien. So können Leberschädigungen zu Hirnfunktions- und -strukturschäden führen (akute und chronische hepatische Encephalopathie). Die zur hepatischen Encephalopathie führenden Pathomechanismen sind komplex. Durchgehend findet sich eine Erhöhung des Ammoniaks. Es kommt aber auch zu eine Zunahme hemmender Neurotransmitter, sogenannter falscher Transmitter, mit Verdrängung von Catecholamin-Transmittern aus den Synapsen. Es findet sich histologisch eine Vermehrung und Größenzunahme der Astrocyten (sogenannte Alzheimer-Glia Typ II oder Leber-Glia). Die durch Thiaminmangel verursachte Encephalopathie (Wernicke-Korsakow-Syndrom) kommt am häufigsten bei Alkoholkranken vor. Bei Nierenerkrankungen kann es zu einer renalen Encephalopathie kommen, ebenso kann bei chronischer Hämodialyse Nierenkranker die Dialyse-Encephalopathie entstehen, die durch erhöhte Aluminiumzufuhr mit dem Dialysat verursacht wird. Die septische Encephalopathie kommt endotoxisch bei Infektionen mit Blutvergiftung (Sepsis) vor, wobei sich im Zentralnervensystem kein entzündlicher Prozeß nachweisen läßt. Exogen-toxische Encephalopathien sind ebenfalls bekannt, z.B. die Encephalopathia saturnina als Folge einer Bleivergiftung, oder durch Arzneimittel. Auch durch endokrine Störungen können Encephalopathien entstehen. bovine spongiforme Encephalopathie, HIV-Encephalopathie, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

P.M.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Die Autoren
Redaktion

Dr. Hartwig Hanser, Waldkirch (Projektleitung)
Christine Scholtyssek (Assistenz)

Fachberater

Prof. Albert Ludolph, Ulm
Prof. Lothar Pickenhain, Leipzig
Prof. Heinrich Reichert, Basel
Prof. Manfred Spitzer, Ulm

Autoren

Aertsen, Prof., Ad, Freiburg
Aguzzi, Prof., Adriano, Zürich
Baier, Dr., Harmut, Ulm
Bartels, Prof., Mathias, Tübingen
Becker, Dr., Andreas, Marburg
Born, Prof., Jan, Lübeck
Brecht, Dr., Stephan, Kiel
Breer, Prof., Heinz, Stuttgart
Carenini, Dr., Stefano, Würzburg
Cruse, Prof., Holk, Bielefeld
Culmsee, Dr., Carsten, Marburg
Denzer, Dr., Alain, Waldenburg
Egert, Dr., Ulrich, Freiburg
Ehrenstein, Dr., Walter, Dortmund
Eurich, Dr., Christian , Bremen
Eysel, Prof., Ulf, Bochum
Fischbach, Prof., Karl-Friedrich, Freiburg
Frey, Dunja, Basel
Fuhr, Dr., Peter, Basel
Greenlee, Prof., Marc, Oldenburg
Hartmann, Beate, Basel
Heck, Dr., Detlef, Freiburg
Heller, Prof., Kurt, München
Henkel , Dr., Rolf , Bremen
Herdegen, Prof., Thomas, Kiel
Herrmann, Dr., Gudrun, Bern
Hilbig, Dr., Heidegard, Leipzig
Hirth, Dr., Frank, Basel
Huber, Dr., Gerhard, Zürich
Hund, Martin, Basel
Illing, Dr., Robert Benjamin, Freiburg
Käch, Dr., Stefanie, Basel
Kästler, Dr., Hans, Ulm
Kaiser, Dr., Reinhard, Freiburg
Kaluza, Jan, Stuttgart
Kapfhammer, Dr., Josef P., Freiburg
Kestler, Dr., Hans, Ulm
Kittmann, Dr., Rolf, Freiburg
Klix, Prof., Friedhart , Berlin
Klonk, Dr., Sabine, Stuttgart
Klumpp, Prof., Susanne, Marburg
Kössl, Dr., Manfred, München
Köster, Dr., Bernd, Freiburg
Kraetschmar, Dr., Gerhard, Ulm
Krieglstein, Prof., Josef, Marburg
Krieglstein, Prof., Kerstin, Homburg
Kuschinsky, Prof., Wolfgang, Heidelberg
Lahrtz, Stephanie, Hamburg
Landgraf, Dr., Uta, Stegen
Laux, Thorsten, Basel
Lindemann, Prof., Bernd, Homburg
Löffler, Dr., Sabine, Leipzig
Ludolph, Prof., Albert, Ulm
Malessa, Dr., Rolf, Weimar
Marksitzer, Dr., Rene, Luzern
Martin, Dr., Peter, Kehl-Kork
Martini, Prof., Rudolf, Würzburg
Medicus, Dr., Gerhard, Thaur
Mehraein, Dr., Susan, Freiburg
Meier, Dr., Kirstin, Freiburg
Mendelowitsch, Dr., Aminadav, Basel
Mergner, Prof., Thomas, Freiburg
Metzinger, Dr., Thomas, Frankfurt am Main
Mielke, Dr., Kirsten, Kiel
Misgeld, Prof., Ulrich, Heidelberg
Moll, Joachim, Basel
Münte, Prof., Thomas, Magdeburg
Neumann, Dr., Harald, Planegg-Martinsried
Nitsch, Prof., Cordula, Basel
Oehler, Prof., Jochen, Dresden
Otten, Prof., Uwe, Basel
Palm, Prof., Günther, Ulm
Pawelzik, Prof., Klaus, Bremen
Pickenhain, Prof., Lothar, Leipzig
Ravati, Alexander, Marburg
Reichel, Dr., Dirk, Lübeck
Reichert, Prof., Heinrich, Basel
Reinhard, Dr., Eva, Bern
Rieckmann, Dr., Peter, Würzburg
Riemann, Prof., Dieter, Freiburg
Ritter, Prof., Helge, Bielefeld
Roth, Prof., Gerhard , Bremen
Roth, Lukas W.A., Bern
Rotter, Dr., Stefan, Freiburg
Rubin, Dr., Beatrix, Basel
Ruth, Dr., Peter, Giessen
Schaller, Dr., Bernhard, Basel
Schedlowski, Prof., Manfred, Essen
Schneider, Dr., Werner X., München
Scholtyssek, Christine, Umkirch
Schwegler, Prof., Helmut , Bremen
Schwenker, Dr., Friedhelm, Ulm
Singer, Prof., Wolf, Frankfurt am Main
Spiegel, Dr., Roland, Zürich
Spitzer, Prof., Manfred, Ulm
Steck, Prof., Andreas, Basel
Steinlechner, Prof., Stephan, Hannover
Stephan, Dr., Achim, Rüsselsheim
Stoeckli, Dr., Esther, Basel
Stürzel, Frank, Freiburg
Swandulla, Prof., Dieter, Erlangen
Tolnay, Dr., Markus, Basel
Unsicker, Prof., Klaus, Heidelberg
Vaas, Rüdiger, Bietigheim-Bissingen
van Velthoven-Wurster, Dr., Vera, Freiburg
Walter, Dr., Henrik, Ulm
Wicht, Dr., Helmut, Frankfurt
Wolf, Prof., Gerald, Magdeburg
Wullimann, Prof., Mario, Bremen
Zeilhofer, Dr., Hans-Ulrich, Erlangen
Zimmermann, Prof., Manfred, Heidelberg

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.