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Lexikon der Neurowissenschaft: Verhaltensgenetik

Verhaltensgenetik w, E behavioural genetics,ethogenetics, Teilgebiet der Ethologie, das sich mit den genetischen Grundlagen des Verhaltens beschäftigt und Methoden und Erkenntnisse der Genetik auf die Erforschung von Verhalten anwendet. Wenn auch davon auszugehen ist, daß selbst einfachste Verhaltensweisen polygenetischen Ursprungs sind und zusätzlich epigenetische Faktoren zur Entstehung von Verhaltensweisen beitragen, sind diese Anteile dennoch in gleicher Weise vererbbar wie andere morphologische und funktionelle Eigenschaften der Tiere und des Menschen und folgen daher den gleichen Vererbungsregeln. Dies wird durch Experimente belegt, in denen mit Methoden klassischer Kreuzungszüchtung und künstlicher Selektion (Zuchtwahl) bestimmte Verhaltenseigenschaften "herausgezüchtet" werden können, wie z.B. höhere Lernleistungen, stärkere Aggressivitätsbereitschaft u.a. Schließlich sind bestimmte Verhaltenscharakteristika und Leistungen die Ziele bei der Züchtung von Nutztieren (z.B. Sport- und Nutzpferde, Hunde für verschiedenste Zwecke). In der experimentellen Verhaltensgenetik werden großenteils die gleichen Versuchstierarten verwendet wie auch in der allgemeinen Genetik: Drosophila melanogaster (Taufliege), Caenorhabditis elegans (Nematode) sowie Mäuse und Ratten. Während Drosophila und Caenorhabditis wegen des relativ "einfach" gebauten Erbgutes und der relativ schnellen Generationenfolge zur Klärung grundsätzlicher Fragen benutzt werden, spielen bei der Verwendung von Labornagern inzwischen auch Untersuchungen eine Rolle, bei denen der Einfluß bzw. die Bedeutung einzelner Gene bei bestimmten Verhaltensstörungen analysiert werden soll (z.B. mit Hilfe von transgenen Mäusen). Entsprechend bestehen enge Verbindungen zwischen Verhaltensgenetik und Neurogenetik, zumal das Verhalten weitestgehend der Steuerung und Regelung durch Nervensysteme unterliegt. – Die Verhaltensgenetik spielt auch in der Humangenetik eine Rolle, z.B. wenn es um die Vererbung von besonderen Begabungen oder auch Intelligenzleistungen geht ( siehe Zusatzinfo ). Nicht zuletzt kann die Verhaltensgenetik zur Aufklärung der Ursachen von psychopathologischen Prozessen beitragen, da ein gewisser Anteil genetischer Disposition den Ausbruch bestimmter psychiatrischer Krankheiten mitzubestimmen scheint (Ethopathie, Psychiatrie).

Lit.: Borkenau, P.: Anlage und Umwelt: Eine Einführung in die Verhaltensgenetik. Göttingen, 1993. Plomin, R., DeFries, J.C., McClearn, G.E. & Rutter, M.: Behavioral Genetics. New York. 1997.

Verhaltensgenetik

Man kann zwei Hauptrichtungen unterscheiden: quantitativ-genetische, und molekulargenetische Ansätze.
Die quantitative Verhaltensgenetik untersucht den Einfluß von genetischen Faktoren und Umweltfaktoren auf individuelle Unterschiede in Verhaltensmerkmalen. So kann dieselbe Umwelt in unterschiedlichen Genotypen ganz unterschiedliche Verhaltensweisen hervorbringen. Tatsächlich kann man auch feststellen, daß bestimmte Genotypen dazu neigen, sich in ganz bestimmten Umweltmilieus aufzuhalten, und so diese wiederum mit ihrem spezifischen Verhalten beeinflussen. Man spricht hier von Interaktionen und Covariationen zwischen den (genetischen) Anlagen und der Umwelt.
Die molekulare Verhaltensgenetik versucht, spezifische Gene zu identifizieren, die Verhaltensunterschiede beeinflussen. Hier werden z.B. Merkmale untersucht, die in Familien überdurchschnittlich gehäuft gemeinsam auftreten, was darauf hindeutet, daß die entsprechenden Gene nahe beieinander auf demselben Chromosom liegen. Man muß jedoch mit der Identifizierung bestimmter Gene und deren Einfluß auf Verhaltensweisen vorsichtig sein: Z.B. wurde 1998 von einer Verknüpfung zwischen dem DNA-Marker IGF2R und dem Intelligenzquotienten berichtet. Bei zwei hochintelligenten Probandengruppen trat ein spezifisches Allel dieses Gens etwa doppelt so häufig auf wie bei einer Kontrollgruppe durchschnittlich intelligenter Personen. Damit wurde aber keinesfalls ein ausschlaggebendes Intelligenzgen identifiziert, denn IGF2R erklärte in dieser Studie nur etwa 1,5% der IQ-Varianz.
Ein großer Teil der verhaltensgenetischen Forschung am Menschen gilt psychischen Störungen. Insbesondere Schizophrenie und kindlicher Autismus erwiesen sich als stark genetisch beeinflußt: Während das Risiko, im Laufe des Lebens an Schizophrenie zu erkranken, in der Gesamtbevölkerung bei ca. 1% liegt, betragen die Konkordanzraten bei zweieiigen Zwillingen 15% und bei eineiigen Zwillingen 50%, d.h., wenn ein eineiiger Zwilling an Schizophrenie erkrankt, beträgt das Risiko einer Erkrankung des Zwillingsgeschwisters ca. 50%. Multivariante genetische Analysen erforschen die Ursachen von Comorbiditäten (erhöhte Wahrscheinlichkeit einer weiteren psychischen Störung bei bereits psychisch Kranken), indem sie Kreuzkonkordanzen bei Verwandten analysieren. Einschlägige Studien zeigen, daß Ängstlichkeit und unipolare Depression eine gemeinsame genetische Quelle haben, während dies für Schizophrenie und bipolare Depression nicht gilt.

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